Herausgegeben von Christoph Schreier mit Beiträgen von Stephan Berg, Christoph Schreier, Richard Shiff und anderen und Werken von Joe Bradley, Matt Connors, Elizabeth Cooper, Jeff Elrod, Amy Feldman, Ross Iannatti, Eddie Martinez, Ruth Root, Ryan Sullivan, Ned Vena und Antek Walczak
Kunstmuseum Bonn / Verlag Hirmer, München 2015, ISBN 978-3-7774-2419-4, 192 Seiten, 100 Abbildungen in Farbe, Broschur mit Schutzumschlag, Format 52,5 x 24,2 cm, € 39,90 (D) / € 41,10 (A) / 48,70 SFR (CH)
Die Malerei wurde ein ums andere Mal für tot erklärt. Nach Larissa Kikol, der Herausgeberin des aktuellen Bandes 268 des Kunstforums International, ist die Malerei wieder zurück. Sie musste sich seit der Erfindung der Fotografie schon viel gefallen lassen, galt schon damals als veraltetes Medium, überholt und nicht mehr wandelbar. 1948 hat der amerikanische Kunstkritiker Clement Greenberg dann die figurative Kunst und mit ihr die Vormachtstellung der École de Paris für beendet erklärt und den amerikanischen abstrakten Expressionismus als Erben eingesetzt: Zu den auffälligsten Widersprüchen gehörte für ihn der angeblich schmerzliche Niedergang so großer „Künstler wie Picasso, Braque und Léger […], weil die allgemeinen gesellschaftlichen Voraussetzungen, die früher ihr Wirken ermöglicht hatten, in Europa nicht mehr vorhanden“ waren. „Und wenn man andererseits sieht, auf welche Höhe das Niveau der amerikanischen Kunst in den letzten Jahren mit […] Talenten wie Arshile Gorky, Jackson Pollock und David Smith angestiegen ist […], dann drängt sich […] der Schluß auf, daß sich das Zentrum der westlichen Kunst […] in die Vereinigten Staaten verlagert hat“ (Clement Greenberg, The Celine of Cubism. In: Partisan Review, New York, XV, 3. März 1948. S. 366 ff.). Für andere erschien nicht nur die europäische figurative Malerei, sondern die Malerei insgesamt besiegt. „Trotzdem kam sie genau so oft in die Öffentlichkeit zurück, wie sie aus ihr verbannt werden sollte. Wirklich weg war sie nie. Und heute ist die Malerei“ nach Kikol „so vital und energiegeladen wie schon lange nicht mehr“ (Larissa Kikol, Remmidemmi! Zur Gegenwartsbefreiung der Malerei, Kunstforum International Band 268 S. 48).
Für Kikol stehen die politische, die abstrakte und die surreale Malerei im Zentrum der derzeitigen Renaissance. Exponenten der politischen Malerei sind etwa Tatjana Doll (vergleiche dazu etwa https://www.galerie-gebr-lehmann.de/artists/tatjana-doll/), Christine Wang (vergleiche dazu https://nagel-draxler.de/artists/christine-wang/) und Vincent Valdez (vergleiche dazu https://vincentvaldezstudio.com/new-page-3); für die absrakte Malerei stehen etwa David Ostrowski (vergleiche dazu https://www.google.de/search?sxsrf=ALeKk03lcxsX69DtenJfmsEgxOK-1HzQ-w:1594213062091&source=univ&tbm=isch&q=Spr%C3%BCth+Magers+david+ostrowski&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwiQl4y62r3qAhW
6RhUIHZfmA8kQsAR6BAgKEAE&biw=1401&bih=916), Stephanie Lüning (vergleiche dazu https://www.galerie-gebr-lehmann.de/artists/stephanie-luening/) und Katharina Grosse (vergleiche dazu etwa https://www.pinterest.de/karstengoetz/katharina-grosse/) und für die surreale Malerei André Butzer (vergleiche dazu https://www.maxhetzler.com/exhibitions/andre-butzer-chips-und-pepsi-und-medizin-catalogue-2003/works/), Adrian Ghenie (vergleiche dazu https://www.pacegallery.com/artists/adrian-ghenie/) und Jonas Burgert (vergleiche dazu https://www.google.de/search?sxsrf=ALeKk006zR7o292wfnwtOldFDFlBUK6z6A:1594214066427&source=univ&tbm=isch&q=jonas+burgert+bilder&sa=X&ved=2ah
UKEwj49f-Y3r3qAhXztHEKHe-XDGcQsAR6BAgKEAE&biw=1401&bih=916).
Wer sich für die abstrakte Malerei im transatlantischen Vergleich interessiert, sollte die im Kunstforum vorgestellten mit den New Yorker Positionen vergleichen, die 2015 im Kunstmuseum Bonn in der Ausstellung ›New York Painting‹ zu sehen waren. Die von Christoph Schreier kuratierte Ausstellung hat an die Tradition des abstrakten amerikanischen Expressionismus angeknüpft, dessen unideologische und pluralistche Weiterentwicklung in der Generation der zwischen 1968 und 1988 geborenen New Yorker Malerinnen und Maler verfolgt und elf bemerkenswerte Positionen vorgestellt. Die in Bonn vorgestellte abstrakte New Yorker Szene steht für ein „heterogenes Feld von Positionen und Herangehensweisen, das von der reduziert-gegenständlichen Bildsprache eines Eddie Martinez über die zwischen Color Field und Action Painting angesiedelten Werke Elizabeth Coopers und die konzeptionellen Sprachbilder Antek Walczaks bis hin zu den auf Computerbasis entstehenden Unschärferelationen von Jeff Elrod und der strahlenden, mit knappen geometrischen Elementen angereicherten Farbmalerei von Matt Connors reicht“ (Stephan Berg S. 8, vergleiche dazu https://www.kunstmuseum-bonn.de/ausstellungen/rueckblick/info/new-york-painting-2194/). Mit dem von Greenberg 1948 behauptete Überlegenheitsanspruch hat diese Generation nichts mehr zu tun.
Für Daniel S. Palmer ist die 1981 in New Windsor, NY, geborene Amy Feldman eine treibende Kraft innerhalb einer neuen Generation traditionell ausgebildeter Maler, deren tägliches Leben und künstlerisches Tun durch unsere digitale Welt bestimmt ist. „Feldman und ihre Zeitgenossen […] sind sich […] bewusst, wie ihre Gebilde real und digital aussehen werden. Somit wird ihr Werk dem Bedarf nicht allein in der Herstellung, sondern auch in der Bedeutung gerecht. Diese Künstler zeigen unsere Gesellschaft an einer zentralen Gelenkstelle: Wie halten wir es mit dem Widerspruch zwischen dem gewichtigen Vermächtnis der Malerei und der zunehmend instabilen Aussagekraft von Bildern? Feldmans Gemälde und ihr Augenmerk auf wesenhafte Einfachheit im Schaffensprozess werden gerade durch dieses Spannungsverhältnis relevanter – und – kraftvoller den je“ (Daniel S. Palmer S. 103. Vergleiche dazu http://amyfeldmanstudio.com/work/).
Von dem 1982 in Boston geborenen Ned Vena wurden in Bonn unbetitelte Türbilder gezeigt (vergleiche dazu etwa https://www.artsy.net/brand-new-gallery/artist/ned-vena), bei denen Vena Vinylfolien auf stählerne Brandschutztüren klebt. „Die Tür-Gemälde sind mit den Angeln an der Wand eingehängt, wobei ihre Unterkante jeweils mit dem Boden abschließt, so als bedeckten sie einen Durchgang zwischen zwei Räumen. Sie hängen jedoch in Reihen, nutzen also die vertraute Grammatik einer Gemäldeausstellung und lassen zugleich an eine Abfolge virtueller Zugänge denken. Vena bezieht sich auch auf frühere Graffitiarbeiten und hat in einer Serie von Gemälden mit der Garvey ink gearbeitet. Türen sind zudem eine Entlehnung aus der Ikonografie der Graffitikunst – Keith Hearing hatte sie im Netz der New Yorker U-Bahn als Unterlage für seine Zeichnungen benutzt“ (Andreas Neustein S. 163; vergleiche dazu auch http://www.artnet.de/künstler/ned-vena/, https://www.artbasel.com/catalog/artist/8703/Ned-Vena und http://societeberlin.com/artists/ned-vena/).
Die 1972 in Queens, NY, geboreneElizabeth Cooper bearbeitet ihre Leinwände wie Pollock liegend und bringt sie „in Einklang mit der aus der Renaissance stammenden Auffassung vom Gemälde als Fenster auf eine naturalistische Bildwelt […]. Die Stofflichkeit in Coopers Gemälden suggeriert traditionelle Sujets und bildet gleichzeitig Objekte – Pfützen zum Beispiel. Ein Bild wie ›Ohne Titel‹ von 2008 könnte ein schwammig schwappendes Amphibienungetüm darstellen oder einen von einer Persönlichkeitskrise geplagten lüsternen Kaktus […]. Was auch immer es sei, es unterliegt der Schwerkraft, irgendwo auf mittlerer Entfernung fest verankert an der Unterkante des Bildes“ (Stephen Maine S. 79. Vergleiche dazu etwa https://www.galerieankeschmidt.com/artists/elizabeth-cooper/).
Der zur Ausstellung im Überformat erschienene aufwendig gestaltete Katalog wechselt zwischen Munken pure- und Condat matt Périgord-Papieren auf den Schrift- und Bildseiten ab; er kann als ein Glanzstück der Buchkunst gelten und gehört in jede Kunstbibliothek.
ham, 8. Juli 2020