Theologische Bibliothek Band VII, herausgegeben von Christoph Auffahrt, Judith Becker, Christine Gerber, Martin Leuenberger, Friederike Rüssel und Friedrich Schweitzer
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, ISBN 978-3-525-55309-1, Hardcover, 348 Seiten, Format 19,5 x 12,5 cm, € 39,00
Die Kirche hat ihre nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland noch übliche selbstverständliche Akzeptanz zwischenzeitlich verloren. „Zum Teil hat sie sich das durch Unglaubwürdigkeit und Machtmissbrauch selbst zuzuschreiben; zum Teil liegt das schwindende Institutionenvertrauen im Trend einer immer stärker pluralen und individualisierten Gesellschaft. Gewiss: Von der Kirche geht auch ein zivilgesellschaftlicher Wärmestrom aus, denkt man an das Eintreten für die Schwachen und Kranken, Geflüchteten und Gefangenen, Vergessenen und Sterbenden. Aber das allein begründet noch nicht das Recht der Kirche als einer Institution und Organisation von öffentlichem Einfluss, zumal auch andere gesellschaftliche Kräfte ihre Stimme für Menschen erheben, die sonst überhört werden“ (Michael Meyer-Blank S. 13). In dieser Situation muss nach dem 1954 geborenen Bonner Praktischen Theologen und Religionspädagogen Michael Meyer-Blanck eine Kirchentheorie deutlich machen, warum das Evangelium die Öffentlichkeit sucht und dazu die Institutionalisierung braucht.
„Nach evangelischem Verständnis ist die Kirche die Gruppe von Menschen, in der die Lebensgeschichte des Jesus von Nazareth als Gottesgeschichte lebendig gehalten wird und wo die durch ihn begründeten Zeichen (Taufe und Abendmahl) die Lebensdeutung bestimmen. Die Berechtigung, als Kirche zu existieren, hängt an der Plausibilität, die die Worte und Zeichen Jesu aktuell finden. Dieses … Buch verfolgt das Ziel, eine verständliche Theorie der Kirche zu bieten, die die verschiedenen Erscheinungsweisen der Kirche … auf die Grund-Sätze des Glaubens zurückzuführen sucht – auf das Hören und Verstehen, Feiern und Handeln vom Evangelium Jesu her. Die evangelische Theologie und Kirche bilden den Ausgangspunkt und Hintergrund des Buches“ (Michael Meyer-Blanck s. 13 f.).
Meyer-Blancks sehr gut lesbare Kirchentheorie überzeugt durch ihre klare Gliederung, ihre stringente Argumentation, das offene Ansprechen von Macht und Sexualität in der Kirche, die knappen Zusammenfassungen ihrer 15 Paragrafen und ihre Deutung der Kirche als Institution, Organisation und vor allem als Geschehen, als Kommunikation, Interaktion und als Inszenierung. „Die Kirche zeigt sich in Wort und Sakrament, im Helfen, Lehren und Feiern und in ihrer künstlerischen Gestalt, in Kirchenbau, Kunst und Musik. Auch die Zukunft der Kirche wird sich daran entscheiden, ob es ihr gelingt, der Lebenskraft und Schönheit der Botschaft Jesu von Nazareth zu entsprechen und diese zum Leuchten zu bringen. Die Kirche lebt mit ihrer Tradition, aber nicht aus der Tradition. Sie lebt von dem, was sie in Gegenwart und Zukunft erwartet, biblisch formuliert. Die Kirche lebt ›von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht‹ (Mt 4,4). Nicht die grandiose Vergangenheit ist der Bezugspunkt … Wir müssen Gott nicht nachgehen, denn ›Er selbst kommt uns entgegen. Die Zukunft ist sein Land‹ (EG 395,3). Überzeugend ist die Kirche, wenn sie als Zeichen der Zukunft Gottes verstanden wird“ (Michael Meyer-Blanck S. 325 f.).
ham, 20. Juni 2022