Publikation zur Verleihung des Peter Hans Hofschneider – Preises 2013. Herausgegeben von der Kunststiftung Baden – Württemberg
Edition Taube, Zürich / Stuttgart 2015, ISBN 978-3-9459 00-00-0, ca. 80 Seiten, Leinwand gebunden, nummerierte Auflage von 600 Exemplaren, Format 17,5 x 11,4 cm, € 17.00
Wer die Präsentation und das Künstlergespräch „Lisa Mühleisen, Titles“ am 25. Juni 2015 in der Galerie Parrotta Contemporary Art Stuttgart aufgesucht hat, ist im Eingangsbereich auf dem Boden auf ein in der Erinnerung vielleicht zwei mal drei oder drei mal vier Meter großes rosafarbenes Rechteck aus den gerade druckfrisch ausgelieferten Katalogen gestoßen, die der Einladung den Namen gegeben hatten. Im zweiten Ausstellungsraum hatte die 1986 in Stuttgart geborene und mit zahlreichen Stipendien ausgezeichnete Künstlerin eine Auswahl ihrer Arbeiten an die Wände gelehnt und auch einige zwischen vier Nägeln an den Wänden befestigt. Die Arbeiten bestanden aus auf Multiplexplatten handschriftlich geschriebenen Sätzen wie „Wir müssen die Latte höher hängen“ und Halbsätze wie „First Step into the Unknown“, „Karneval der Minimalisten“ und „No Risk and no Fun“. Wer die Künstlerin nicht kannte, konnte meinen, dass diese freche Präsentation für die jüngste Werkphase der Künstlerin steht und dem Titel der Einladung entspricht. Das Studium des exzellent gestalteten Katalogs konnte beim genaueren Lesen erste Zweifel säen. Dort steht nach der ersten Seite mit dem Namen der Künstlerin auf der zweiten bedruckten Seite : „Titles I have used“, „Titles I won´t use“ (diese Phrase ist durchgestrichen) und „Titles I might use“. Die im Katalog aufgelisteten benutzten, verworfenen und künftig möglichen Titel sind den Kapiteln „Color“, „Form“, „Minimal Compostion“, „Intellectual Safari“, „Romance“ und „Work and Leisure“ zugeordnet. Bei den Sätzen und Halbsätzen auf den Multiplexplatten müsste es sich also doch um Titel handeln. Aber waren sie das Werk oder bezeichneten sie es nur? Aufklärung bekam, wer sich die Arbeiten auf dem Boden umzudrehen getraut hat oder wer im WWW nach den letzten Ausstellungen von Mühleisen recherchierte und danach einzelne Titel den dort vorgestellten Werken zuordnen konnte.
Auf beiden Wegen wurde deutlich, dass die Titel für Werke von Mühleisen standen und dass die Künstlerin ihre Arbeiten in der Ausstellung anders als erwartet mit ihren Rückseiten zum Betrachter präsentiert hat. So sind auf der Vorderseite von „Karneval der Minimalisten“ drei weiße Din A4 – Blätter mit Tesafilm und zahllose Konfetti – Teile wie zufällig auf die Holzplatte geklebt. Bei „Wir müssen die Latte höher hängen“ scheint eine zwischen hellbraun, gelb und türkis changierende bemalte Latte von unten links nach oben rechts auf der Platte befestigt zu sein. Und bei „First Step into the Unknown“ versucht sich ein von Abziehbildchen her bekannter aufgeklebter roter Saurier an ersten Schritten in der Urzeit. Ein genauerer zweiter Blick offenbarte die erneute Täuschung: Alle Figurationen sind mit Dispersionsfarbe, Acrylfarbe und Acryllack auf die Multiplexplatten gemalt. Die Werkangaben im WWW bestätigen die Entdeckung: Mühleisen spielt in ihren Bildern mit gemalter Illusion. Sie integriert „das Hinterfragen eines erlernten Verhaltens und vorgeprägten Wissens schon in das Betrachten ihrer Arbeiten, um vermeintlich Unwichtigem eine Bühne zu bieten und scheinbar Eindeutigem auf den Grund zu gehen. Bedeutung ist demnach auch in der einfachen Schönheit einer Leerstelle zu finden. Denn die formale Poesie, die ein gemaltes leeres Blatt A 4 Papier mit sich bringt, ist Teil des Potenzials einer ästhetischen Anti-Hierachie (vgl. Arthur C. Danto, Kunst nach dem Ende der Kunst). Die Illusion, die Lisa Mühleisen hier begrüßt ist die bildhafte, deren Wirkung das Dargestellte als Wirklichkeit erleben lässt. Mit ihr wendet sie sich gegen jegliche Art von beschönigendem Wunschdenken und dem Kaschieren-Wollen von banaler Realität“ (Nicola Höllwarth in: „Hello Illusion“, http:// www.parrotta.de/documents/20140703LISAMUEHLEISENPORTFOLIOHELLOILLUSION.pdf).
ham, 21. 7. 2015