Publikation zur gleichnamigen Ausstellung vom 1. Februar bis 1. Juni 2020 im Kunstmuseum Stuttgart, herausgegeben von Ulrike Groos mit einem Grußwort von Martin Hoernes und einem Vorwort der Herausgeberin

Wienand Verlag, Köln 2020, ISBN 978-3-86832-563-8, 304 Seiten, 95 großteils farbige Abbildungen, Hardcover gebunden, Format 24.5 x 17,5 cm, € 38,00

Wer in den Nachkriegsjahren die Schule besucht und 1967 das Abitur gemacht hat, hat im Geschichtsunterricht kaum etwas oder nichts von der Zeit des Nationalsozialismus gehört. Vergleichbares gilt auch für die Geschichte Deutscher Museen im Nationalsozialismus. Sie ist in vielen Fällen noch bis heute ein unbeleuchtetes Feld. Das war auch im Kunstmuseum Stuttgart bis zu der 2014 begonnenen Provenienzforschung so. Die Forschung über die Herkunft der Objekte legte eine Ausweitung auf die Erforschung der Museums- und Kunsthandelsgeschichte nahe. Dabei wurde klar, dass die tradierte Darstellung der Geschichte des Kunstmuseums Stuttgart und der städtischen Museen in Stuttgart in der Zeit des »Dritten Reichs« ein Desiderat und ein »blinder Fleck« geblieben war.

In dem von dem Kunst-, Kulturhistoriker und Provenienzforscher Kai Artinger ab Ende 2017 fortgesetzten Provenienzforschungsprojekt wurde dann „parallel zur Herkunftsforschung die Institutionengeschichte der Städtischen Galerie Stuttgart von ihrer Gründung 1924 bis Anfang der 1970er-Jahre in Angriff genommen“ Ulrike Groos S. 10). Artinger kommt zu folgendem Ergebnis:

Die Stadt Stuttgart hat 1924 zwar die Schenkung des Marchese Silvio di Casanova von Werken vor allem des sogenannten schwäbischen Impressionismus angenommen und einen wesentlichen Teil davon in der Villa Berg ausgestellt; aber sie konnte sich nicht dazu entschließen, ein Museum zu gründen. Sie kaufte seit 1925 in kleinerem Rahmen Kunst von Künstlern an, „doch dienten die Erwerbungen nicht zum Ausbau einer Museumssammlung …, sondern sie wurden zur Ausschmückung von städtischen Verwaltungsbüros verwendet. Dieser Zustand dauerte bis zum Beginn des ›Dritten Reichs‹ an. Die Nationalsozialisten änderten die bis dahin vorherrschende Praxis und betrieben eine neue Kultur- und Kunstpolitik. Sie begrenzten den Etat für die Künstlerförderung und bemühten sich um die Schaffung eines Museums. Für die Erwerbungen wurden wesentlich mehr Mittel aufgebracht, es wurde die Künstlerförderung beschnitten und fortan auch unter musealen Kriterien gesammelt. In relativ kurzer Zeit wurde die städtische Kunstsammlung um ein Vielfaches erweitert und eine Sammlung von Kunst im ›Dritten Reich‹ aufgebaut“ (Kai Artinger S. 241, vergleiche dazu auch https://www.wienand-verlag.de/out/media/9783868325638.pdf). Zum angedachten Museum »Schwäbischer Kunst« mit dem Schwerpunkt Landschaftsmalerei (vergleiche dazu https://www.google.de/search?q=kai+artinger&tbm=isch&chips=q:kai+artinger,online_chips:kunstmuseum+stuttgart&sa=X&ved=2ahUKEwi4tNqx6-3tAhWn3eAKHR3LDzYQgIoDKAF6BAgGEAo&biw=1503&bih=916) kam es durch den Krieg und das Ende des Nationalsozialismus nicht mehr. Die in die Salzbergwerke Friedrichshall und Heilbronn ausgelagerten mittleren und kleineren Gemälde haben den Krieg zumeist überstanden; die ins Schloss Löwenstein verbrachten großformatigen Gemälde wurden bei einem Fliegerangriff am 14. April 1945 vernichtet.

Die Aufnahme des erhaltenen Bestands und der Neuaufbau der Sammlung nach dem Krieg oblag dem damaligen Kulturreferenten Hans Schumann und seinem Mitarbeiter Eugen Keuerleber. Ihnen ist auch der Aufbau der Otto-Dix-Sammlung und die mehrgleisige Weiterentwicklung der städtischen Kunstsammlung zu verdanken. 1972 wurde mit dem Triptychon »Großstadt« eines der Hauptwerke von Otto Dix angekauft (vergleiche dazu https://www.google.de/search?q=otto+dix+gro%C3%9Fstadt&tbm=isch&ved=2ahUKEwie_efwufDtAhUNQBoKHXV8Dd4Q2-cCegQIABAA&oq=Otto+Dix%2C+Gro%C3%9Fstadt&gs_lcp=CgNpbWcQARgAMgIIADICCAAyAggAMgIIADICCAAyAggAMgIIADIECAA

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Heute wirbt das Kunstmuseum Stuttgart mit folgender Selbstdarstellung: „Den Grundstock zur Stuttgarter Sammlung legte 1924 Graf Silvio della Valle di Casanova mit der Schenkung seiner Privatsammlung Schwäbischer Impressionisten. Nach Zerstörung der Villa Berg im Zweiten Weltkrieg fand die ›Galerie der Stadt Stuttgart‹ 1961 im Kunstgebäude am Schlossplatz neue Ausstellungsräume. Eugen Keuerleber, der seit 1945 die städtische Kunstsammlung betreut hatte, machte Adolf Hölzel und Otto Dix zu zentralen Schwerpunkten der Sammlung. Direktor Johann-Karl Schmidt ergänzte ab 1986 mit Werken international renommierter Künstler wie Joseph Kosuth, Dieter Krieg, Wolfgang Laib, Markus Lüpertz, Dieter Roth und K.R.H. Sonderborg. Darüber hinaus konnten bedeutende Sammlungen als Dauerleihgaben gewonnen werden: 1992 die Sammlung Rudolf und Bertha Frank, 1994 die Konrad Knöpfel-Stiftung Fritz Winter. Unter der Direktorin Marion Ackermann bezog das Archiv Baumeister 2005 eigene Räume im gerade fertig gestellten Museumsneubau. Zuletzt wurde der Bestand um die Sammlung Heinz und Anette Teufel mit Werken der Konkreten Kunst erweitert. Seit 1. Januar 2010 steht das Kunstmuseum Stuttgart unter der Leitung von Ulrike Groos. 

Gezeigt werden in der Sammlungspräsentation Ankäufe des Museums und Dauerleihgaben von Privatsammlern, die für das Kunstmuseum in den letzten Jahren gewonnen werden konnten, sowie bisher selten oder nie ausgestellte Arbeiten aus dem über 15.000 Werke umfassenden reichen Sammlungsbestand. 

Derzeit werden u. a. Arbeiten von Künstlern wie Otto Dix, Willi Baumeister, Fritz Winter, Dieter Roth, Wolfgang Laib, Ben Willikens, Joseph Kosuth, Michel Majerus und Josephine Meckseper ausgestellt. Des Weiteren widmet sich ein zentraler Themenblock, der sich über mehrere Räume erstreckt, der Entwicklung der ungegenständlichen Malerei seit den 1950er-Jahren mit Malern des Informel, der Konkreten Kunst und der Abstraktion im Allgemeinen“ (https://kunstmuseum-stuttgart.de/index.php?site=Sammlung;Geschichte&1416214269).

ham, 28. Dezember 2020

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