Religion in der Kunst des beginnenden XXI. Jahrhunderts

Eine Publikation des Kulturzentrums bei den Minoriten Graz in der Reihe IKON. Bild + Theologie, hg. von Alex Stock und Reinhard Hoeps

Verlag Ferdinand Schoeningh, Paderborn, 2015, ISBN 978-0-14-09 0000-2, 3 Bände mit zusammen 1121 Seiten, 1472 Farbabbildungen, Klappenbroschur im Schuber mit dem Format 28,8 x 24 cm, € 148.-

Die kultur-, kunst-, bild- und theologiegeschichtlich wichtigsten Fragen sind die, die auch nach jahrhundertelangen Diskursen offen bleiben, die Fragen mit einer longue durée. Deshalb trifft das von Reinhardt Hoeps unter der Überschrift „Gott ist nicht die Lösung. Gott ist das Problem“ im Magazin „Religion“ der Kulturstiftung des Bundes Nr. 24 vom Frühsommer/ Herbst 2015 auf den Seiten 17 – 19 skizzierte Konzept der Ausstellung „The problem of God“ einen zentralen offenen Punkt: die Tragfähigkeit der nach dem byzantinischen Bilderstreit und den Libri Carolini in der Reformation und im Tridentinum gefundenen und in den späteren Jahrhunderten variiert weitertradierten christlichen Lösungen der Bilderfrage. Sie entscheidet sich an der Gottesfrage und nicht an der Frage, ob und gegebenenfalls wie Bilder von heiligen Personen und Geschehnissen in gottesdienstlichen Räumen und in der privaten Andacht trotz des Bilderverbots zu gebrauchen sind. Nach zahlreichen das Reformationsjubiläum im Jahr 2017 vorbereitenden und es begleitenden Ausstellungen zum Bildverständnis des Protestantismus wie den Ausstellungen zu Lucas Cranach dem Älteren im Germanischen Nationalmuseum und zu Lucas Cranach dem Jüngeren in Wittenberg soll die ab Ende September 2015 im K21, Ständehaus in Düsseldorf gezeigte Ausstellung „The problem of God“ mit Arbeiten von rund 40 Künstlern wie Berlinde de Bruyckere, Francis Bacon, Boris Mikhailov, Bill Viola und Paloma Varga Weisz untersuchen, was es für das katholische Bildverständnis bedeutet, dass sich zeitgenössische Künstler nach wie vor mit der christlichen Bildsprache auseinandersetzen. Darüber hinaus soll sie den Diskurs über die vergangene und gegenwärtig Brisanz der Visualität im Christentum voranbringen, den Blick für die prägende Kraft der Bilder auf die Theorie und Praxis des Glaubens schärfen und deutlich machen, was mit dem Untergang der christlichen Bildformen verloren gegangen ist. Damit stellt sie implizit auch die Mitte des letzten Jahrhunderts von dem Kunsthistoriker Wolfgang Schöne aufgestellte und seither nahezu unwidersprochen tradierte Doppelthese auf den Prüfstand, dass der christliche Gott eine Bildgeschichte gehabt hat und diese Bildgeschichte abgelaufen ist. Sie löst sie durch die These ab, dass diese Bildgeschichte im künstlerischen und gesellschaftlichen Kontext untergründig, spielerisch, frei und losgelöst von überkommenen dogmatischen und kirchlichen Bindungen auf transformierte Weise weitergegangen ist und am Beginn des 21. Jahrhunderts erstaunlich lebendig weitergeht.

Hoeps´ Frage- und Aufgabenstellung für das Düsseldorfer Ausstellungsprojekt dürfte jedem Leser von Johannes Rauchenbergers dreibändigem Opus Magnum „Gott hat kein Museum … “ gut vertraut sein: Wie Hoeps setzt sich auch Rauchenberger in seinem Langfristprojekt „Gott braucht kein Museum …“ mit Wolfgang Schönes 1957 publizierter Doppelthese auseinander und von ihr ab. Er hat seit der von ihm, Gerhard Larcher, Alois Kölbl und den protestantischen Kuratoren und Ausstellungsmachern Erich Witschke, Manfred Richter und Helmut A. Müller gemeinsam konzipierten Ausstellung „entgegen – ReligionGedächtnisKörper in Gegenwartskunst“ anlässlich der II. Europäischen Ökumenischen Versammlung in Graz vom 23. Mai – 6. Juli 1997 in zahllosen weiteren Ausstellungen überzeugend vorgeführt, dass Gottes Bildgeschichte nicht vergangen ist, sondern ihre Fortsetzung auch in der Gegenwartskunst findet, wenn auch freiheitlich und transformiert. Wie Hoeps knüpft auch Rauchenberger an die von Wieland Schmid konzipierten Ausstellungen „Zeichen des Glaubens – Geist der Avantgarde“(1980) und „GegenwartEwigkeit“ (1990) an. Beide erklären die in den Ausstellungen von Schmid vertretene These, dass allein noch in der Kunst das Fenster der Transzendenz offen gehalten werde, für historisch. Und beide wurden bei ihren Projekten vom Verein Ausstellungshaus für christliche Kunst in München e. V. gefördert.

Für Rauchenberger ist Anish Kapoors 1997 in der Ausstellung „entgegen“ im Mausoleum für Kaiser Ferdinand II. in Graz präsentierte höchst eindrückliche goldene Hohlkugel zum Ausgangspunkt seines Projekts eines imaginären Museums geworden. Sein Buch „Gott hat kein Museum … “ behauptet ein Museum „über Religion am Beginn des 21. Jahrhunderts. Doch schon der Titel macht klar, … dass es in der Fragestellung über das Vorfinden Gottes in der Gegenwartskunst niemals genügen wird: Gott hat kein Museum! Nicht zuletzt deshalb wird und kann es dieses in einem realen Bauwerk wahrscheinlich niemals geben. Dennoch wird es hier in zehn Räumen vorgeführt, in denen Hunderte von Kunstwerken aus dem Beginn des 21. Jahrhunderts versammelt sind – sub specie aeternitatis sozusagen … Das hier vorgestellte Museum gibt es realiter nicht, aber dennoch ist es schon längst gewesen. Es setzt sich aus konkreten Ausstellungen zusammen. Mit dem Kulturzentrum bei den Minoriten in Graz … konnte in den letzten 15 Jahren mit großen und kleinen Ausstellungsprojekten konsequent ein Konzept verfolgt werden, das eine entscheidende Idee beinhaltet: Musealisierung nicht als Rückprojektion oder als Deponierung von dem zu verstehen, was einmal außer Gebrauch gestellt wurde, sondern als einen Akt der Gegenwart zu begreifen. Es versucht dabei nichts von dem zu retten, was einmal war, aber dennoch Antennen danach auszustrecken. Es versucht auch nicht zu erklären, was niemand mehr versteht oder verstehen will. Es orientiert sich ausschließlich an dem was ist, und zwar was sich heute in der zeitgenössischen Kunst in Bezug auf Religion ereignet. Das ist mehr, als was man vor kurzem noch zugelassen und geglaubt hat. Es ist natürlich auch um vieles mehr, als hier gezeigt werden kann. Die bildnerische Beschränkung ergibt sich aus den gezeigten Ausstellungen. Es muss mehr sein, geht es doch um das reale Verhalten von Großinstitutionen und einzelner Protagonisten, um globale Bewegungen, um Gewalt und Toleranz, um existentielle Abgründe, Staunen, Liebe, Wunder, Schuld oder, wie Anish Kapoor … sagte, eigentlich nur um >>Schönheit, Stille und vielleicht den Tod<< “ (Johannes Rauchenberger, a.a.O S.9 f.).

Für den protestantischen Prälaten Friedrich Christoph Oetinger gipfelt die für das Gottesverständnis zentrale gemeinchristliche Vorstellung von der Fleischwerdung Gottes in der Spitzenaussage, dass die Leiblichkeit das „Ende der Werke Gottes“ ist. Christsein wird damit tendenziell als ewige Kommunikation unter leiblich Anwesenden gedacht. Für Hoeps und Rauchenberger begründet die Inkarnation eine Bildtradition, die die Möglichkeiten und Grenzen der authentischen Darstellungen der Anwesenheit Gottes austastet und das Christentum zwingend zu einer Bildreligion macht. >>The Problem of God<< zeigt neben Arbeiten, die das Fenster zur Transzendenz offen gehalten haben und inzwischen selbst historisch geworden sind, „ in der Hauptsache Werke der Gegenwart, bei denen … wieder ein Interesse an Bildmotiven aus dem Umkreis christlicher Tradition erkennbar ist … Der Umgang mit den überlieferten Motiven ist offen, häufig auch spielerisch, jedenfalls sehr experimentell und insofern fern jeder Ambition, solche Traditionen nahtlos fortsetzen zu wollen … Ursprünglich christliche Bildzeichen werden bis auf ihre Hülle entleert, um sie probehalber mit neuen Bedeutungen zu füllen … Vor allem scheinen es nicht eigentlich die ikonographischen Motive zu sein, die das künstlerische Interesse … wecken. Es geht vielmehr um komplexe Konstruktionen bildlichen Ausdrucks, um eigene Formen bildsprachlicher Artikulation, zu denen christliche Bildtraditionen ehemals ihre ikonographischen Motive ausgebaut und entwickelt hatten. Schon die Intentionen christlicher Bildnerei gingen ja eigentlich niemals im ikonographischen Textbezug, in der bloßen Illustration biblischer Texte, auf. Infrage stand vielmehr stets die Authentizität der Darstellung, dann auch die Steigerung dieser Darstellung zu wirklichen Vergegenwärtigung. Zusammen mit der Darstellung sollten die Bilder außerdem die Grenzen der Darstellbarkeit reflektieren. Über solche Anforderungen hinaus dienten sie vor allem der Aufgabe, zur Andacht anzuleiten, im Betrachter Gefühle und Empfindungen zu wecken, mit ihm in einen lebendigen Austausch zu treten und ihn zu eigenen, inneren Bildern anzuregen. Sie hervorzubringen, setzt ein differenziertes Bewusstsein für spezifisch bildnerische Verfahren und für das Potenzial abstrakter Bildkomposition voraus, das in christlichen Bildtraditionen bereits lange vor der Ära der Kunst wirksam ist“ (Reinhard Hoeps, a. a. O. S. 18).

Rauchenberger skizziert die christlich inspirierte Bildlichkeit parallel dazu wie folgt: „ Woraus Bilder bestehen, wie sie als Medium taugen und funktionieren, ist die Fragestellung der Wissenschaft vom Bild … In der Religion geht es zusätzlich darum, wie Bilder im wahrsten Sinne des Wortes erscheinen – als Erscheinung einer anderen, göttlichen Welt … Das mediale Ausgangsproblem jeder Religion ist … die Medialisierung des Unsichtbaren. Das ist aber – aus der christlichen Theologie heraus gedacht – dennoch nicht das ganze Problem. Im Christentum hat dieses durch den Inkarnationsgedanken eine spezifische Prägung: In seiner Medialisierung weitet es sich gerade auf das Sicht- und Greifbare aus. Dennoch darf das Unsichtbare nicht im Sichtbaren verschwinden, das Nicht-Erfassbar in Greifbaren, das Geistige in Materiellen. Das entscheidende Medienproblem ist also nicht bloß die Unsichtbarkeit in der Sichtbarkeit im Bild, sei es durch Erscheinung, Imprägnierung, Verschattung oder Abbildung eines Urbildes, sondern die Unbegreiflichkeit in der Begreiflichkeit der Materie. Es ist das Inkarnationsmodell, aus dem sich christliche Bildlichkeit eigentlich aufgerollt hat: Sie wird dabei sogar von der Materie her entwickelt. Alles was darüber zu sagen ist: der Körper, seine Verfallenheit, sein Glanz und seine Aussicht auf Verwandlung und Verklärung, seine Aura, seine Strahlung, seine Zerlegung in seine Bausteine, sind im engeren Sinne Bildereignisse, die von christlich inspirierter Bildlichkeit mit spezifischenImprägnierungen versehen werden“ (Rauchenberger S. 1002 f.).

Rauchenberger stellt diese ,Bildereignisse’ in zehn Kapiteln vor, die der Leser als virtuelle Museumsräume begreifen und in denen er zwanglos flanieren kann. Die Kapitel oder Räume sind mit Leitsätzen von Anna und Bernhard Johannes Blume wie „Wahrheiten müssen robust sein“, „Glauben bedeutet keineswegs an etwas zu glauben“, „Die beharrliche Sinnsuche ist eine bedauerliche Disposition des Geistes“ und „Das Nichts ist indiskutabel“ überschrieben und mit Fragen wie der nach der Wahrheit, nach der christlichen Bildcodierung, nach den Bildern zwischen Medialität und Bedeutung und mit der nach Gott verbunden. Leicht verständliche Werktexte können das Flanieren inspirieren, vertiefende Texte und Interviews zum Werk einzelner Künstler das Verständnis weiter ausdifferenzieren. Die Mehrzahl dieser Texte und Interviews konnte in ihren Erstfassungen schon in der ökumenischen Zeitschrift ,kunst und kirche’ gelesen werden. Als dritte Textgattung reflektieren Essays wie der zum Körper als archimedischem Punkt für eine theologische Bildbetrachtung, der zu den Potentialen des Bilderverbots und der zur christlichen Bildlichkeit die Bilder des virtuellen Museums auf dem Hintergrund von Fragen der Religion. Im seinem Essay zur christlichen Bildlichkeit klingen Rauchenbergers Erläuterungen zu den Bildern des von ihm herausgehoben behandelten österreichischen Malers Alois Neuhold wie folgt: „ >>Nicht die unsichtbare Gottheit bilde ich ab, sondern das sichtbar gewordene Fleisch Gottes<<. Der in seinen Verteidigungsschriften über die Bilder überlieferte Satz von Johannes von Damaskus benennt … die eigentümliche Dialektik, wenn im christlichen Sinne von der Abbildung dieses Gesichts die Rede ist. Eine besonders eindrucksvolle Verbindung dieser Idee von der Fleischwerdung in der Materie, von Inkarnation als Licht in den Farben und der Aufladung von Geheimnis im Bildbegriff selbst im Medium des Gesichts findet sich im bildnerischen Ansatz des österreichischen Malers Alois Neuhold … Von der Kunstkritik vor 30 Jahren noch als poetisch-autonomer künstlerischer Ansatz zu Mythen und Märchen und volkskunstartigen Schreinreliefs gewürdigt, hat sich Neuholds künstlerisches Vokabular in den letzten Jahren zunehmend auf wenige Grundstrukturen reduziert: Gesichter, die aus immer sich wiederholende Linien entstehen, eingebettet meist in Architekturformen, wie sie aus frühmittelalterlicher Emailkunst bekannt sind, sowie die kleinteilige Verdichtung der Farbe als Raumschichtung in den meist sehr kleinteiligen Bildtafeln. Eine Serie von „Tuchgesichtern“befindet sich im zweiten Raum dieses Museums … Das ständige Interesse des Künstlers … gilt der Verschränkung der menschlichen Figur und des Gesichts, die er mythisch, märchenhaft und spielerisch verwandelt. Die Bilder erhalten meist erst Namen, nachdem sie eine Ausstellung passieren, vom Künstler ebenso mytho-poetisch überhöht, in der Eindeutigkeit gebrochen und in die Ambivalenz der Deutung geöffnet. >> Antlitz nicht von hier<< oder >> Das Steintuch der Veronika<< zum Beispiel sind verdichtete Körper auf kleinstem Raum … Der Farbleib des Bildes eröffnet in seiner dezidierten Beschränkung auf kleinsten Raum die sinnliche Erfahrung der Ahnbarkeit einer Inkarnation, deren Koordinaten Licht und Materie sind – selbst wenn das Gesicht im Zentrum steht“ (Rauchenberger S. 1026 ff.).

ham, 16.7. 2015

Download

Kommentare sind geschlossen.

COPYRIGHT © 2023 Helmut A. Müller