Dietrich Reimer Verlag Berlin, 2018, ISBN 978-3-49601598-7, 368 Seiten, 132 Schwarzweißabbildungen,
Broschur, Format 24 x 17 cm, € 49,00 (D)
Iris Metjes Publikation (vergleiche dazu http://www.reimer-mann-verlag.de/reimer/ansicht/fullview.php?
titel=Der+moderne+Kirchenbau+im+Blick+der+Kamera&fullcover=%2Fimg%2Fcover%2Ffull%2F978-3-4
96-01598-7.jpg) ist die nur leicht modifizierte Fassung ihrer Dissertation, die im November 2016 unter dem
Titel ›Der moderne Sakralbau im Blick der Kamera. Ein Beitrag zur Geschichte der Architekturfotografie der
Weimarer Republik‹ an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf angenommen worden ist. Im Mittelpunkt
stehen rund 1000 zeitnah zur Entstehung publizierte Architekturaufnahmen von Kirchenbauten der 1920er
Jahre sowie die Entstehungs- und Rezeptionsbedingungen des untersuchten Bildmaterials. Ziel der Arbeit
war es, „den Beitrag der Architekturfotografie für die Wahrnehmung des neuen Kirchenbaus näher zu fassen
und dabei exemplarisch für die spezielle Architekturgattung der Frage nach dem Einfluss der Bauaufgabe auf
die Fotografen nachzugehen“ (Iris Metje S. 309).
Im Ergebnis fügen sich die Fotografien in die zeittypischen Konventionen für die Vermittlung von
Architektur ein. So nutzen sie häufig direktes Sonnenlicht zur Betonung der Bauvolumina. Der
Kamerastandpunkt für Außenaufnahmen liegt in der Regel auf Augenhöhe und die meisten Kirchenfotos sind
zum Zeitpunkt der Aufnahmen menschenleer. Im Vordergrund steht also die ästhetische Erscheinung der
Architektur und nicht ihre Funktionalität. Ziel der Fotografen war in aller Regel eine perfekte Aufnahme in
Form eines fotografischen Abzugs.
Zu den spezifischen Bildmerkmalen gehört eine deutliche Tendenz zu einer monumentalisierenden
Bildwirkung, „die durch verschiedene fotografische Mittel wie untersichtige Perspektiven und den Einsatz
von Weitwinkeloptiken erzeugt wurde. Die Aufnahmen heben vertikale Bauteile der Kirchen wie
Portalblöcke oder Türme als besonders bedeutsame Formelemente der Architektur hervor. Für diese
Bildaufgabe kam auch […] verstärkt der frontale Kamerablick zur Anwendung […].
Spezifisch für die fotografische Darstellung der Bauaufgabe ist vor allem der hohe Anteil von
Interieuraufnahmen […]. In formaler Anpassung an die Bedürfnisse einer sich reformierenden Liturgie und
auch als symbolischer Ausdruck für das neue Gemeinschaftsverständnis war der Innenraum für zentrale
Architekten des neuen Kirchenbaus Ausgangspunkt und Kern ihrer Bauidee, sodass den Interieuraufnahmen
[…] ein maßgeblicher Anteil an der Vermittlung von Architektur zukommt […]. Die typische Bildformel
[…] war die Sicht zum Hauptaltar […]. Sie wurde entweder entlang der mittleren orthogonalen Raumachse
oder von einer seitlich verschobenen Position aus schräg durch den Raum aufgenommen und bestimmte […]
das in Publikationen transportierte Innenraumbild […]. Ein weiteres Charakteristikum sind Perspektiven, die
größere Bereiche der Decken- bzw. Gewölbelösungen mitabbilden […]. Gleichzeitig bot das Innere der
Kirchenbauten den Produzenten der Fotos und den auftragebenden Architekten einen Motivschatz für eine
weitergehende bildliche Inszenierung […] bestimmter Lichtsituationen im Inneren der Räume […], die mit
einer religiösen Gestimmtheit und Lichtmetaphorik assoziiert werden konnten […]. Im Zentrum stand häufig
der Altar“ (Iris Metje S. 310 f.).
Zu den spannendsten Kapiteln der Untersuchung gehören die Kapitel ›Die Fotografen‹ und ›Die
Architekten‹, in denen unter anderem die Allianz des Architekten Dominikus Böhm und des Fotografen
Hugo Schmölz nachgezeichnet wird. Schmölz schenkte der Materialität der Baustoffe und der Lichtsituation
von Böhms Räumen die höchste Aufmerksamkeit und verstand es die, die Charakteristika der
unterschiedlichen Raumlösungen Böhms zu steigern. Auch unter Albert Renger-Patzschs Aufnahmen von
Otto Bartnings Auferstehungskirche in Essen aus dem Jahr 1930 dominieren die Innenaufnahmen. Die
Pfeilerkonstruktion der Auferstehungskirche wird zum Hauptmotiv: „Vom Erdgeschoss aus durchlaufende,
verputzte Stahlbetonpfeiler verbinden die nach oben im Durchmesser abnehmenden Geschosse in einem
Höhenzug, der in der zunehmenden Helligkeit breiter werdender Lichtbänder eine Steigerung erfährt. In der
Art, in der der Fotograf die paarweise angeordneten Pfeiler […] inszenierte, wird offensichtlich, dass er in
diesem Pfeilergerüst das >wesentliche< Struktur- und Formmerkmal dieses Kirchenraums sah. Diese
elementaren sichtbaren Formen der Architektur im Bild wiederzugeben und gleichzeitig zur formbildenden
Instanz der fotografischen Komposition zu machen, entspricht exakt seiner Vorstellung von den Aufgaben
der Fotografie“ (Iris Metje S. 166). Albert Renger-Patzschs Kirchenaufnahmen sind nach Metje der
künstlerischen Fotografie zuzuordnen. „Wie für sein gesamtes Werk […] hat er auch in seinen Aufnahmen
für die Kirchenarchitekten Otto Bartning und Rudolf Schwarz die von ihm stets betonten
Eigengesetzlichkeiten des Mediums und ihre Umsetzung in den Mittelpunkt seiner Arbeit gestellt […]. Über
keinen anderen Protagonisten dieser Studie ist ihr Thema stärker an die fotokünstlerischen und -theoretischen
Tendenzen der 1920er Jahre gebunden […]“ (Iris Metje S. 311 f.).
Für den Kirchenbauer Rudolf Schwarz war die Fotografie für die Aufgabe, die architektonische Idee
darzustellen, schlicht nicht geeignet. Gleichwohl hat er sich der Fotografie bedient. „>Was wäre die
Architektur ohne Fotografen!<, schrieb er im August 1930 an Renger-Patzsch […]. 〔Das zeigt〕, dass
Schwarz’ Kritik an der Fotografie keiner grundsätzlichen Ablehnung gleichkam, sondern einer intensiven
Auseinandersetzung mit dem Medium, seinen Aufgaben und seinem Sinn für die Darstellung und
Vermittlung von Architektur entsprach. Mit Renger-Patzsch beauftrage Schwarz eine herausragende
Fotografenpersönlichkeit der Weimarer Republik, seine Ende der 1920er Jahre in Aachen entstehenden
Bauwerke für Publikationen ins Bild zu setzen, also werbende Architekturfotografien zu schaffen. Rengers
Art der Visualisierung struktureller Charakteristika der >Dinge< kam Schwarz dabei sehr entgegen […].
Dort, wo er sich die Fotografie für die Verbreitung seines gebauten Werks zu Nutzen machte, hatte Schwarz
eigene Bildvorstellungen und scheute sich nicht, sie seinem Fotografen in Form von deutlichen
Reklamationen mitzuteilen“ (Iris Metje S. 225 f.).
Wie Rudolf Schwarz haben auch Dominikus Böhm, Otto Bartning und Hans Herkommer besonderen Wert
auf die visuelle Vermittlung ihrer Bauten durch die Fotografie gelegt. „Ihr Einfluss auf die Fotoproduktion
bestand als Auftraggeber, neben der Festlegung des Umfangs, in der Mitbestimmung von
Kamerastandpunkten und Blickwinkeln. Die Einflussname begann aber bereits mit der Wahl des Fotografen,
insbesondere wenn diese mehrfach Aufträge von denselben Architekten erhielten […]. Gemein ist den hier
betrachteten Architekten zudem, dass über thematische Zeitschriftenbeiträge hinaus Publikationen zu ihren
Sakralbauten entstanden, für die ihr gewichtiger Einfluss auf die Bildauswahl und -zusammenstellung immer
anzunehmen, meist auch zu belegen ist […]. Die Verbreitung und Vermittlung über Fotos in Publikationen
war fester Bestandteil der Arbeit der Architekten“ (Iris Metje S. 312 f.). Allerdings erschließt sich die
Architekturfotografie nur unzureichend über die Bildarchive der Architekten, Zeitschriften und Bücher. Erst
der Blick auf die Bauaufgabe lässt die Fotografien in der Tiefe verstehen.
ham, 15. August 2018
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