1.) Du bist von Beruf evangelischer Pfarrer und liebst die Kunst. Du predigest, sprichst von Gott und organisierst Ausstellungen. Du hast Wissenschaftler, Philosophen, Theologen und andere eingeladen, um Vorträge über natur- und geisteswissenschaftliche Themen, Kunst und Religion zu halten. Damit gehst Du über die gewohnte Arbeit eines Pfarrers hinaus. Was ist neu an dieser Arbeit?
Bist Du nun Ausstellungsmacher oder Pfarrer? Wie siehst Du Dich selbst?
 
Antwort:
Ich habe schon als Student davon geträumt, dass ein Pfarrer, die wichtigsten
Fragen des Lebens verstehen sollte: Die Fragen, die die Menschen im Kern
ihrer Existenz bewegen und die Fragen, die mit der Herkunft und Zukunft der
Welt zusammenhängen. Deshalb habe ich sehr umfassend studiert, um einen
Überblick zu bekommen. Ich habe neben theologischen auch philosophische,
psychologische und soziologische Vorlesungen gehört. Ich hatte ein Stipendium
am theologischen Stift in Tübingen (ALEMANIA), dort hatten auch Hegel und
Hölderlin studiert. Dort war es üblich ganze Nächte zu diskutieren.

In den ersten Jahren meines Berufes habe ich mich schon mit Bildern
beschäftigt. Ich kam immer mehr zur Überzeugung, dass etwas fehlt, wenn
der künstlerische Zugang zur Welt fehlt. Daraus nun ist eine lebenslange
Auseinandersetzung mit der Kunst geworden.
Heute bin ich derAuffassung, dass Religion Kunst braucht, wenn von Gott die
Rede ist. Künstler sind Spezialisten für das formal Neue und für das, was
überrascht. Für mich steht Gott für das, was die Welt braucht. Deshalb habe ich
begonnen, nach Bildern und Künstlern zu suchen, die dafür kämpfen, dass
dieses Neue zur Sprache kommt. Deshalb habe ich als Pfarrer damit
begonnen Ausstellungen zu kuratieren. Ich bin also Beides: Pfarrer und
Ausstellungsmacher (Kurator).
 
2.) Gab es Widerstände gegen diese neuen Aktivitäten von Seiten der Gemeinde
und von der Kirchenorganisation?
 
Antwort: In der evangelischen Kirche gibt es ein Gremium, das Entscheidungen
trifft. Wenn man dort die Mehrheit hat, kann man auch Neues machen. Ich hatte
immer die Mehrheit. Deshalb konnte ich über 220 Ausstellungen organisieren.
Trotzdem hatte ich immer Feinde, die der Überzeugung waren, dass Kunst nicht
in die Kirche gehört. Sie dachten, ich wolle aus der Kirche eine Galerie
machen.
       
3.)  Was hat nun Kunst mit Religion zu tun?
 
Antwort: Für mich sind Kunst und Religion mit zweieiigen Zwillingen zu
vergleichen, die sich auseinandergelebt haben und einander fremd geworden
sind. Das kann man an den Kultgegenständen und Höhlenmalereien der
Steinzeit erkennen.
In der Neuzeit hat sich die Kunst von der Religion emanzipiert. Sie ist autonom
geworden.Das Verständnis von Autonomie hat sich aber Ende den1960-iger-
Jahren in Europa verändert. Deshalb ist eine Begegnung mit Respekt wieder
möglich.
 
4.)   Die Kirche hat im Mittelalter schon immer mit Künstlern gearbeitet.
Kunstwerke wie z.B der Kölner Dom in Köln, Alemania, wurden von
Werkstätten erbaut.Die Kirche war der Auftraggeber.
Im Übergang zur Neuzeit ändert sich das Bild des Künstlers. Der Künstler
empfindet sich immer mehr als Genie.
 
Antwort: Das stimmt. Der Künstler sieht sich immer mehr als Schöpfer, der sich
eine eigene Welt erschafft. Albrecht Dürer hat begonnen, mit seinem Namen zu
signieren.
 
5.) Was ist dann später in Deutschland mit dem Aufkommen des
Protestantismus passiert? War Martin Luther dagegen, dass es Bilder in der
Kirche gibt?

Antwort:  Ende des Mittelalters gab es die Vorstellung, dass man sich durch die
Stiftung eines Bildes an die Kirche von den Sünden freikaufen kann. Dagegen
hat Luther protestiert. Er hat Flugblätter und polemische Bilder gegen die
katholische Kirche verbreitet. Bilder waren für Martin Luther weltlich weltlich
geworden, Bilder waren säkularisiert. Viele sehen darin denBeginn der
Modernen Kunst.
 
6.) Du hast in der Kirche auch sogenannte “Bild – Predigten” gehalten ?
 
Antwort: Bei den Bild – Predigen wurden Bilder neben dem  Bibel- Text zu
einem quasi zweiten Text. Dieser zweite Text hat wie die Bilder der
Sprache eine hohe sinnliche Qualität. So wurden neue Zugänge zu
existenziellen Fragen eröffnet.
 
7.) Du bist mit dem Jesuiten Friedhelm Mennekes in Köln und Monsignore
Mauer in Wien (Viena) einer der wenigen Geistlichen, die Brücken gebaut
haben zwischen Gegenwartskunst und Religion.
Warum haben so wenig Geistliche diese Revolution gewagt?
 
Antwort.:  Die Gegenwartskunst war individualistisch und elitär geworden. Nur
ein Spezialist konnte sie noch verstehen.
 
 
8.) Gibt es ein neues Bewusstsein?
 
Antwort: Es gibt eine neue Offenheit, ein neues Verständnis. Das zeigt sich z.B.
daran, dass Gerhard Richter ein grosses Fenster im Kölner Dom gestalten
durfte. Der Gewinner des Goldenen Löwen auf der Biennale in Venedig Tobias
Rehberger hatte Jahre vorher bei mir ausgestellt.
 
9.) Warum, lieber Helmut, bist Du nach Kuba gekommen?
 
Antwort: Ich hatte Arbeiten von Siegfried Kaden, der seit fast 20 Jahren hier in
Havanna lebt, erstmals 1988 im Rahmen der Gruppenausstellung ECCE
HOMO vorgestellt und ihn 1993 zu einer Einzelausstellung eingeladen.
Darüber sind wir Freunde geworden. Seit er in Havanna lebt besucht er uns
regelmässig. Siegfried Kaden war auch für einige Jahre Vizepräsident, der von
mir gegründeten internationalen Gesellschaft für Gegenwartskunst und Kirche
ARTHEON. In der Zeitschrift der Gesellschaft ARTHEON hat er über junge
kubanische Kunst berichtet.

Im April 2015 plane ich eine Ausstellung mit der Kubanerin Cirenaica
Moreira und mit Siegfried Kaden. Darauf freue ich mich.

(Das Interview wurde Ende November in Radio Havanna gesendet und zweimal wiederholt)

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