Publikation zur gleichnamigen Ausstellung vom 25. September 2016 – 15. Januar 2017 im Kunstverein
Reutlingen mit einem Vorwort von Christian Malycha und einem Gespräch zwischen Georg Baselitz, Albert
Oehlen, Hendrik Lakeberg und Christian Malycha
Kunstverein Reutlingen / Harpune Verlag Wien, 2016, ISBN 978-3-902835-41-3, 72 Seiten. 20
Farbabbildungen, Leinen/Hardcover gebunden, Format 30,6 x 24,4 cm, € 28,00
Für Christiane Lange ist die noch bis 8. Januar 2017 in der Staatsgalerie Stuttgart zu sehenden Ausstellung
Francis Bacon, Unsichtbare Räume unter anderem deshalb sensationell, weil es gelungen ist, 30 Jahre nach
der noch vom Künstler selbst mitverantworteten ersten Bacon Ausstellung in Stuttgart in kürzester Frist
erneut rund 40 Werke und darunter zahlreiche Triptychen des zwischenzeitlich mit Höchstpreisen
gehandelten Künstlers in Suttgart zu versammeln, sie auf ihr Raum-, Menschen- und Moderne-Verständnis
zu befragen und damit einmal mehr zu dokumentieren, dass die Flaggschiffe in der Museumslandschaft des
Südwestens für die kultur- und kunstinteressierte Öffentlichkeit unverzichtbar sind.
Dass faktisch zeitgleich im rund 40 Kilometer südlich von Stuttgart gelegenen Kunstverein Reutlingen 12
zumeist eigenes für dieses Projekt geschaffene neue Werke des zwischenzeitlich 78 Jahre alten Georg
Baselitz und des 16 Jahre jüngeren Ex-Wilden Albert Oehlen erstmals in einer gemeinsamen Ausstellung
gezeigt werden, ist mindestens ebenso bemerkenswert: Man würde den wegen seiner 1962 /63
entstandenen sexuell aufgeladenen Arbeit Die große Nacht im Eimer mit einem Prozess überzogenen
späteren Über-Kopf-Maler Baselitz ebenso wie den Ex-Wilden Oehlen heute eher in großen Museen als in
einem mit beschränkten Mitteln und Personal ausgestatteten Kunstverein einer mittelgroßen Stadt von rund
112 000 Einwohnern erwarten. Deshalb wurde in den ersten Notizen in der überregionalen Presse zur
Reutlinger Ausstellung auch nach deren Etat gefragt. Der Leiter des Kunstvereins Reutlingen Christian
Malycha konnte berichten, dass der Etat bei rund 100 000 € liege und dass 90 000 € aus Spendenmitteln
aufgebracht werden konnten. Auch das ist erstaunlich. Für Malycha bietet die Ausstellung von Georg
Baselitz und Albert Oehlen „die einmalige Gelegenheit, den visuellen Dialog zweier
Künstlerpersönlichkeiten mit allen Unterschieden und unerwarteten Gemeinsamkeiten zu erleben und
teilzuhaben an ihrer die Generationen übergreifenden Auseinandersetzung, Infragestellung und
ungebrochenen Erneuerung der Malerei. Und das seit nahezu 60 Jahren bei Georg Baselitz und fast 40 Jahren
bei Albert Oehlen“ (Christian Malycha S. 5).
Baselitz zeigt in seinen in goldfarbenen Rahmen präsentierten großformatigen Ölmalereien in Weiß an die
Ränder der schwarzen Bildgründe wie mit Rauch hingehauchte zarte, zerbrechlich Schuhe, die an die Schuhe
von Frida Kahlo, an die Tanzdiagramme von Andy Warhol, aber auch an verschlüsselte Kürzel oder Chiffren
für endlose Kreisläufe erinnern könnten. Die Mitte bleibt leer , »keine Säule, Taube oder Lilie«“ (Christian
Malycha / Georg Baselitz S. 4). Oehlen unterlegt seine schwarzen, teils geometrischen, teils frei über die
gesamte Bildfläche wuchernden Annäherungen an die Strukturen von Bäumen mit Farbfeldern in Magenta.
Er malt nicht wie Baselitz auf Leinwand, sondern auf Aluminium. „Auch Albert Oehlen geht es um
»handgemachte Malerei«, um eine Malerei allerdings, die ausdrücklich um ihr Gegenteil weiß und es dabei
spielend aushebelt“ (Christian Malycha S. 4). Beide, Baselitz und Oehlen testen die „vermeintliche
Darstellungsfunktion des Bildes“ aus „und die fortwährende Frage, wie viel man »in dem, was als
Repräsentatives da ist«, erkennen oder stattdessen »von sich weghalten« möchte“ (Christian Malycha /
Albert Oehlen S. 4). Wer die Bacon-Ausstellung in Stuttgart besucht, sollte auch den Weg nach Reutlingen
auf sich nehmen und umgekehrt.
ham, 8. Oktober 2016