Ausstellungskatalog des Ulmer Museums und des Museums of the Bible, Washington, D.C.; mit einem
Grußwort von Ivo Gönner und einem Vorwort von Gabriele Holthuis und David Tropisch

Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2016, ISBN 978-3 525-55246-9, 167 Seiten, € 24,00

Al-Andalus und insbesondere Cordoba und Granada im Süden der iberischen Halbinsel gelten im
sogenannten Goldenen Zeitalter des Islam (750 n. Chr. – 1258 n. Chr.) als Zentren von Kultur, Wissenschaft
und des Austauschs zwischen den monotheistischen Religionen. „Insbesondere Albucasis und Averroes
hatten erheblichen Einfluss auf die intellektuelle Entwicklung des mittelalterlichen Europa, und die
Bibliotheken und Universitäten von al-Andalus waren in Europa und in der islamischen Welt berühmt und
renommiert“. Nach der Eroberung von Toledo im Jahr 1085 kamen „Gelehrte aus anderen Ländern dorthin,
um Übersetzungen wissenschaftlicher Literatur aus dem Arabischen ins Lateinische anzufertigen. Der
bekannteste von ihnen war Michael Scotus (um 1175 – um 1235), der die Werke von Averroes und Avicenna
später nach Italien brachte. Dieser Wissenstransfer hatte starken Einfluss auf die Entstehung der Scholastik
im christlichen Europa“ (In: https://de.wikipedia.org/wiki/Al-Andalus). Ob der Wissenstransfer in Al-
Andalus auch zwischen Anwesenden stattgefunden hat, kann an dieser Stelle offen bleiben. Dass er im
ausgehenden Mittelalter im süddeutschen Raum und in Ulm auch auf schriftlicher und bildlicher Ebene
geführt worden ist, führt die sehenswerte Ausstellung Glaubensfragen. Chatrooms auf dem Weg in die
Neuzeit auf hohem Niveau vor.

Die von Felicitas Heimann-Jelinek in der Ausstellung Glaubensfragen vorgestellten rund 80 seltenen
Miniaturen, Gemälde, Bücher, Handschriften, Skulpturen und frühen Drucke vor allem aus dem
süddeutschen Raum führen Möglichkeitsräume vor, die einen Diskurs zwischen Nicht-Anwesenden über die
religiösen, sozialen, politischen kulturellen Grenzen hinweg erlaubt haben. Wenn Chatrooms im digitalen
Zeitalter für die vielseitigen Beziehungsgeflechte stehen, die den Streit um die jeweils treffenden kulturellen
Formen, die wechselseitige Beeinflussung und den Diskurs von Nichtanwesenden kennzeichnen, kann man
ihre mittelalterlichen „Vorläufer“ auch Chatrooms auf dem Weg in die Neuzeit nennen. Genau dies schlägt
die Kuratorin der Ausstellung Heimann-Jelinek vor. An den von ihr unter anderem aus Wien, New York, St.
Gallen, Nürnberg, Amsterdam, Tel Aviv, Krakau, Brüssel, Parma und Heidelberg zusammengetragenen
Exponaten „lässt sich demonstrieren, dass es jenseits aller kulturellen, sozialen und politischen Grenzen
intellektuelle »Möglichkeitsräume« gab, in denen man – mal mehr, mal weniger polemisch – diskutieren
konnte. Diese »Möglichkeitsräume« fungierten wie heutige chatrooms, in denen man sich streiten, aber auch
austauschen konnte und zu überzeugen versuchte. Etliche Werke verweisen auch auf die tiefen Wurzeln
jüdischer Kulturschaffender in der Regionalkultur“ (Felicitas Heimann-Jelinek S. 12).

Zwischen Ulm und dem Bodensee lebten im Mittelalter und in der frühen Neuzeit „rechtgläubige“ Christen,
Anhänger gegenkirchlicher Bewegungen und Juden nebeneinander. Auch wenn es keine ansässigen Muslime
gab, wurden der Koran und die islamische Wissenschaft rezipiert. Die größte Minorität waren die Juden. In
Ulm spielte bis zur Vertreibung der Juden im Jahr 1499 die jüdische Buchkunst eine große Rolle. Dass es
einen Austausch zwischen christlicher und jüdischer Buchkunst gegeben haben muss, lässt sich etwa an der
christlich gedeuteten Menora in der Sammelhandschrift mit Petrus von Poitiers, 1330 – 1340, den für die
Fassaden gotischer Kirchen wichtigen Drachenmotiven im hebräischen Gebetbuch von Esslingen aus dem
Jahr 1290 und in der Übernahme einer jüdischen Auslegung des Mose-Mythos in der illustrierten deutschen
Bibel aus Nürnberg aus dem Jahr 1483 zeigen: Demnach hat schon der zwei- oder dreijährige Mose dem
Pharao seine Krone abgenommen, als er ihm von seiner Tochter übergeben worden ist. Auf einem jüdischen
Hochzeitsring aus Deutschland vom Anfang des 16. Jahrhunderts ist ein Aufbau zu sehen, der an eine
Monstranz erinnert und die Weltchronik des Rudolf von Ems zeigt Jakob in der in Rudolfs Zeiten typischen
Tracht mit dem Judenhut, als er mit den Seinen vor der Hungersnot nach Ägypten flieht.

Dass der Austausch zwischen den Religionen nicht vor Verirrungen und fremdenfeindlichen Auswüchsen
schützt, demonstriert der antiislamische und antijüdische Kommentar des Dominikaners Agostino Giustiniani
in seiner Ausgabe des in acht Spalten nebeneinander gedruckten Psalteriums Hebreum, Grecum, Arabicum
& Chaldaeum, cum tribus latinis interpretationibus & glossis, Genua, 1516. „Als Vertreter des italienischen
Humanismus war sein Anliegen eine Besinnung auf authentische antike Quellen, wie eben die Hebräische
Bibel, ihre griechische, lateinische und arabische Übersetzung sowie ihre aramäische Paraphrasierung sie
darstellen. Wenn sein Kommentar auch antiislamische und antijüdische Polemik enthält, so weist er doch die
eingehende Beschäftigung mit den beiden anderen abrahamitischen Religionen auf. Insbesondere setze er
sich mit der hebräischen Sprache, jüdischer Textauslegung, Religionsphilosophie und der Kabbala
auseinander. Diese Auseinandersetzung wurde von den deutschen Humanisten aufgenommen und führte zu
der christlichen Hebraistik, die den Grundstein für das moderne Universitätsstudium der Judaistik sowie für
die akademische Erforschung jüdischer Kulturgeschichte und Relgion legte“ (Felicitas Heimann-Jelinek S.
16). Johannes Reuchlin hat mit seinem Lehrbuch „De Rudimentis Hebraicis“, Pforzheim 1506 das für die
christliche Hebraistik bahnbrechende philologische Lehrbuch publiziert. „Als Kaiser Maximilian 1509
anordnete, alle jüdischen Bücher im Heiligen Römischen Reich als häretisch und blasphemisch zu
konfiszieren, schritt Reuchlin ein: 1511 veröffentlichte er den »Augenspiegel«, in welchem er den
kaiserlichen Erlass auf zivil- und kirchenrechtlicher Basis zurückwies. Auch inhaltlich wies Reuchlin nach,
dass der Vorwurf der Ketzerei und der Gotteslästerung in jüdischem Schrifttum haltlos war. Einen Sturm der
Entrüstung entfesselte er, indem er Juden als »Mitbürger« und »unsere Brüder« bezeichnete und als er einen
Brief an seinen Hebräischlehrer Rabbi Jacob ben Jehiel Loans veröffentlichte, der mit der Anrede begann:
»Lieber Meister Jacob, mein Kollege, mein lieber Vertrauter, mit großer Sehnsucht wünsche ich dein
gesegnetes Antlitz zusehen, um mich an dem glänzenden Schein deines Angesichts zu ergötzen, indem ich
die reinste Lehre von dir vernehme«“ (Felicitas Heimann-Jelinek S. 104).

Von Reuchlin ist im Katalog ein Druck auf Papier, Hagenau1506, zu sehen, von Johannes Pfefferkorn,
einem der vehementesten Gegner Reuchlins, ein Druck auf Papier aus seinem Libellus de Judaica
confessiones, zu Deutsch „Die Judenbeicht“, Nürnberg 1508.

ham, 7. Juni 2016

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