Michael Diers, Lars Blunck, Hans Ulrich Obrist (Hg.)
Fundus-Bücher 206
Hrsg. von Harald Falckenberg und Nicola Torke
Philo Fine Arts Hamburg 2013, ISBN 978-3-86572-674-2, 344 S., 14 s/w-Abbildungen, Hardcover gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen, Format 16,5 x 10,5 cm, € 22,–

Nicht alle, aber die meisten der mir bekannten bis 1950 geborenen bildenden Künstler haben höchst selten öffentlich über ihr Werk gesprochen und damit die Sprichwort gewordene Aufforderung Goethes erfüllt: „Bilde Künstler, rede nicht!“ Der 1921 geborene Joseph Beuys und der 1939 geborene HA Schult sind die Ausnahmen. Wenn der 1953 geborene Martin Kippenberger in den Film ‚Kippenberger: Der Film. Dieses Leben kann nicht die Ausrede für das nächste sein‘ (Deutschland 2007) sagt: „Die einen reden, das mache ich auch mit Vorliebe. Niemals malen, malen dauert zu lange, deswegen hab ich’s auch sein lassen. Lieber reden.. Reden kommt gut!“ verschiebt sich der Fokus. Lars Blunck und Michael Diers fragen deshalb in dem überaus anregenden Fundus-Band über das Interview genau anders herum: „Reden statt Malen?“ Sie geben folgende vorläufige Antwort: „Was bei Kippenberger – wie vor ihm bei Andy Warhol und Joseph Beuys sowie nach ihm bei Jonathan Meese oder etwa John Bock – vielleicht sogar als eigenständige performative Kunstform, zumindest als mediale >>Selbst<<-Inszenierung erscheint, ist seit Ende des 19. Jahrhunderts, vor allem aber seit den 1950er Jahren zu einer festen Rubrik in der Kunstpublizistik geworden: das >>Reden<<, das Sprechen des Künstlers. >>The Artist Speaks<< lautete dann auch der programmatische Titel einer Mitte der 1960er Jahren eröffneten Interview-Kolumne des New Yorker Kunstmagazins ‚Art in America‘. Robert Rauschenberg, Claes Oldenburg, Robert Morris und andere (männliche) Künstler wurden befragt, gaben Auskunft, standen Rede und Antwort. Dies schien Authentizität und Unmittelbarkeit zu verbürgen, versprach Neuigkeiten und unverhoffte Einblicke zu eröffnen. Die 60er Jahre, schreibt Philip Ursprung, waren eine >>Blütezeit<< des Künstlerinterviews“ (Lars Blunck, Michael Diers). In ihrem einführenden Beitrag skizzieren sie unter anderem Peter J. Schneemanns Aufsatz über die Produktion von Quellenschriften in der amerikanischen Kunstszene der 1950er Jahre. „Häufig genug seien dabei – und dies, so Schneemann, unter Ausblendung der >>multiplen Autorschaft<< und des >>Collaborative Writing<< … - die selbsterklärenden Künstleraussagen kurzerhand zu Aphorismen verkürzt worden“. Nach Andreas Zeising ließe sich zwar das journalistische Interesse an Künstleraussagen schon im frühen 20. Jahrhundert registrieren, aber Originaltöne der Künstler seien erst ab Mitte der 20er Jahre im Medium des Rundfunks verbreitet worden. Für Isabelle Graw steht das Künstlerinterview im Zeichen des Kommunikationsimperativs der post-fordistischen Ökonomie, die den Menschen ganz vereinnahme. „Mit Interviews und Künstlergesprächen würde … der neue Geist des Kapitalismus perfekt bedient. Vor diesem Hintergrund kritisiert sie im Künstlerbetrieb einen Mangel an Kritik und >>sachlichem Dissens<< in Zeiten einer Gesellschaft, deren Imperative >>Kontaktpflege<< und >>Networking<< lauteten“ (Lars Blunck, Michael Diers). Graws Alternative ist das Streitgespräch. Hans Ulrich Obrist pflegt dagegen die „Infinite Conversation“ und berichtet, dass er sich auf seine Gespräche durch die Lektüre der gesamten über seine Gesprächspartner erschienenen Literatur vorbereitet. Der Hintergrund für diese aufwändige Praxis könnte ein absolut gescheitertes Interview sein. „Um 1990 hatten wir uns im Gespräch mit Fischli/Weiss überlegt, dass es interessant sein könnte, den Philosophen Vilém Flusser, der damals auf Schloss Solitude bei Stuttgart weilte, zu besuchen, da es einen Bezug gab, zwischen dem, was Flusser über Fotografie schreibt und den Fotografien von Fischli/Weiss in den frühen 1990er Jahren. Flusser war einverstanden, das Gespräch fand statt und wir hatten auch sehr viel Dokumentation dabei. Das einzige Problem war, dass nichts, was Flusser zu den Arbeiten von Fischli/Weiss sagte, irgendwie von Belang war“ (Hans Ulrich Obrist). In der Folge begann er, seine Gespräche aufzuzeichnen, auf Fortsetzung anzulegen und Aspekte in den Mittelpunkt zu stellen, die bisher in der Literatur übersehen worden sind. ham, 16.10.2013 Download: Das Interview - Formen und Foren des Künstlergesprächs

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