… und wie wir das ändern können: Antwort eines Verhaltensökonomen
Siedler Verlag, München, 2022, ISBN 978-3-8275-0160-8, 334 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag,
26 Abbildungen, Lesebändchen, Format 22 x 15 cm, € 24,00
Die Frage, ob Menschen gut sind und das Richtige tun können, bewegt Religionsstifter, Theologen, Philosophen und Ethiker seit Menschengedenken. Dass aber ein Wirtschaftswissenschaftler fragt, warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein, ist neu.
Für den 1968 in Bergisch Gladbach geborenen Armin Falk ist diese Frage alles andere als trivial. Der vielfach ausgezeichnete Träger des Leibniz-Preises, Professor für Volkswirtschaftslehre, Direktor des Behavior and Inequality Research Institute(briq) sowie des Labors für Experimentelle Wirtschaftsforschung an der Universität Bonn geht davon aus, dass uns unser Alltag fortwährend dazu zwingt, uns zwischen richtig und falsch, zwischen Gut und Böse, zwischen Altruismus und Eigennutz zu entscheiden. „Sind wir bereit, anderen zu helfen, für Bedürftige zu spenden, uns klimafreundlich zu verhalten, ehrlich zu sein und kooperativ? Oder wählen wir die ›angenehmere‹ Alternative und denken in erster Linie an unseren Vorteil? … Permanent ringt das Gute mit dem Eigennützigen in uns und es geschieht eben ziemlich oft, dass wir uns für unseren eigenen Vorteil und gegen das Gemeinwohl entscheiden, obwohl wir doch eigentlich davon überzeugt sind …, dass wir im Grunde anständige Typen sind. Und obwohl wir doch alle gerne in einer besseren Welt leben wollen“ (Armin Falk S. 9 f.).
Aber das Gute ist nicht einfach zu haben. Der altruistische Akt ist teuer. Spenden kostet Geld, Helfen Aufmerksamkeit und Zeit. Wenn der fremde Blick mit unserem Selbstbild in Konflikt gerät, helfen uns Geschichten, die unser falsches Verhalten ins rechte Licht rücken. Das Böse entsteht auch dadurch, dass wir viele kleine gute Dinge tun, uns mit symbolischen Wohltaten zufriedengeben, das eigentlich Problem ausblenden und in Gruppen mit dem Handeln anderer rechnen.
Der Zielkonflikt zwischen Moral und Eigennutz ist nach Falk in der Evolution angelegt. Damit ersetzt die Evolution den Horizont der Religion und wird zum Spielfeld des Nachdenkens. „Ohne Egoismus kann sich das Individuum nicht behaupten. Aber Gruppen, die gelernt haben, zu kooperieren, waren anderen Gruppen überlegen. Die Evolution legt beides an, Eigennutz und prosoziales, kooperatives Verhalten. Aber die entscheidende Frage lautet: Unter welchen Bedingungen sind wir eher eigennützig und wann eher moralisch? Wie verändern Situationen und Kontexte die Wahrnehmung von Kosten und Nutzen? Und was können wir tun, um dem Guten eine bessere Chance zu geben?“ (Armin Falk S. 31).
Falks Lösung ist die Aufklärung über die moralischen Stolperfallen in Situationen und Kontexten, in denen Entscheidungen fallen, und das Verstehen dessen, was uns daran hindert, uns anständig zu verhalten. Deshalb setzt er auch auf die Popularisierung der wissenschaftlichen Erkenntnisse. „Nicht obwohl, sondern gerade weil es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein, sollten wir alles Menschenmögliche versuchen“ und aufklären, uns ehrlich machen, Reputationseffekte nützen, Entscheidungsarchitekturen optimieren, andere mit Respekt behandeln, sozialen Normen Geltung verschaffen, positive Vorbilder schaffen, die Forschung fördern und mehr Kant wagen (vergleiche dazu S. 261 ff.).
Mit der Aufklärung ist für Falk die religiöse Begründung der Moral verloren gegangen. Seither steht der philosophische Diskurs westlicher Prägung vor Letztbegründungsproblemen. Falk setzt weder auf die Utilitaristen noch auf die regelbasierte Logik. Die Utilitaristen machen „das moralisch richtige Verhalten an den Konsequenzen für andere fest …, verbunden mit der Forderung, den Nutzen der Menschen zu mehren. Moralisch geboten ist demnach ein Verhalten, das anderen nützt. Das Verhalten wird an seinen Konsequenzen gemessen. Sie entscheiden darüber, was gut und böse ist. Auf der anderen Seite steht eine deontologische und regelbasierte Moral, wie sie von Immanuel Kant und seinen Anhängern formuliert und gefordert wird … Hier sind es nicht die Konsequenzen, auf die unser Verhalten gerichtet sein soll, sondern die Absichten und die Einsicht in richtig und falsch. Gut ist, was als richtig erkannt wird, unabhängig von seinen Konsequenzen. Eine von vielen Ausprägungen dieser Ethik ist der berühmte kategorische Imperativ, wonach ein Verhalten als moralisch gilt, von dem man wollen kann, dass es als Prinzip einer allgemeineren Gesetzgebung gelte. Man soll sich also so verhalten, wie man es sich auch von seinem Mitmenschen wünschen würde“ (Armin Falk s. 301 f.).
Das an den Konsequenzen orientierte utilitaristische Denken und die regelbasierte Logik scheitern nach Falk in unserer modernen, arbeitsteiligen und komplexen Welt daran, dass „es angesichts von Arbeitsteilung, Entscheidungen in Gruppen, durch Delegation oder auf Märkten häufig zu einer Diffusion von Verantwortung kommt. Das bedeutet, dass wir in unserer modernen, arbeitsteiligen und komplexen Welt regelmäßig Entscheidungen treffen, bei denen wir nicht pivotal sind, die aus Sicht des Individuums keine unmittelbaren negativen Konsequenzen haben … Wenn ich es nicht mache, macht es jemand anders – diese beinharte Logik lässt das Schwert utilitaristischer Ethik stumpf werden. In Situationen, in denen ich nicht pivotal bin, verliert der Konsequentialismus seinen Biss, seine handlungsregulierende Macht … Wir brauchen also mehr Kant. Denn eine regelbasierte Ethik ist auch in Kontexten diffuser Verantwortung wirkmächtig“ (Armin Falk S. 302 f.).
Der kategorische Imperativ ist laut Kant das einzige Gesetz, das sich die Vernunft selber geben kann. „Aber das Problem – und da kommt Gott ins Spiel – ist: Niemand kann einem garantieren, dass man, wenn man als moralischer Mensch in der Welt lebt und handelt, wirklich das Gute herbeiführt und damit selig werden kann. Ja, es kann sogar sein, dass es den moralisch guten Menschen im Leben schlecht geht. Deshalb brauchen wir Gott als jemanden, der das moralische Wesen des Menschen ergründen und erkunden kann und ihm am Ende des Lebens die entsprechende Seligkeit zuteilt“ (Dirk Evers, Kann man beweisen, dass es Gott gibt? In: https://www.zeit.de/campus/2018-01/gottesbeweis-glaube-wissen-naturwissenschaft-religion/komplettansicht). Wenn Falk mehr Kant haben möchte, kommt er um Gott schwerlich herum.
Deshalb verwundert es, dass er weder auf die große Bedeutung der Religion für den moralischen Diskurs in den USA (vergleiche dazu God’ Own Country. In: https://www.bpb.de/themen/nordamerika/usa/10727/god-s-own-country/) noch auf die Bedeutung des Religionsunterrichts für die Gewissensbildung (vergleiche dazu etwa https://books.google.de/books?id=_QlWm5n30jEC&pg=PA87&lpg=PA87&dq=Die+Bedeutung+des+Religionsunterrichts+für+die+Gewissensbildung&source=bl&ots=-ag17jJNLT&sig=ACfU3U2xBjlhlFO1HjC2RMLm7gQkJEHcAg&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwjl04uuj4X4AhXV8LsIHTH7CrwQ6AF6BAgjEAM#v=onepage&q=Die%20Bedeutung%20des%20Religionsunterrichts%20für%20die%20Gewissensbildung&f=false) noch auf die moralisch-ethische Urteilsbildung in den Kirchen (vergleiche dazu das gleichnamige Studiendokument der Kommission für Glaube und Kirchenverfassung des ÖRK. In: https://www.oikoumene.org/sites/default/files/Document/MoralDiscernmentDeutsch.pdf) eingeht. Sein Bild von Religion nach der Aufklärung wird zur Karikatur: „In früheren Zeiten verhielten sich die Menschen auch deshalb moralisch, um ein gottgefälliges Leben zu führen. Moral gründete in religiösen Vorstellungen von Gut und Böse, tradiert durch Riten und Glaubenspraxen, angeleitet von Priestern und weiterem ›Bodenpersonal‹ Gottes auf Erden. Der Deal war dabei recht einfach. Wer nicht pariert, schmort in der Hölle. Unabhängig davon, dass weder die Existenz noch die Nichtexistenz supernatürlicher Mächte bewiesen werden kann, hat die Angst vor dem Fegefeuer und göttlichem Gericht nachweislich an Einfluss verloren, zumindest in modernen Gesellschaften“ (Armin Falk S. 301).
Man fragt sich, warum Armin Falk diese Karikatur braucht und erinnert sich an die Antwort Jesu auf die Frage des reichen Jünglings: „Meister, was soll ich Gutes tun, damit ich das ewige Leben habe?“ „Willst du vollkommen sein, so geh hin, verkaufe, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben; und komm und folge mir nach! Da aber der Jüngling das Wort hörte, ging er betrübt von dannen; denn er hatte viele Güter“ (Matthäus 19, 16. 21f.).
ham, 30. Mai 2022