Tagebuch eines Leipziger Kunstsammlers
E.A. Seemann Verlag Leipzig, 2012, ISBN 978-3-86502-292-9, 303 S., 45 Farbabbildungen,
Hardcover gebunden mit Schutzumschlag, Format 22 x 14 cm, € 19,90 (D) / 20,50 (A) / SFR 28,90
1997 haben der 27. Deutsche Evangelische Kirchentag und die Stadt Leipzig vom 30.05. – 21.06 zur
Ausstellung ‚Wundmale‘ im Keller von Specks Hof, im Foyer des Universitätshochhauses
Augustusplatz und in Oelssners Hof in der Ritterstraße 20-26 in Leipzig eingeladen. Gezeigt wurden
im wesentlichen Arbeiten von Künstlern der Geburtsjahrgänge 1960 bis 69 aus den östlichen
Bundesländern wie Till Exit, Leipzig, Pina und Via Lewandowsky, Berlin, Maix Mayer, Leipzig und
Florian Merkel, Berlin. Die Ausstellung wurde von Rainer Behrends, Leipzig, Harald Kunde, Dresden
und Helmut A. Müller, Stuttgart kuratiert. Bei den vorbereitenden Treffen in Leipzig konnte ich
immer wieder in dem fünf Jahre zuvor eröffneten Galerie Hotel Leipziger Hof in der Hedwigstr. 3 am
Neustädter Markt übernachten und die dort in der Lobby des Hotels, im Treppenhaus und in den
Zimmern ausgestellte Kunst aus Leipzig kennenlernen. Von den für den Kirchentag ausgewählten
Künstlern gab es keine Arbeiten, dafür aber Arbeiten unter anderem von Hartwig und Wolfram
Ebersbach, Arndt Schultheiß, Rosa Loy, Wolfgang Mattheuer, Klaus Rink und Neo Rauch. Bei den
zumeist in der Kustodie stattfindenden Vorbesprechungen für die Kirchentagsausstellung fiel mir auf,
dass sich Rainer Behrends bei der vorgeschlagenen Künstlerauswahl auffallend zurückhielt. Bei einem
späteren Besuch in Leipzig besuchte ich die im Leipziger Hof neu eröffnete Ausstellung. Am
Spätnachmittag lässt der Hotelbesitzer Klaus Eberhard fragen, ob ich Lust auf ein Glas Bier hätte. Wir
machen einen Termin aus und treffen uns am frühen Abend im gerade entstehenden Biergarten des
Hotels. Klaus Eberhard bittet mich um eine Einschätzung der Arbeiten der aktuellen Ausstellung. Wir
werden uns in der Einschätzung der Arbeiten nicht einig.
20 Jahre später liefert Eberhard in seinem ‚Tagebuch eines Leipziger Kunstsammlers‘ die Erklärung:
Er hat sich als Kernphysiker beim Aufbau seiner Kunstsammlung neben anderen vom Leiter der
Leipziger Kustodie Klaus Behrends und von Klaus Werner beraten lassen. Werner ist nach
Auffassung von Klaus Eberhard einer der bedeutendsten Kunsthistoriker unserer Zeit. „Ohne Klaus
Werner ist der heutige Welterfolg der Leipziger Malerei nicht denkbar. Er hat die Internationalität der
Kunst nach Leipzig geholt und hat die oft provinziell geprägten Denkrahmen vieler junger, heute
weltberühmter Künstler entscheidend erweitert; gleichzeitig hat er den Blick der Kunstwelt auf
Leipzig gezogen. Zu jungen Künstlern hielt er engen, freundschaftlichen Kontakt; er hat sie ermuntert,
gefördert und – was vielleicht oft das Wichtigste war – er hat an sie geglaubt. Neo Rauch hat dies
beim Tod von Klaus Werner in seinem Nachruf in der ‚Leipziger Volkszeitung‘ auf den Punkt
gebracht: >>Er engagierte sich für meine Arbeit, als ich selbst noch meinte, dieser Zuwendung nicht
würdig zu sein, da ich mich tief im Unterholz künstlerischer Irrgänge herumstolpern sah<<. Klaus
Werner gründete zusammen mit mit Arend Oetker 1989 den ‚Förderkreis der Galerie für
Zeitgenössische Kunst‘, aus dem die Galerie für Zeitgenössische Kunst als erster Museumsneubau in
den Neuen Bundesländern hervorging. Klaus Werner leitete sie und führte sie zu weltweitem
Ansehen“ (Klaus Eberhard). Werner war der Auffassung, dass es zwei Welten von Malerei gibt. Die
eine nannte er die Welt 1 und die andere die Welt 2. Die meisten Bilder, die im Leipziger Hof hängen,
haben für Werner in die Welt 1 gehört. „Es sind teilweise schöne Arbeiten, teilweise gute Qualität,
und insbesondere Bilder mit klaren Darstellungen. Die Welt 2, zu der Neo Rauch gehört und natürlich
viele andere zeitgenössische Maler, zeigt die Dinge nicht direkt. Die Bilder der Welt 2 sind voller
Geheimnisse, im klassischen Sinne nicht zu >>verstehen<<. Sie leben von Andeutungen und von der
Fantasie des Betrachters. Bilder von Neo Rauch können in der Welt 1 nicht existieren. Sie können dort
nicht >>leben<<, sozusagen in einer Umgebung von >>toten Bildern<<… Ich bin in der Welt 1 groß
geworden… Die Welt 2 kannte ich nicht, ich durfte nicht reisen. Aber mein Interesse galt der Welt 2.
Die Entwicklung geht immer von Welt 1 zu Welt 2, nie umgekehrt“ (Klaus Werner). Mit dem Welt 1-
und Welt 2-Modell von Klaus Werner werden die Zurückhaltung von Rainer Behrends in den
Kuratorensitzungen für den Kirchentag und die unterschiedlichen Einschätzungen von Klaus Eberhard
und mir beim Gespräch über die aktuelle Ausstellung im Leipziger Hof klar: Behrends und Eberhard
leben in Welt 1; ich fühle mich eher in Welt 2 zu Hause.
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