Im Anschluss an den Presserundgang zur Doppelausstellung Özlem Günyol & Mustafa Kunt / pe wolf treffe ich den 1944 in Weikersdorf /Mähren geborenen langjährigen Leiter der Werkstatt für Fotografie an der Staatliche Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe Peter Wolf (pe wolf) im Projektraum der Städtischen Galerie und bitte ihn, mir etwas zu seinen Fotoarbeiten zu sagen, weil ich durch eine unterirdisch lange Umleitung zu spät zur Pressekonferenz gekommen bin. Er deutet auf seine großformatige schwarz-weiße Fotografie einer jungen blonden Frau mit einem wohl schwarz oder braun gelockten Kind und sagt, das sei seine erste Aufnahme gewesen. Der im Katalog zur Ausstellung „Ohne Titel, pe wolf – Fotografie“ veröffentlichte Text von Michael Hübl beschreibe seine Arbeit hervorragend. Im Übrigen seien die im Katalog reproduzierten Fotografieren deutlich besser wiedergegeben als die im Projektraum gezeigten. Das sei ungewöhnlich; normalerweise sei es umgekehrt. 

Deshalb greife ich mit großem Interesse zu dem Katalog und studiere Wolfs Fotografien und Hübls „Nach vorwärts erinnert“ überschrieben Text. Er beginnt mit dem Satz  „Eine Kammer kann eine ganze Welt bedeuten“. In dem Text über ein fotografisches Lebenswerk denke ich natürlich zuerst an die lange Geschichte der camera obscura und „Die helle Kammer“ von Roland Barthes, danach aber auch an „Die dunkle Kammer“, das romanhafte Kaleidoskop zwischen Traum und Literatur des schon mit 46 Jahren verstorbenen französischen Kultliteraten Georges Perec. Deshalb wundert es mich, dass Hübl nach seinem ersten Satz an den jungen Søren Kierkegaard erinnert, der immer dann, wenn er seinen Vater bat, in die Stadt oder ins Freie gehen zu dürfen, von diesem an die Hand genommen wurde und mit ihm einen Spaziergang im Zimmer gemacht hat. Die beiden unterhielten sich auf ihrer fingierten Wanderung in den eigenen vier Wänden und überboten sich in dem Bemühen, einander auf alles aufmerksam zu machen, was ihnen unterwegs begegnet ist. Jetzt kommt Hübl aber doch auf die camera obscura, die Geschichte der Fotografie und weiter auf Ludwig Wittgenstein zu sprechen und erinnert an seinen Satz aus dem Tractatus logico-philosophicus, dass die Welt alles ist, was der Fall ist. Dieser Satz, so Hübl, könnte das Grundprinzip sein, auf dem pe wolf seine fotografische Arbeit aufbaut: pe wolf halte mit seiner Kamera alles fest, „was der Fall ist“.

Seine Aufnahmen verhandelten Tatsachen als Verbindung von Gegenständen im größeren Kontext. Durchgehend seien die Themen Vergänglichkeit und Zeit und die Doppelung von Motiven. „Die Verdoppelungen (Wiederholungen), die er vornimmt, stehen nicht nur … für den Fluss der Zeit oder allgemein für Vergänglichkeit, sie regen nicht nur zu differenzierter Wahrnehmung an und hinterfragen die vermeintliche Objektivität des Mediums Fotografie, vielmehr ist mit dem Verknüpfen eines ersten Fotos mit einem zweiten, darauffolgenden immer auch ein Fortschritt angesprochen, gleichsam als Hinweis: Es muss nicht so bleiben, wie eben (mit dem ersten Bild) konstatiert wurde. Es gibt Alternativen … Wie meinte Wittgenstein in seinem Tractatus, 2.22,5: »Ein a priori wahres Bild gibt es nicht«“

Der 2025 zur Ausstellung erschienene Katalog „Ohne Titel / pe wolf – Fotografie“ hat 240 Seiten, zahlreiche Duoton- und Farbabbildungen, einen Leineneinband, Fadenheftung, das Format 24 x 17 cm und kostet an der Museumskasse 25 €. Dort ist begleitend zur Ausstellung auch Wolfs Katalog „ohne Auftrag“ aus dem Jahr 2014 für 22,50 € zu erhalten.

ham, 28. September 2025

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