Kösel-Verlag, München 2025, ISBN 978-3-466-37339-0, 171 Seiten Hardcover mit Schutzumschlag, Format 21,8 x 13,9 cm €, 20,00

Für den 1953 geborenen Erzbischof von München Reinhard Marx lassen die Auswirkungen des Klimawandels und des Artensterbens, die Folgen der COVID-Pandemie, die bis heute nachwirkende weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise, Kriege, Gewalt, Terror, globale Machtkämpfe und die stetig zunehmende weltweite Migration fragen, wo die Kräfte des Zusammenhalts und der Solidarität geblieben sind, ob wir noch einmal Frieden erreichen und was bei alledem die Bedeutung und der Beitrag der Religion sein können.

Wie schon nach der Corona-Pandemie setzt er auf die im Gottesdienst, im Kult erfahrbare Nähe Gottes. „Wir müssen deutlich machen, dass wir eine Hoffnung haben, angesichts der Dunkelheit, angesichts der Krise, eine Hoffnung, die unser Engagement füreinander prägt, weil jedes menschliche Leben ein Geschenk Gottes ist.“ Wer Christus gefunden habe, habe eine Hoffnung, die stärker sei als der Tod. „Das kann inspirierend sein für unsere Gesellschaft, das sollten wir Christen einbringen in die Gesellschaft“ (Karl Marx am 30.3.2020 über die Zeit nach der Corona-Krise. In: DOMRADIO.DE: https://www.domradio.de/artikel/lehren-ziehen-und-hoffnung-schoepfen-kardinal-marx-ueber-die-zeit-nach-der-corona-krise). 

In seiner fünf Jahre später erschienenen Publikation »Kult« liest sich diese Zentrierung auf den Gottesdienst so: „Das Wesen des Christentums ist das Christusereignis, das sichtbar wird in der kultischen Feier von Tod und Auferstehung Jesu von Nazareth. Christentum und Kult gehören aufs Engste zusammen. Die Frage nach der Bedeutung des Kultes für die Zukunft des Christentums beschäftigt mich seit vielen Jahren. Wir sehen, dass vieles, was ursprünglich die Kirche mit initiiert hat, mittlerweile auch vom Staat, vom Gemeinwesen übernommen und damit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrgenommen wird. Das gilt etwa für Bildung, Gesundheit, sozialstaatliche Absicherung in Situationen von Armut, Alter, Pflege und Arbeitslosigkeit und erstreckt sich auch in den Bereich von Kunst und Kultur, die sich aus dem Bereich des Religiösen emanzipiert haben. Das heißt nicht, dass diese vielfältigen Bereiche nicht auch weiterhin mit einer kirchlichen Profilierung bedeutsam sind für das Handeln der Kirche. Im Zentrum steht aber doch das, was gerade in der katholischen und auch in der orthodoxen Tradition als Sakramentalität der Kirche bezeichnet wird. Es geht letztlich darum, ob Gott wirklich existiert und ob es irgendeine von Menschen denkerisch erschließbare und real erfahrbare Möglichkeit gibt, Gott zu begegnen. Diese Annahme, die im Glauben getroffen wird, führt zum Kern des Christentums, der sich in der gottesdienstlichen Feier ereignet“ (Reinhard Marx in »Kult«, S. 16 f.).

Im Gottesdienst setzt er nicht auf den weltweit zu beobachtenden charismatischen Aufbruch, sondern auf die vom Zweiten Vatikanum und der Konstitution über Liturgie angeregte »tätige und gemeinschaftliche Teilnahme« aller und die Erneuerung der liturgischen Feiern. Den Kult versteht er als Vollzug des Glaubens. Der Vollzug des Glaubens „gehört zur Religion dazu, denn das ist der Raum der Begegnung mit dem Göttlichen selbst. Ohne diesen Vollzug wäre das Christentum nur eine weitere Weltanschauung, ein Denkansatz, vielleicht eine Ethik. Das Unterscheidende, was durch den Kult hineinkommt, ist die Begegnung mit dem Göttlichen. In diesem Sinne meine ich mit Kult die Summe der praktischen Vollzüge, die auf die Verehrung Gottes, auf die Begegnung mit dem Göttlichen, auf die Feier des offenen Himmels ausgerichtet sind“ (Reinhard Marx, Seite 62).

Kult ist für ihn ein Erfahrungsraum für das Unsichtbare, Unterbrechung, eine Begegnung mit der Lebensfülle, ein ästhetisches Ereignis, Inspiration für Zukünftiges und Einladung zur Veränderung. Deshalb will er, dass das Christentum und die Kirche auf der Höhe der Zeit präsent sind und „im Dialog und anschlussfähig bleiben. Ich will, dass das Christentum und die Kirche mit der Botschaft vom Reich Gottes beunruhigen und Zeichen setzen. Ich will, dass das Christentum und die Kirche wirklich etwas sagen zu den Nöten unserer Zeit. Ich will, dass das Christentum und die Kirche selbst vielgestaltig und vielfältig sind, so dass vielen Menschen ein Zugang zum Glauben eröffnet wird. Ich will, dass es in Christentum und Kirche um einen bereichernden Zusammenhalt geht, der von Freiheit, Verantwortung und demokratischen Tugenden geprägt ist. Ich will, dass Christentum und Kirche zu einem gesellschaftlichen ›common ground‹ beitragen, der die Menschenwürde und die Menschenrechte wahrt. Ich will, dass Christentum und Kirche das Leben der Menschen feiern und den Himmel öffnen. Und all das ist keine Utopie und kein Traum, sondern dafür stehe ich ein gemeinsam mit vielen anderen, in dieser Glaubensgemeinschaft, immer wieder gestärkt und ermutigt durch die Feier des Kultes!“ (Reinhard Marx, Seite 150).

Marx weist also die den Kirchen und der Religion im Kontext der Corona-Pandemie unterstellte mangelnde Systemrelevanz entschieden zurück und geht davon aus, dass der Kult auch in der deutschen Gesellschaft  durch nichts anderes ersetzt werden kann. Kirche ist und bleibt Kult (vergleiche dazu auch Stephan Schade, Systemrelevant? In: https://www.loccum.de/blog/systemrelevant/).

ham, 3. Juli 2025

Kommentare sind geschlossen.

COPYRIGHT © 2023 Helmut A. Müller