Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft Berlin, 2023, ISBN 978-3-87157-264-7, 283 Seiten, 32 Farbtafeln und 206 schwarz-weiße Abbildungen, Hardcover, gebunden, Format 26,5 x 20,7 cm, € 69,00.

Der 1933 in Köln geborene und mit der Rubenow-Medallie der Stadt Greifswald ausgezeichnete Kunsthistoriker Helmut Börsch-Supan hat dem Maler Caspar David Friedrich mit seiner Promotion über seine Bildgestaltung aus dem Jahr 1958, dem Werkverzeichnis des Künstlers aus dem Jahr 1973 und seiner Publikation ›Caspar David Friedrich. Gefühl als Gesetz‹ aus dem Jahr 2008 bleibende Denkmäler gesetzt. Jetzt liegt mit ›Caspar David Friedrich. Seine Gedankengänge‹ eine Bilanz seiner lebenslangen Friedrich-Forschung vor. 

Unter ›Gedankengängen‹ versteht er „einmal den Arbeitsvorgang des einzelnen Werks vor dem Beginn der Ausführung, und dann den Zusammenhang von Arbeiten in Erinnerungsketten, wie Friedrich es in einem Brieffragment gegenüber seinem Freund Georg Andreas Reimer (1776-1842) umschreibt: ›Ein Wort gibt das andere, wie das Sprichwort sagt, eine Erzählung die andere und so auch ein Bild das andere. Jetzt arbeite ich wieder an einem großen Gemälde, dem größten, so ich je gemacht …‹. Gemeint ist das verschollene Bild ‚Der Meißner Dom als Ruine‘“ (Helmut Börsch-Supan, S. 9; vergleiche dazu https://skd-online-collection.skd.museum/Details/Index/910647). Friedrichs ‚Kreuz an der Ostsee‘ (vergleiche dazu https://brandenburg.museum-digital.de/object//47585) wurde von ihm in einem Brief vom Mai 1815 an die befreundete Malerin Louise Seidler in Weimar so angekündigt: ›Das Bild für Ihre Freundin bestimmt ist bereits angelegt, aber es kommt keine Kirche darauf, kein Baum, keine Pflanze, kein Graßhalm. Am nackten steinigen Meeresstrande steht hochaufgerichtet das Kreutz, denen so es sehn ein Trost, denen so es nicht sehn ein Kreutz, denen, so es sehen ein Trost, denen so es nicht sehn ein Kreutz‹“ (Caspar David Friedrich nach Helmut Börsch-Supan S. 21). Die von Börsch-Supan daraus abgeleitete Unterscheidung zwischen dem bloßen Wahrnehmen eines Gegenstandes und damit einem Nichtsehen und dem Trost bringenden Verstehen der auf dem Bild gezeigten Symbole bestimmt sein Verständnis des Landschaftsmalers.

Der Vollmond und das von ihm angestrahlte hohe Kreuz dienen den Booten auf dem Meer als Wegweiser. „Damit wird deutlich, dass der Mond Christus bedeutet. Der am Fuß des Felsens liegende Anker, das geläufige Symbol der Hoffnung, gehört zu einem Hochseeschiff, und die langen Stangen daneben wurden zum Staken von Ruderbooten gebraucht, die Passagiere zu großen, wegen ihres Tiefgangs nicht direkt am Ufer anlandenden und auf der Reede ankernden Schiffen brachten. Damit wird als eigentliche Trostbotschaft angedeutet, dass auf das Ende der irdischen Lebensfahrt der Aufbruch in ein Jenseits folgen wird. Die Unterscheidung von Fischerbooten, die in Küstennähe operieren, und Hochseeschiffen, die Personen und Waren in ferne Häfen bringen, begegnet oft in Werken Friedrichs, in Bilderpaaren und in einzelnen Gemälden. Ferne ist dabei stets das Jenseits im religiösen Sinn“ (Helmut Börsch-Supan a. a. O.). Ein Sehen mit dem geistigen Auge, ein Insichhineinsehen auf den Göttlichen Grund, ist auch für Blinde möglich, wie seine 1802 geschaffene wohl blinde Frau mit der aufgeschlagenen Bibel und der Sanduhr vor sich zeigt (vergleiche dazu https://sammlung-online.kuma.art/node/10445): Auf der linken Seite der Bibel steht der Vers aus dem Johannes-Evangelium: ›Selig sind, die da glauben, ob sie gleich nicht sehen‹ (Johannes 20, 29).

Zu seinem berühmtesten Selbstbildnis in einer Landschaft, dem 1810 vollendeten ‚Mönch am Meer‘ (vergleiche dazu https://www.smb.museum/online-angebote/detail/hingeschaut-der-moench-am-meer-von-caspar-david-friedrich/) schreibt er in einem Textfragment: „›Und sännest du auch vom Morgen bis zum Abend, vom Abend bis zur sinkenden Mitternacht, dennoch würdest du nicht ersinnen, nicht ergründen das unerforschliche Jenseits! Mit übermütigem Dunkel wähnest du der Nachwelt ein Licht zu werden, zu enträtseln der Zukunft Dunkelheit! Was heilige Ahnung nur ist, nur im Glauben gesehen und erkannt, endlich klar zu wissen und zu verstehn! Tief zwar sind deine Fußstapfen im öden sandigen Strande, doch ein leiser Wind weht darüber hin und deine Spur wird nicht mehr gesehen. Törichter Mensch voll eitlem Dünkel.‹“ (Caspar David Friedrich nach Helmut Börsch-Supan S. 35). 

In seinem 1817 begonnenen und im Krieg verloren gegangenen Hauptwerk ‚Grabtragung des Bruders zu der Kapelle Trümmer am Waldesende, Winterlandschaft im Dämmerlicht‘ (vergleiche dazu https://smb.museum-digital.de/object/142651) verschwindet das Mönchsmotiv aus seinem Schaffen. 1818 lernt er den 14 Jahre jüngeren norwegischen Landschaftsmaler Johan Christian Clausen Dahl (1788-1857) kennen, 1817 den 15 Jahre jüngeren Arzt, Schriftsteller und Landschaftsmaler Carl Gustav Carus. „Eine Freundschaft verband ihn auch mit dem Greifswalder Georg Andreas Reimer. Der Verleger, Kunsthändler und Kunstsammler trat in Berlin für Friedrich ein und unterstützte ihn in den späten Jahren durch Bilderkäufe. Am 21. Januar 1818 heiratete er, für alle, die ihn kennen, überraschend, als bereits 43-Jähriger, die 19 Jahre jüngere Caroline Bommer (1793–1847). Carus kennzeichnete sie in seinen 1865 erschienen Lebenserinnerungen und Denkwürdigkeiten als ›eine einfache und stille Frau, die ihm nach und nach einige Kinder gebar, übrigens aber sein Leben und Wesen in nichts änderte.‹ Das stimmt nicht ganz. Dass er mit seiner Verheiratung eine Verantwortung übernommen hatte, die er sehr ernst nahm, spiegelt sich in seinen Werken, wenn auch vielleicht die Verbundenheit mit dem Vater und seinen Geschwistern wichtiger war. Hier spürte er die Wurzeln seiner Existenz“ (Helmut Börsch-Supan S. 145).

In der ‚Frau am Meer‘, um 1818, lagert sich Caroline, „nun rot in der Farbe der Liebe gekleidet, am Ufer, hinterfangen von aufgespannten Netzen (vergleiche dazu https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Caspar_David_Friedrich_-_Frau_am_Strand_von_Rügen_(ca.1818).jpg). Fünf Fischerboote mit dunklen Segeln werden vom Wind aus der Ferne nach vorn getrieben. Während links die Kreideküste von Rügen weiß aufscheint, öffnet sich rechts die Weite des Meeres. Hierhin richtet Caroline ihren Blick. Zwei größere Schiffe mit weißen Segeln, die Fortsetzung der Kreidefelsen, sind wohl als die Zukunft der Frau und ihres Mannes zu sehen. Auch in dem berühmten Gemälde ‚Frau vor der untergehenden Sonne‘ (vergleiche dazu https://www.amazon.de/Kunstdruck-Poster-Friedrich-untergehenden-40x30cm/dp/B07RMB6KMR?th=1) in Essen ist mit der zentralen, vom Rücken gesehenen Frau Caroline gemeint“ (Helmut Börsch-Supan S. 146 f.). 

In seiner Gruppe der Gedächtnisbilder hat Friedrich für Helene Marie von Kügelgen, der Witwe des 1820 ermordeten Freundes Gerhard von Kügelgen, ein gedankenreiches Bild mit der Grabstätte auf dem Alten katholischen Friedhof in Dresden und dem von ihm entworfenen Stein gemalt (vergleiche dazu https://sammlung.museum-behnhaus-draegerhaus.de/werk/kuegelgens-grab-21). „Die von rechts nach links zu lesende Darstellung beginnt vorn mit einem ausgehobenen Grab mit Brettern und zwei Spaten der Totengräber. Darüber wächst innerhalb der Friedhofsmauer die noch mit welkem Laub des Vorjahres versehene Birke als Frühlings- und Auferstehungssymbol. Während die Vorderseite des Grabsteins mit der Aufschrift noch verschattet ist, trifft das von rechts einfallende Morgenlicht die rechte Seite des Steins mit einem Kreuz. Den eigenartigen oberen Abschluss des Steins bilden zwei Tonnen, die sich rechtwinklig kreuzen. So entstehen vier Halbkreise mit eingemeißelten Strahlen der aufgehenden Sonne. Gemeint ist damit die Morgensonne des jüngsten Tages, wie auf der Vorderseite das Wort ‚Jehova‘ an der Stelle der Sonne bezeugt. In der damit verbundenen Verheißung der Auferstehung der Toten liegt der tröstende Gedanke dieser Erfindung“ (Helmut Börsch-Supan S. 165 f.).

Den Abschluss des Bandes bilden Friedrichs Städte-, Landschafts- und Naturbilder, darunter sein ›Hünengrab am Meer‹ von 1807 (vergleiche dazu https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Hünengrab_am_Meer.jpg).

Das bedeutendste Selbstbildnis des Malers stammt aus dem Besitz von Friedrichs Freund Otto August Rühle von Lilienstern (vergleiche dazu https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Caspar_David_Friedrich_self_portrait.jpeg). Den 60. Geburtstag am 5. September 1834 scheint Friedrich als Zäsur empfunden zu haben. Er malt die verschollene ‚Rast bei der Heuernte‘ (vergleiche dazu https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rast_bei_der_Heuernte.jpg). Am 26. Juni 1835 erleidet er einen Schlaganfall, der vor allem seine rechte Hand lähmt. Als bewusst letztes großes Gemälde entsteht noch ›Mond hinter Wolken am Meeresufer‹ (vergleiche dazu https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Caspar_David_Friedrich_-_Küste_bei_Mondschein.jpg). Bis zumindest 1937 malt Friedrich noch Sepien und wenige Aquarelle von bisweilen sehr hoher Qualität. Am 7. Mai 1840 stirbt Caspar David Friedrich. Er wird auf dem Altstädter Friedhof begraben (https://www.visit-dresden-elbland.de/poi/grab-von-caspar-david-friedrich#:~:text). Carus schreibt einen noblen, die Verdienste des Malers sehr hoch veranschlagenden Nachruf.

ham, 8. August 2024

Kommentare sind geschlossen.

COPYRIGHT © 2023 Helmut A. Müller