Herausgegeben von Hans Belting, Heinrich Dilly, Wolfgang Kemp, Willibald Sauerländer und Martin Warnke
Dietrich Reimer Verlag, 7. überarbeitete und erweiterte Auflage, 2008, ISBN 978-3-496-01387-7, 439 Seiten, 79 s-w-Abbildungen, ausführliche Literaturverzeichnisse im Anhang an die Fachbeiträge, Namens- und Sachregister, Format 20,5 x 13,5 cm, € 29,90
Das 1984/85 vom Saarländischen Rundfunk unter der Leitung von Werner Busch produzierte und vom Deutschen Institut für Fernstudien in Tübingen didaktisch aufbereitete Funkkolleg ›Kunst – Geschichte der Kunst im Wandel ihrer Funktionen‹ ist mit weit über 40 000 Kollegiatinnen und Kollegiaten auf eine erstaunliche Resonanz gestoßen, auch wenn sein funktionsgeschichtlicher Ansatz heftig kritisiert worden ist (vergleiche dazu https://kunstgeschichte.info/studium/e-learning-im-fach-kunstgeschichte/ und Irene Below, The Blind Man – Nachlese zum Funkkolleg Kunst. In: https://journals.ub.uni-heidelberg.de › viewFile). Seither haben sich die Möglichkeiten zum nichtakademischen Studium der Kunstgeschichte vervielfacht. So bietet das Städelmuseum einen völlig kostenfreien Kurs ›Kunstgeschichte Online – 50 Meisterwerke der Mode‹ an (vergleiche dazu https://onlinekurs.staedelmuseum.de/?gclid=EAIaIQobChMI1KbTxNzA9QIVIwZ7Ch1ljgrcEAAYAiAAEgKDKfD_BwE). Die Zeitakademie hat Wolfgang Ulrich für 14 Lektionen des Videoseminars ›Kunstgeschichte. Goya, Picasso, Warhol: Das Abenteuer der Moderne‹ engagiert. Die Laudius – Akademie für Fernstudien wirbt für ihren Kurs ›Kunstgeschichte‹ mit dem Hinweis, dass man „alles“ über die historischen Hintergründe von Kunst und Architektur erfahren wird (vergleiche dazu https://www.laudius.de/kurs/kunstgeschichte). In der Staatsgalerie Stuttgart kann man einen digitalen ›Crashkurs Kunstgeschichte‹ buchen. Und es gibt kaum eine Volkshochschule, in der das Thema außen vor bleibt.
Der 1985 in erster und 2008 in achter Auflage erschienenen immer noch lesenswerten Einführung in die Kunstgeschichte kann man die dem Funkkolleg vorgeworfene Einseitigkeit nicht vorwerfen. Sie fasst das komplexe Grundwissen in einem Band zusammen und eröffnet damit den Zugang zum Fach: Auf die Gegenstandsbestimmung und -sicherung folgt eine Darstellung der mit den Jahren erweiterten Mittel und Methoden der Kunstgeschichte. Den Abschluss bildet ein Blick auf die Beziehung zu den Nachbardisziplinen. Nach Hans Belting und Wolfgang Kemp stellt die Grundlagenforschung den Gegenstand für alle weiterführenden Fragen der inhaltlichen und ästhetischen Deutung in dem Umfang bereit, wie es, wenn das Werk in eine Ausstellung gelangt, das Etikett tut, das über den Meister, die Entstehungszeit, die Technik oder das Material und endlich den Entstehungsort informiert. „Allerdings sollte es auch den Inhalt oder das Thema nennen und hier beginnt bereits die Deutung, selbst wenn das Kunstwerk einen gegebenen Text (die Bibel oder klassische Autoren) so direkt wiedergibt, wie es selten vorkommt. Das Bild ist immer schon Deutung, ob eines Gedankens oder einer künstlerischen Idee, und lädt daher zu ihrer Wiederentdeckung ein, wenn man es nicht auf ein Glied in einer kunstgeschichtlichen Reihe reduzieren will. Das gilt in anderer Weise auch für die Architektur …“ (Hans Belting, Wolfgang Kemp S. 155).
Der Grad der Bewährung ist in den einzelnen kunsthistorischen Verfahren – den formalanalytischen und formgeschichtlichen Methoden, der ikonografisch-ikonologischen Methode, der kunstgeschichtlichen Hermeneutik, der Deutung des Werks in seinem Kontext, dem rezeptionsästhetischen Ansatz, dem sozialgeschichtlichen Ansatz, den feministischen Ansätzen und den Gender Studies, den neuronalen Bildwissenschaften, den Bilder als Medien, den postmodernen Ansätzen und der New Art History – „ebenso verschieden wie die Reichweite ihrer Anwendung. Alle bieten sie, auf ihre Weise, die Möglichkeit, im Kunstwerk Erfahrungen zu machen, die nur auf diesem Weg zu machen sind. Grundsätzlich weisen sie nur dann auseinander, wenn sie mithilfe des Kunstwerks andere Argumente verfolgen, statt den historischen oder kulturellen Rahmen für ein neues Verständnis des Werks zu nutzen. Dagegen ist der alte Streit um die kunst- oder werkimmanente Deutung … obsolet geworden. Der historische Kontext, in dem ein Werk seine Funktion erhielt, lenkt die Aufmerksamkeit nicht von der künstlerischen Gestalt ab, mit der sie auf eine solche Funktion antwortete. Inhaltsfragen sind dem Kunstwerk ebenfalls nicht äußerlich, weil selbst der gewählte oder befolgte Stil eine inhaltliche Aussage machen kann. Endlich gehört die Wahrnehmung, die der Künstler dem Betrachter anbietet, in den immer wieder aufgeworfenen Entwurf dessen, was ein Bild sei. Die Reflexion über das Bild oder Bildwerk im Einzelnen lag dem Künstler oft näher als die Suche nach einem allgemeinen Ideal von Kunst“ (Hans Belting, Wolfgang Kemp S. 156).
ham, 21. Januar 2022