Deutsche Verlags-Anstalt, München, 2018, ISBN: 978-3-421-04833-2, 254 Seiten, mit 6 Abbildungen und
diversen Grafiken, Hardcover mit Schutzumschlag, Format 21,5 x 15,5 cm, € 20,00 (D) / € 20,60 (A) / CHF
28,90
Wer Theologie studiert und sich ein Leben lang mit dem Christentum auseinandergesetzt hat, wird sich
fragen, ob ihm ein 254 Seiten schmales Buch über das Christentum noch etwas Neues sagen kann. Wenn er
dann aber den von der promovierten Historikerin Eva-Maria Schnurr für die Heftreihe SPIEGEL
GESCHICHTE konzipierten Band in die Hand genommen und die von Spiegel-RedakteurInnen wie Markus
Deggerich, Susanne Koelbl, Jan Puhl und Fachhistorikern wie dem Weltgeschichtler Prof. Peter Frankopan,
Oxford, dem Kirchengeschichtler Prof. Dr. Volker Leppin, Tübingen und dem Altgeschichtler Prof. Dr. Dr.
Klaus Rosen, Bonn geschriebenen Beiträge gelesen hat, ist er überrascht, was alles an ihm vorbeigegangen
ist, was er übersehen, vergessen oder verdrängt hat und wie kurzweilig die Christentumsgeschichte
dargeboten werden kann:
Der Band setzt mit der Frage ein, was das Christentum so attraktiv gemacht hat, dass es trotz aller
Spaltungen, nicht enden wollender Ketzerkämpfe, dem Feuerbach der Aufklärung und der Religionskritik
überleben und den Kern seiner Heilsbotschaft bewahren konnte. Die Antwort könnte zum einen in der
Anerkennung des im Menschen verankerten Verlangens „nach höherem Sinn“ liegen, also in der Einsicht,
dass etwas fehlt, wenn Gott fehlt: „Wo Gott fehlt, bleibt eine triste Leerstelle, >transzendentale
Obdachlosigkeit< (Georg Lukács)“. Und zum anderen in der Fähigkeit des Christentums, sich bis in die
Gegenwart immer neu zu erfinden (Johannes Salzwedel S. 26 f.).
Im ersten Teil wird der Aufstieg des Christentums von einer unbedeutenden judenchristlichen Sekte am Rand
des römischen Weltreichs zur Reichsreligion nachgezeichnet. Unter der Überschrift „Vom Birnendieb zum
Kirchenvater“ wird Augustin von Hippo verhandelt. „Askese im eisernen Hemd“ steht für die ersten Mönche
und „Aus dem Vater gezeugt“ für die erbitterten Kämpfe um die theologischen Feinheiten des
Glaubensbekenntnisses. Der zweite Teil gibt einen ersten Einblick in das spannungsreiche Verhältnis von
Glaube und Macht, stellt vor, wie sich Kaiser Otto III. eine Verbindung zwischen Papst- und Kaisertum
vorgestellt hat und warum er gescheitert ist, fragt, warum Russlands Präsident Putin die Kirche braucht und
weshalb man die Folgen der Inquisition noch heute spürt. Der dritte Teil widmet sich Reformern und
Missionaren, den Pietisten, dem Berliner Theologen Friedrich Schleiermacher und der Entstehung des
bürgerlichen Weihnachtsfests. Im vierten und letzten Teil ist das erste Kapitel dem Antichrist von Friedrich
Nietzsche gewidmet, das zweite Dietrich Bonhoeffers Widerstand gegen Hitler, das dritte der
lateinamerikanischen Befreiungstheologie und das vierte einem Gespräch mit dem Religionssoziologen
Detlev Pollock über die Zukunft des Christentums.
Gefragt, was passiert, wenn das Christentum noch mehr an Rückhalt in der Gesellschaft verliert, antwortet
Pollock: „Gar nicht so viel. Die kulturelle Prägekraft des Christentums ist enorm, es hat die Kultur tief
beeinflusst. Christliche Werte wie Solidarität, Fairness, Gerechtigkeit sind hoch akzeptiert, ebenso, dass die
Menschen zuvorkommend miteinander umgehen, sich selbst zurücknehmen, dem anderen sein Recht lassen,
sich selbst reflektieren. In Westdeutschland sagen rund zwei Drittel der Menschen, dass das Christentum das
Fundament unserer Kultur sei. Und sogar in Ostdeutschland, wo die Entkirchlichung ja noch weiter
fortgeschritten ist, stimmt dem mehr als die Hälfte zu. Das Christentum hat die Gesellschaft in vielerlei
Hinsicht so sehr durchdrungen, dass diese die kirchlichen Lehren gar nicht mehr unbedingt braucht“ (Detlev
Pollock S. 233).
Eine Chronik mit einander gegenübergestellten Schlüsselereignissen und -gestalten des Christentums und der
Weltgeschichte, Buchempfehlungen und einem Personenregister runden den lesenswerten Band ab.
ham, 27. November 2018
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