Zur Artikulation des >>Unsagbaren<< in Psychoanalyse, Literatur und Kunst
Mit Beiträgen von Joachim F. Danckwardt, Peter Friese, Jutta Gutwinski-Jeggle, Karin Nitzschmann,
Matthias Oppermann, Helmut Pfotenhauer, Hartmut Raguse, Norbert Schwontkowski und Philipp Soldt
Buchreihe: Imago im Psychosozial-Verlag
Psychosozial-Verlag, Gießen, 2013,ISBN 978-3-8379-2276-9, 157 Seiten, zahlreiche schwarz – weiße
Abbildungen, Broschur, Format 21,1 × 14,9 cm, € 19,90
Bildworte Jesu wie das Wort, dass ein Kamel leichter durch ein Nadelöhr kommt als ein Reicher ins
Himmelreich (Matthäus 19, 24) und Gleichnisse wie die vom verlorenen Sohn (Lukas 15, 11 – 32) und vom
barmherzigen Samariter (Lukas 10, 30 – 37) haben Menschen seit über 2000 Jahre immer neu ins Herz
getroffen und vor die Frage gestellt, ob sie ihr Leben nicht verändern und auf Gott hin ausrichten sollten.Generationen von Theologen haben zu ergründen versucht, welche Verbindungen es zwischen der bildhaften Rede Jesu und den durch sie angestoßenen Veränderungsprozessen gibt. Zu den Ergebnissen dieser Anstrengung gehört die Einsicht, dass man als Mensch nur in Metaphern vom Unsagbaren, von Gott, reden kann und dass diese Übersetzung, diese Übertragung dann doch immer wieder überzeugt.
Wenn Sprache und Bilder sich in Metaphern begegnen, kommt es nicht nur zu religiösen, sondern auch zu
psychotherapeutischen und ästhetischen Transformations- und Übertragungsprozessen. „Übertragungsprozesse konstituieren nicht nur die psychoanalytische Beziehung, sondern auch vielfältig jene zwischen Künstler und Bild, zwischen Dichter und Text sowie zwischen Betrachter bzw. Leser und Werk. Somit kann das Sprachbild als kristallines Phänomen angesehen werden, an dem sich verschiedene
Perspektiven brechen und das geradezu einen interdisziplinären Zugang verlangt. Aus psychoanalytischer Perspektive stellt sich etwa die Frage, in welcher Weise die Bildlichkeit des Sprechens (von Symptom und Deutung) das Unbewusste in sich aufzunehmen in der Lage ist. Aber auch Kunst und Dichtung sowie die faszinierenden Prozesse ihrer Produktion und Rezeption sind um >>Unsagbares<< zentriert, bedürfen somit immer des Brückenschlags zwischen Bild und Wort. Sprache und Bild, Begriff und Anschauung fordern sich wechselseitig heraus, befruchten sich und kommen ohne einander nicht aus, Sie treten aber auch … in erbitterter Gegnerschaft zueinander“ (Karin Nitzschmann, Philipp Soldt, S. 7 f.). Der Sammelband wie die ihm zugrunde liegende Tagung im Juli 2012 in der Weserburg in Bremen hat es sich zur Aufgabe gemacht, „die verschiedenen oder auch ähnlichem Funktionen des Metaphorischen im Kontext von Poesie, Kunst und Psychoanalyse in einen kreativen Dialog zu bringen“ (Karin Nitzschmann, Philipp Soldt, S. 8).
Der Band setzt ein mit einem Überblick über den Gebrauch von Sprach/Bildern und die Artikulation des >Unsagbaren<< in Kunst, Literatur und Psychoanalyse. Demnach waren noch in der gotischen Malerei schriftliche Verweise auf biblische Texte zum Beispiel in Spruchbändern zwischen Verkündigungsengeln und Maria selbstverständlich. Sie dienten der leichteren Entschlüsselung der ikonographischen Bedeutung des Bildes. Die Renaissance entfernte diese schriftlichen Verweise als störende Fremdkörper und setzte stattdessen auf die sich selbst erklärenden perspektivischen Bildräume und Figurationen. Worte, Grafismen und Sprache tauchen in Bildern dann wieder im Dadaismus, im Surrealismus, bei Cy Twombly, bei Anselm Kiefer und später auch bei Jonathan Meese auf. Anselm Kiefer sagt in einem Interview mit Alexander Kluge: Ich >>bin kein Maler, ich denke in Bildern<<. Jonathan Meeses großformatige Malereien können als Niederschrift der von ihm ausgerufenen Diktatur der Kunst gelesen werden und seine ungezählten handschriftlich verfassten Manifeste als wort- und bildreiches Ausmalen dieser Diktatur. Herta Müller trifft eine für das Sprachbild bedeutsamen Unterscheidung: „Sie spricht von der gelebten Metapher und von einer für den Schreibprozess erfundenen fiktiven Metapher. Beispielsweise sei die Metapher des >>Königs<< eine gelebte Metapher, die sich in ihrer Kindheit zunächst auf das Schachspielen ihres Großvaters bezog, sich später mit einem Reim aus der Dorfsprache verband: >> alleenig – wenig – Kenig << … Diesem >>König<< konnte sie … weder durch Reden noch in Prosa, sondern nur gebändigt durch den Reim >>beikommen<< … Die Transformation dieser gelebten Metapher in ein >>geschriebenes Wort<< erfolgt erst Jahre später in ihrem Roman Herztier (2007). Denn, so Herta Müller, >>[i]m Schreiben ist keine direkte Realität … Die Erinnerung ist ein abstrakter Spiegel im Kopf, und der Wunsch, es zu sagen, erzwingt ein ganz neues Erleben durch die Sprache … Ich wollte ein zweischneidiges Wort, so zweischneidig wie der König sollte es sein …<< (Herta Müller) … Mit dieser fiktiven Metapher, dem Herztier, kann sie nun aus einer inneren Distanz zum König einen Roman schreiben, in dem Terror und Gewalt für den Leser einfühlbar werden“ (Karin Nitzschmann, Philipp Soldt S. 19f.).
In den Schriften von Sigmund Freud schließlich sind über 500 >> Vergleichungen<< (Sigmund Freud) auszumachen.„ Da es für das dynamisch Unbewusste, wie für alles Psychische, keine Form der direkten Anschauung gibt, ermöglicht der Vergleich jeweils eine indirekte Form der Betrachtung für das Unanschauliche … , mit der einer Begriffsbildung zugearbeitet wird“ (Karin Nitzschmann, Philipp Soldt, S. 21). Wenn sich bei der Bearbeitung einer durch Verdichtung, Verschiebung und Verwandlung ins Gegenteil unsinnig erscheinenden Traumszene durch ein Sprachbild oder einen Vergleich wieder Ordnung einzustellen beginnt, wird das Sprachbild oder der Vergleich zum Erkenntnisinstrument für das Unbewusste. Damit wird eine „gelebte Metapher“ im Verlauf einer Analyse „zu einer fiktiven Metapher des analytischen Paares“ (Karin Nitzschmann, Philipp Soldt, S. 25).
Unter den Beiträgen des Sammelbandes beschäftigt sich Hartmut Raguse mit poetischen Aspekten der dichterischen und der psychoanalytischen Sprache. Für Peter Friese gehören das Antizipieren, das Rechnen mit Andersheit und das Einbeziehen des Anderen zur Kunst, wie sie Lawrence Weiner versteht. „Diese Kunst fördert und fordert das bewusste Eingehen auf eine Veränderung meiner selbst, welche momentan noch außerhalb meiner gegebenen Möglichkeiten und meines momentanen Verstehenshorizontes liegt“ (Peter Friese S. 62). Joachim F. Dankwardt findet in Georg Büchners Sprachbildern die Hypothese bestätigt, dass sich seelische Veränderungen und Wandlungen vorwiegend auf der Ebene der Sprachbilder bzw. des Sprachgeschehens und nicht auf der Ebene der abstrahierenden Begriffssprache abspielen. Jutta Gutwinski-Jeggle schließlich beschreibt die Arbeit eines Psychoanalytikers als Arbeit an der Veränderung der Persönlichkeit und an der Persönlichkeitsstruktur. „Wir können nicht einfach Heilung und Gesundheit anbieten. Vielmehr versuchen wir, durch Bewusstmachung >>Lösungen<< zu finden, Loslösungen von infantilen Versorgungs- und Anlehnungswünschen, von Triebkonflikten des Ödipuskomplexes, Kastrationsängsten und Allmachtsvorstellungen, um die Identität des Patienten und seinen Status als Subjekt neu zu begründen. Wenn es gelingt, im Patienten Denkfreiheit, Zerstörung von Illusionen, Bekämpfung von Vorurteilen, Verantwortung für sich selbst und andere, Erwachen von Gefühlen und Erweiterung der Kreativität anzustoßen, so ist schon viel erreicht. Denn eine neue Sichtweise birgt die Möglichkeit, die infantilen Besetzungen ersetzen zu können durch konstruktive Arbeit, Karriere, liebevolle Beziehungen, Heim und Kinder“ (Jutta Gutwinski-Jeggle, S. 127 f.).
ham, 30.7.2015