Hirzel Verlag, Stuttgart, 2013, ISBN 978-3-7776-2342-9, 360 S., Broschur, Format 23 x 15,2 cm, € 19,80 (D) / 20,40 (A) / SFR 27,70
Der 1972 veröffentlichte erste Bericht des Club of Rome über die „Grenzen des Wachstums“ hat eine breite Diskussion über die Wechselbeziehungen zwischen der immer weiter steigenden Weltbevölkerung, der Industrieproduktion, der Umweltverschmutzung und der Verknappung der zentralen Rohstoffe ausgelöst . In der Folge wurde die Frage dringlich, ob weiterhin auf die Entwicklung neuer Technologien gesetzt werden kann oder ob ein prinzipieller Ausstieg aus dem
überkommenen Fortschritts- und Wachstumsdenken angezeigt ist. Mit Fritjof Capras „Wendezeit“ und der Gaia-Hyothese des englischen Atmosphärenchemikers James Lovelock sind nachcartesianische Weltmodelle ins Gespräch gekommen. Sie wollen die Erde nicht mehr länger als auszubeutendes Rohstofflager, sondern als einen lebendigen Organismus verstehen. „Alle ihre Teile, ob Pflanzen, Tiere oder Steine, gelten als aufs Engste miteinander verbunden und voneinander abhängig. Die
Menschheit wird als fester Bestandteil der Natur betrachtet. Keine Elemente in der Natur werden als anderen überlegen oder minderwertig angesehen, alle Wesen sind unentbehrlich in Bezug auf den Gesamtorganismus“ (Ross Jackson). Dieser Gesamtorganismus sollte nicht mehr länger ausgebeutet, sondern wie ein Garten gepflegt werden.
Viele fragen sich, warum sich nach 40 Jahren und trotz unendlich vieler Diskussion nichts Wesentliches geändert hat. Für Ross Jackson ist die derzeitige Struktur der Welt immer noch „dysfunktional, undemokratisch, korrupt und beutet Umwelt, Entwicklungsländer und sogar die Bürger der wohlhabendsten Nationen aus“. Er glaubt nicht „dass wir als globale Zivilisation langfristig ohne radikale Reformen überleben können“. Deshalb verfolgt er mit „Occupy World Street“ drei Ziele: Er will 1. „die Grundursachen für den gegenwärtigen politischen und
wirtschaftlichen Stillstand und die Barrieren, die der Umsetzung wirklicher Lösungen im Weg stehen“ analysieren. Er will 2. globale Lösungen einschließlich neuer Einrichtungen vorschlagen, „die sich speziell mit dem bekannten Problem befassen und die für alle funktionieren“. Und er will 3. eine Strategie vorlegen, „die uns dorthin bringt“ (Ross Jackson). Seine zentrale These ist, dass die
eigentlichen Ursachen für das Ausbleiben der politischen und wirtschaftlichen Veränderungen in der neoliberalen Ökonomie zu finden sind, die die Strukturen der bis dahin erfolgreichen Wirtschaftspolitik des „goldenen Zeitalters“ von 1945 – 1980 außer Kraft gesetzt hat.
„>>Neoliberalismus<< war von Anfang an ein politisches Projekt, das nichts mit Wirtschaftswissenschaft zu tun hatte, ein Plan, gezielt dazu entworfen, den Interessen einer sehr kleinen reichen Elite zu dienen, welche die große Mehrheit der multinationalen Konzerne kontrolliert. So besaß im Jahr 2010 das reichste Prozent der Bevölkerung in der USA 64,4 % aller amerikanischen Finanzsicherheiten und 62,4 % allen Geschäftskapitals. Ihr Projekt wurde gezielt, schlau und sehr erfolgreich - aus der Perspektive der Befürworter – durchgeführt und hatte zur Folge, dass enorme Reichtümer von der Mittelklasse und den nichtkommerziellen Bereichen der Gesellschaft – Umwelt, Gemeinden und soziale Wohlfahrt - zu den bereits Reichen transferiert wurden. Unter anderem wurde es eigens dazu entworfen, den europäischen Wohlfahrtsstaat zu zerstören, und ist dabei auf gutem Weg… Hauptinstrument dieser Veränderungen waren drei internationale organisationen: die Welthandelsorganisation WTO, der internationaleWährungsfonds IWF und die Weltbank – alle drei mehr oder weniger von den USA kontrolliert. Alle drei verdrehen ihre Politik und ihr ursprüngliches Mandat ohne jegliche öffentliche Diskussion ins Gegenteil… Die Ergebnisse des neoliberalen Experiments sind nun, nach 30 Jahren, allen klar: 1. beispiellose erschlechterung der Umwelt, 2.steigende Ungleichheit zwischen reichen und armen Ländern sowie innerhalb aller Länder, da die Reichen reicher und die Armen ärmer geworden sind, 3. keine Steigerung des Wohlergehens trotz scheinbaren Wirtschaftswachstums. Die Wirtschaftsphilosophie, die dem zugrunde liegt, (ist) >>mehr Religion als Ökonomie<<… Die neoliberale Ökonomie wurde speziell dazu entworfen, den Starken vor den Schwachen zu nutzen, dem Kapital vor der Arbeiterschaft, den Gläubigern vor den Schuldnern und den Reichen vor den Armen, aber es wurde zynisch und clever verpackt als etwas, was allen Bürgern zugutekommt. Ihr Anspruch war, dass alle von der Wirtschaftspolitik profitierten würden, die sie empfahl: dem freien Fluss von Gütern ohne Zölle, dem freien Kapitalfluss über die Grenzen, der Deregulierung der Konzerne und der Privatisierung öffentlicher Monopole. Es ist ein System, das die wildesten Träume multinationaler Konzerne erfüllt, die in jedem Land tun wollen, was ihnen passt – ohne Einschränkungen und ohne demokratische oder moralische Verantwortung gegenüber irgendjemandem… Neoliberalismus kann als eine extremistische Version der neoklassischen Ökonomie betrachtet werden, bei der Geld das einzige ist, was zählt…“ Wie kam es dazu? „In den 70er-Jahren gab es zwei große Ereignisse, die wesentlich zur Einführung des >>neoliberalen Projekts<< … durch die USA beitrugen. Das erste war der Beschluss von 1971, den US-Dollar nicht mehr mit Gold abzusichern. Dies bedeutete das Ende des Währungssystems mit festen Wechselkursen, das Bestandteil jedes Wirtschaftssystems seit dem Entstehen des Kapitalismus gewesen war. Niemand kannte sich aus mit flexiblen Wechselkursen und konnte wissen, welche Konsequenzen sich daraus für die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Nationalstaaten ergeben würden. Sollte das Kapital kontrolliert werden oder sollte es völlig beweglich sein? Sollten einigeWährungen an andere >>angepflockt<< werden in einer Art Ersatzsystem für die festen Kurse? Sollten alle Währungen frei schwanken? Eine völlig neue Situation mit neuen Risiken und Möglichkeiten war entstanden. Das zweite Ereignis war die Ölkrise von 1973 mit dem drastischen Preisanstieg, der die Vermögensstruktur in der Welt plötzlich dramatisch veränderte. Die Organisation der erdölfördernden Länder (OPEC) hat gezeigt, dass ein Konsortium von Rohstoffproduzenten – wenn sie zusammenarbeiten, statt zu konkurrieren – die gleichen >>Oligopoly<<-Spiele wie die G7-Staaten spielen und so ihren Reichtum auf Kosten der übrigen Welt vergrößern können. Allein der Gedanke, dass andere Rohstoffproduzenten unter den Entwicklungsländern ähnliche Kartelle bilden könnten,ließ die finanziellen Führer der Industrienationen erschauern. Was wäre dann das Nächste – Kaffee, Zucker, Kupfer, Aluminium? Als eine Gruppe von 77 Entwicklungsländern ihre Muskeln ein bisschen spielen ließ und nach einer neuen Wirtschaftsordnung rief, wussten die USA, dass sie etwas tun mussten, um die >>kleinen Würstchen<< auf ihren richtigen Platz zu verweisen. Die Angst vor einer kommenden Rohstoffkrise verschärfte sich zweifellos durch die Erkenntnis, dass das Fördermaximum in der Ölproduktion der USA… tatsächlich eintraf“ (Ross Jackson). Für Jackson und andere sollte das in der Reagan-Ära eingeführte „Strukturanpassungsprogramm“ des Internationalen Währungsfonds sicherstellen, „dass die Entwicklungsländer für immer in der Schuld der reichen Nationen stehen, für die USA und ihre Alliierten eine Quelle billiger Rohstoffe und Arbeitskräfte bleiben, fügsam den USA die gewünschten militärischen Stützpunkte überlassen und sich niemals zu potenziellen Konkurrenten mit unabhängigen Ideen und Prioritäten entwickeln würden“ (Ross Jackson). Das Hauptziel der von der Weltbank vergebenen Kredite „war es seit den frühen 80er-Jahren, die Entwicklungsländer in einem Netz von Schulden gefangen zu halten, das sie zwingt, von einer Importersatzstrategie zu einer exportorientierten Strategie zu wechseln, was die Bedürfnisse der G7 nach Rohstoffen und billiger Arbeit stillt, und eine für die USA akzeptable Außenpolitik zu verfolgen“ (Ross Jackson). Dass ein Großteil der vergebenen Gelder den Reichtum der Eliten vergrößert, wurde bewusst einkalkuliert. Das von der Welthandelsorganisation (WTO) propagierte Freihandelssystem wurde in Wirklichkeit zu einem „>>Zwangshandelssystem<<…, weil die Entwicklungsländer gezwungen sind, ausbeuterische Bedingungen zu akzeptieren, die hohe Zölle auf ihre andernfalls wettbewerbsfähigen Exporte erheben und gleichzeitig subventionierten Produkten des Westens erlauben, die lokale Produktion zu unterbieten.Die WTO-Regeln sind nichts weniger als ein Frontalangriff auf den Wohlfahrtsstaat und die Umwelt, was sie zu einem der größten Zerstörungsfaktoren macht“ (Ross Jackson). In der WTO, dem IWF, der Weltbank, der NATO oder im UN-Sicherheitsrat wird nach Jackson nichts Wesentliches gegen dieWünsche und Interessen der USA entschieden. „Die USA sind immer der >>Aufsichtsratsvorsitzende<< in diesen internationalen Schlüsselorganisationen und haben dort ein Unterstützernetzwerk enger Verbündeter, die selten Protest verlauten lassen. Daher ist die Antwort auf die Frage >>Wer regiert die Welt?<< die gleiche wie die Antwort auf die Frage >>Wer regiert die USA?<< (Ross Jackson). Schriftsteller, Journalisten und Normalbürger sprechen deshalb konsequenterweise von der Geldaristokratie und von dem von Großkonzernen gesteuertem „amerikanischen Imperium“. Diese „Konzernokratie“ treibt nach Jackson unseren Planeten in den Ruin „und muss durch ein neues Wirtschaftssystem ersetzt werden, das stärker mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und den echten Bedürfnissen der Menschen im Einklang steht. Aber ein neues Wirtschaftssystem kann nur erfolgreich sein, wenn ganz neue internationale Institutionen geschaffen werden, die internationales Recht, Handel, Umweltschutz und echte Entwicklung in den Entwicklungsländern regeln. … Wir müssen neue Institutionen aufbauen, die sich mit internationalen Finanzen befassen und die Bedürfnisse aller Staaten auf einer gleichberechtigten Basis anerkennen. Dazu gehören eine bessere Kontrolle destabilisierender internationaler Spekulation und eine kritische Betrachtung der Rolle des US-Dollar, der ein Haupstützpfeiler der Machtstruktur des Imperiums ist. Die amerikanische Erfahrung hat klar gezeigt, dass eine formelle Demokratie nicht ausreicht, um Freiheit und Selbstbestimmung ihrer Bürger zu garantieren. Sicherheitsvorkehrungen müssen getroffen werden, um die Übernahme durch kommerzielle oder andere Elemente zu verhindern, deren Interessen nicht diejenigen der Mehrheit sind. Und schließlich müssen wir akzeptieren, dass die Initiative zur Veränderung niemals von den Hauptnutznießern des aktuellen Systems kommen wird, schon gar nicht vom Imperium. Diese Initiative muss von anderer Seite kommen. Radikal neues Denken ist gefordert. Es ist in erster Linie notwendig, eine neue internationale wirtschaftliche und politische Struktur aufzubauen, welche das gewünschte Ergebnis erzielen kann, und in zweiter Linie, eine Strategie für deren Verwirklichung zu entwickeln“ (Ross Jackson). Wenn es nach Jackson geht, soll die neoliberale Ideologie durch eine Gaia-Welt abgelöst werden, in der ökologische Nachhaltigkeit noch vor Wirtschaftswachstum, Konsumsteigerung, Wettbewerbsfähigkeit und Produktivitätssteigerung zum obersten Ziel wird. Die herrschende Konzernokratie soll durch lokale Demokratien abgelöst und Entwicklungsländer sollen als Teil der Menschheitsfamilie gesehen werden. „Daher wäre die Internationale Struktur einer idealen Gaia-Welt ein Universum aus kleinen, unabhängigen, eigenständigen Staaten, wobei ein beschränktes Maß an Souveränität an ein Weltordnungspolitik-Gremium delegiert wird, nämlich an die Zentralbehörde, die das Recht hat, notwendige Richtlinien zu erlassen, um die langfristige Erhaltung des Planeten und die Wahrung der Menschenrechte in allen Mitgliedsstaaten zu sichern. Alle anderen Aspekte der Souveränität werden bei den einzelnen souveränen Staaten verbleiben… Die Gaia-Handelsorganisation ... ersetzt die WTO für Mitgliedsstaaten. Unabhängige Kontrolle des gesamten Handels … ist notwendig, um die heimischen Produkte der Mitgliedstaaten davor zu schützen, dass importierte Produkte aus Nichtmitgliedstaaten mit schlechteren Umweltstandards sie unterbieten, und gleichzeitig, um Prioritäten und Präferenzen des Landes zu schützen… Die Gaia-Verrechnungsunion … hat die Aufgabe, den internationalen Handel ohne irgendwelche Landeswährungen zu regulieren… Die Gaia-Entwicklungsbank… wird die Funktionen des IWF und der Weltbank ersetzen; sie wird… echte, nicht ausbeuterische Entwicklung in Entwicklungsländern fördern… Der Gaia-Kongress … - eine Versammlung Delegierter, ernannt durch die Regierungen der Gaia-Liga – ist die gesetzgebende Körperschaft der Gaia-Liga, deren Entscheidungen legen das internationale Recht für die Mitgliedstaaten fest. Die Gaia-Kommission… - geleitet von einem Generalsekretär – ist das Exekutivorgan der Gaia-Liga… Der Gaia-Gerichtshof … ist die Recht sprechende Abteilung der Gaia- Liga… Der Gaia-Ressourcen - Ausschuss … ist eine Behörde der Kommission, die den Auftrag hat, die Nutzung sowohl der erneuerbaren als auch der nicht erneuerbaren Ressourcen in den Mitgliedstaaten zu verwalten… Der erste Schritt wird sein, ein Amt zur Kontrolle der weltweiten CO²-Emissionen zu errichten… Der Gaia-Rat ist ein kleiner Kreis gewählter >>weiser Ältester<<. Sie haben die Macht, jede Entscheidung und jedes Gesetz des Kongresses außer Kraft zu setzen, das auf lange Sicht gesehen nicht im Interesse des Planeten ist; sie vermitteln auch auf Anfrage bei Konflikten“ ( Ross Jackson). Die Entwicklung der Europäischen Union kommt Jacksons Vorstellung von einer Gaia-Liga am nächsten. Bei der Realisierung sollen Dänemark und andere nordische Staaten eine Führungsrolle übernehmen, dazu die EU verlassen und ihre Bindung an den Euro lösen. „Ein solcher Schritt wäre ein starkes Signal für andere Staaten, das Gleiche zu tun, sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU. Meine erste Präferenz wäre aber, dass die EU ihr Streben nach weiterem Wirtschaftswachstum aufgibt, die WTO kollektiv verlässt und voll hinter einem einzigen langfristigen neuen Ziel steht: die internationale Gemeinschaft zu einer nachhaltigen und gerechten Zukunft für alle zu führen – auf der (Grundlage der) Gaia-Vision. Wenn die EU die Führung übernähme, … würden viele Staaten bald mitmachen und die Bewegung wäre nicht aufzuhalten“ (Ross Jackson). Von den an das Gaia-Konzept zu stellenden Fragen seien abschließend nur die nach der Bevölkerungsentwicklung und nach der Bevölkerungskontrolle herausgegriffen. Jackson unterstreicht schon in seiner Einleitung, dass das Bevölkerungswachstum ein wesentlicher Faktor beim prognostizierten ökologischen Kollaps ist, „denn der globale ökologische Fußabdruck vergrößert sich proportional zur wachsenden Weltbevölkerung. In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass die ökologische Belastung durch einen weiteren Nordamerikaner etwa zwölfmal so groß ist wie die durch einen weiteren Inder. Das größte Bevölkerungswachstum findet in den Entwicklungsländern statt, welche im Allgemeinen einen unterdurchschnittlichen Fußabdruck haben… Das wären im Grund gute Nachrichten, aber tatsächlich nimmt mit dem globalen Bevölkerungswachstum der gesamte Druck auf die Umwelt unaufhaltsam zu. Es besteht kein Zweifel – wenn die derzeitige Weltbevölkerung nur 1 Milliarde betrüge statt 7, gäbe es die heutigen Krisen nicht oder sie wären leicht zu bewältigen“ (Ross Jackson). Deshalb setzt Jackson in seiner Gaia-Welt konsequenterweise auf Bevölkerungskontrolle: „In einer Gesellschaft, die die Grenzen des materiellen Wachstums erreicht hat und das Ökosystem mit ihren untragbaren Konsumgewohnheiten überfordert, ist die Reduktion der Bevölkerungsgröße eine der letzten Möglichkeiten, das Ökosystem zu entlasten und gleichzeitig den Lebensstandard zu heben. Es ist daher unerlässlich, dass die Gaia-Gesellschaft die Senkung des Bevölkerungswachstums als Hauptziel verfolgt, und dieses Ziel wird sich auch in der Langzeitplanung der Mitgliedsländer wiederfinden müssen… Es reicht nicht, sich auf den natürlichen Geburtenrückgang zu verlassen… 7 Milliarden Menschen können unmöglich in einer Post-Peak-Oil-Welt auf einem nur annähernd so hohen Standard nachhaltig leben, wie es die IL(Industrieländer) im Moment tun. Wenn wir nicht aktiv die Bevölkerung reduzieren, wird die Natur es wahrscheinlich für uns tun – auf viel schmerzhaftere und katastrophaler Weise, durch Hungersnöte und Pandemien“ (Ross Jackson). Wenn man nicht dem von Jacksons, sondern dem jüngst von Reiner Klingholz in der Wochenzeitung “Die Zeit“ Nr. 7 vom 06.02.2014, S. 33 ff. vorgestellten Szenario folgt, wird die Weltbevölkerung noch in diesem Jahrhundert auf die Hälfte von heute zu schrumpfen beginnen. Klingholz ist Direktor des Berliner Instituts für Bevölkerung und Entwicklung in Berlin und geht mit Jackson davon aus, dass das bisherige Wachstumskonzept – mehr Menschen, mehr Konsum, mehr Markt – nicht mehr aufgeht. „Lange Zeit war das Wachstum der Bevölkerung ein wichtiger Antrieb für das Wirtschaftswachstum. Mehr Menschen bedeuteten mehr Arbeitskräfte, mehr Verbraucher und größere Absatzmärkte… Tatsächlich wächst die Weltbevölkerung zurzeit im Rekordtempo, die Weltwirtschaft expandiert ungehemmt und zehrt die natürlichen Ressourcen auf, vom Erdöl bis zur Ackerkrume. Wie es weitergeht auf der Erde, ist natürlich unbekannt. Doch bei aller Unsicherheit: Einige Weichen für die langfristige Entwicklung sind schon gestellt. Und sie deuten auf eine Trendwende hin. Nachdem die Menschheit im 20. Jahrhundert ein historisch einmaliger Wachstum erlebt hat, dürfte das 21. Jahrhundert den Beginn des Postwachstums markieren. Das liegt vor allem am reproduktiven Verhalten der Menschen: In fast allen Ländern der Welt bekommen die Frauen deutlich weniger Kinder als früher, so dass ein Ende des Bevölkerungswachstums in Sicht gerät“ (Reiner Klingholz). Für Klingholz sorgt die zunehmende Gleichberechtigung, Bildung und wirtschaftliche Unabhängigkeit moderner Frauen dafür, dass die Überlebenschancen von Kindern sich verbessern und sich deshalb auch ärmere Menschen weniger Nachwuchs erlauben können, ohne ihre traditionelle Alterssicherung zu riskieren. Zwar werden nach den Studien der Bevölkerungsabteilung der Vereinten Nationen im Jahr 2050 9,6 Milliarden Menschen auf dem Globus leben und damit 2,4 Milliarden mehr als 2014. Aber irgendwann „in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts dürfte das Bevölkerungswachstum ein Ende haben… Die Demographen nehmen dabei an, …. dass in allen Ländern nach und nach die Kinderzahlen zunächst unter das Ersatzniveau fallen, sich dann aber auf einen Wert von 2,05 Kindern pro Frau einpendeln…. Bei diesem mittleren Szenario wird die Zahl der Menschen zu Beginn des 22. Jahrhunderts auf einem Niveau von etwa 9 Milliarden verharren… Alternativ haben die UN-Forscher noch ein hohes und ein tiefes Szenario berechnet: Die hohe Variante geht davon aus, dass sich die Kinderzahlen nach 2100 in allen Ländern bei einen Wert von 2,35 je Frau… einpendeln. Die niedrige Variante geht von 1,85 aus (dem Wert von Dänemark). Im ersten Fall leben 2300 rund 36 Milliarden Menschen auf der Erde – also 5 x so viel wie heute. Im zweiten Fall schrumpft die Weltbevölkerung bis 2300 auf 2,3 Milliarden – also nicht einmal auf ein Drittel des heutigen Wertes. Danach würde sich die Menschheit bis 2550 noch einmal halbieren und damit auf den Stand des Jahres 1850 fallen“ (Reiner Klingholz). Letztlich sorgen auch für ihn die ökologischen Rahmenbedingungen für die Umkehr. „Es ist… eine Art von Automatismus, was uns das Ende allen Wachstums beschert. Weder Umweltbewusstsein noch Verantwortungsgefühl für kommende Generationen führen uns in diese Richtung. Es ist nicht der homo sapiens, der am Steuer sitzt, sondern die Umwelt. Denn wir werden uns kaum aus freien Stücken dafür entscheiden, dem Wachstum Grenzen zu setzen“ (Reiner Klingholz). ham, 12.02.2014 Download