Kochen, heilen und genießen mit Pflanzen aus der europäischen Küche
Buch mit 49 Karten und einer Einführung von Ruediger Dahlke
Königsfurt-Urania, Krummwisch 2013, ISBN 978-3-86826-127-1; Buch: 271 S., zahlreiche Farbabbildungen, Broschur, Format 21,5 x 14 cm, 49 Karten im Format 12 x 7 cm; Buch und Karten in einer kartonierten Schachtel von 22,3 x 14,8 x 4,2 cm, € 24,99
Für Julien Offray de La Mettrie (1709-1731) ist der Mensch, was er isst. Letztlich ist er eine Maschine. In seiner 1747 anonym erschienen Schrift „L’homme maschine“ versucht er nachzuweisen, dass es im ganzen Universum nur eine, in verschiedenen Modifikationen vorfindliche Instanz gibt, die Materie. Auch die geistigen und seelischen Vorgänge im Gehirn lassen sich nach seiner Auffassung materiell erklären. Eine zusätzliche Seele braucht es deshalb nicht.
Auch für die hauptsächlich vegan lebende Archetektin, Geomantin und Schamanin Julia Gruber ist das Essen zentral. Auch bei ihr ist der Mensch in seine Um- und Mitwelt eingebunden und auch bei ihr lebt er letztlich von der ihn tragenden und ernährenden „Mutter Erde“. Aber anders als La Mettrie versucht Gruber plausibel zu machen, dass die ganze Welt beseelt ist und nicht nur Menschen, sondern auch Tieren und Pflanzen eine Seele zugesprochen werden kann. Lebensmittel sind für sie Heilmittel. Argumente für diese Auffassung findet sie in animistischen Weltbildern ebenso wie in Rupert Sheldrakes Theorie des morphogenetischen Feldes, bei der christlichen Mystikerin und Heilkundigen Hildegard von Bingen und in der traditionellen chinesischen Medizin, in der indischen Wissenschaft vom Leben, im Ayurveda und in ausgewählten Positionen der neueren Lebensmittelforschung. Sie geht davon aus, dass sich ein einfühlender und zugewandter Umgang positiv auf das Wachstum der Pflanzen und ihre Gesundheit auswirkt und dass industriell erzeugte Lebensmittel die Physis und die Psyche schädigen können. Deshalb wirbt sie dafür, das Essen selbst aus einfachen, naturbelassenen und vollwertigen Nahrungsmitteln zuzubereiten, auf biologisch angebaute Produkte möglichst aus der Region zurückzugreifen und sich beim Kochen und beim Essen genügend Zeit zu lassen. Für vegetarische und vegane Ernährung sprechen nach Gruber unter anderem die von dem Leiter der weltweit größten Ernährungsstudie Colin Campbell formulierte Einsicht, dass es praktisch keine Nährstoffe in Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs gibt, die nicht in besserer Form von Pflanzen hergestellt werden könnten. Fleischesser nehmen nach dieser Auffassung ein Vielfaches an Pestiziden auf und leiden deshalb stärker als Veganer an Zivilisationskrankheiten. Schließlich könne der weltweite Hunger eher gelöst werden kann, wenn Getreide nicht mehr als Futtermittel für Nutztiere verwendet würde.
Die für Gruber wichtigste Empfehlung aber ist, dass, wer isst, auch die seelische Wirkung der Nahrungsmittel bedenken soll. Ernährung, Verdauung und seelisches Erleben sind für sie miteinander verbunden. „Interessant ist der Zusammenhang zwischen Gehirn und Darm… Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass Zelltypen, Wirkstoffe und Rezeptoren im Darmbereich identisch mit denen des Gehirns sind. Neben dem Koordinieren der komplexen Verdauungsleistung ist das Nervengeflecht im Darm ebenso Quelle verschiedener psychoaktiver Substanzen, (Serotonin, Dopamin…), die nachweislich unsere Gemütsverfassung steuern. Wir haben alle die Erfahrung, dass wir manchmal Angst im Bauch spüren. Treten belastende Gefühle regelmäßig auf, hinterlässt das Spuren und die Funktion des Darmes wird beeinträchtigt. Studien zeigen, dass 40 % der Patienten mit >>Reizdarmsyndrom<< gleichzeitig an Angsterkrankungen und Depressionen leiden. Das führt uns wieder einmal konkret vor Augen, dass der Emotionalkörper und die Physis des Menschen eine Einheit bilden. Und da unsere Gefühle direkt mit den Gedanken
(Mentalkörper) und feineren seelisch-geistigen Empfindungen verknüpft sind, spielt für die Gesundheit letztlich immer auch unsere seelische Verfassung eine Rolle“ (Julia Gruber).
In der Konsequenz empfiehlt sie, den eigenen Wochenspeiseplan durchzuforsten und aufzulisten, was man tatsächlich isst. Die Nahrungsmittel solle man dann mit den von ihr in schamanischer Schau erhobenen seelischen Botschaften der Pflanzen vergleichen. Dass sich diese Botschaften widersprechen können, ficht Gruber nicht an. „Denn alle Lebewesen sind mehrdimensional und mit vielfältigen Qualitäten ausgestattet. Daher werden die seelischen Tier- und Pflanzenkräfte in unterschiedlichen Traditionen teilweise divergierend gedeutet. Je nach Blickpunkt des Schamanen, dem Bedürfnis der Menschen oder der jeweiligen Zeitqualität treten bestimmte Facetten des Ganzen besonders in den Vordergrund. Die zugeordneten Bedeutungen sind wie verschiedene Türöffnungen zum >>Seelenhaus<< eines Tieres oder einer Pflanze. Ob ich nun die Fronttüre oder einen Seiteneingang wähle, ist letztlich nebensächlich. Hauptsache, ich trete ein, das heißt, ich trete in Beziehung mit der Essenz dieses Lebewesens“ (Julia Gruber). Die auf den Karten festgehaltenen mantischen Botschaften können nach Gruber „eine Brücke bilden, um den Kontakt zur Seele dieses Lebewesens leichter aufnehmen zu können. Jede Pflanze, jeder Stein, jedes Tier spiegelt eine bestimmte Facette von uns selbst wider. In jedem Teil der Natur können wir uns neu und vertieft entdecken“ (Julia Gruber). So erinnern nach Gruber Marillen daran, „dass wir jederzeit aus dem Mainstream-Gedankengut aussteigen können: Konditionierungen des Elternhauses, Meinungen und Moden. Ich stehe mitten im Leben, bin integriert in die Gemeinschaft und pflege gleichzeitig meinen freien Geist“. Die Marille oder Aprikose ist auf Seite der Pflanzen so etwas wie der Archetyp des Unabhängigen. Artischocken stehen dagegen für Toleranz. „Bei der Artischocke geht es um die Vielfalt in der Einheit. Das Fremde stellt keine Bedrohung dar, sondern erweitert meinen Horizont. Ich kann die Unterschiede zwischen den Menschen klar sehen und diese genießen. Im größeren Maßstab bringt die Karte einen Impuls für Völkerverständigung und friedliche Lösung von Konflikten“ (Julia Gruber). Die Aubergine schließlich steht für Inspiration. „Sie hilft mir, meinen Geistesblitzen zu vertrauen und aus dem Stand heraus etwas völlig Neues zu tun. Dabei lasse ich nicht zu, dass mein Verstand mich durch langwieriges Abwägen von Für und Wider lähmt. Ich handle spontan nach meinen inneren Eingebungen“ (Julia Gruber). Wer bereit war, Julia Gruber unter den von ihr genannten Voraussetzungen bis zu diesem Punkt zu folgen, wird spätestens bei der Frage, ob ein Leben „mit Lichtnahrung“, aber ohne Essen möglich ist, mit den heute gängigen wissenschaftlichen Paradigmen in Konflikt kommen. Gruber verweist bei dieser strittigen Frage unter anderem auf die Tradition indischer Yogis, aber auch auf Therese Neumann aus Konnersreuth, die von 1926 bis zu Ihrem Tod im Jahr 1962 nur von der täglichen heiligen Kommunion gelebt haben soll. „1927 wurde sie dazu über zwei Wochen lang durch Ärzte genauestens kontrolliert… In Indien wurde der Yogi >>Mataji<< Prahlad Jani …bereits zweimal über 10 beziehungsweise 15 Tage streng überwacht. Obwohl er in der Zeit weder gegessen, getrunken noch Urin oder Stuhl abgegeben hatte, waren die gemessenen Blutwerte innerhalb der definierten sicheren Grenzen. Unter diesen Bedingungen würde ein gewöhnlicher Mensch nach etwa drei Tagen an Selbstvergiftung sterben. Der verantwortliche Arzt Dr. Sudhir Shah vom Sterling Hospital spricht von einem >>Wunder<<… Doch wo Licht ist, kann auch Schatten sein, wie das Beispiel einer Ostschweizerin aus dem Jahr 2011 zeigt: Sie verstarb nach mehrmonatigem Experiment mit >>Lichtnahrung<< (Julia Gruber). Bei La Mettrie wäre es zu diesem Streit schon gar nicht gekommen. Er hätte sich weder auf die Frage nach der Seele von Menschen, Tieren und Pflanzen, noch auf die Frage eingelassen, ob es so etwas wie „Lichtnahrung“ gibt. Er hätte schlicht dekretiert, dass Nahrungsmittel wie das gesamte Universum Materie sind.
ham, 09.12.2013
Download