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John Bock, Meechfieber

Von Helmut A. Müller | In Kunst, Künstlerbuch, Rezensionen

Textsammlung und Künstlerbuch zur Ausstellung ‚John Bock. Im Modder der
Summenmutation´vom 03.10.2013 – 12.01.2014 in der Kunst- und Ausstellungshalle der
Bundesrepublik Deutschland, Bonn
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn / Verlag der
Buchhandlung Walther König, Köln, 2014, ISBN 978-3-86335-445-9, 1152 S., zahlreiche
Zeichnungen in s/w, Broschur, Format 22,8 x 17 cm, € 39,80
Für den Intendanten der Bundeskunsthalle Bonn Rein Wolfs gehört der 1965 in Gribbohm,
Schleswig-Holstein geborene John Bock zu den bedeutendsten deutschen Künstlern. Bock hat
zunächst Betriebswirtschaft und danach nahezu zeitgleich mit dem fünf Jahre jüngeren
Jonathan Meese an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg Kunst studiert. Ähnlich
wie Meese verfolgt Bock „gesamtkünstlerische Ambitionen“ (Rein Wolfs) und wird selbst
„als leibhaft zwischen den Medien Skulptur, Performance, Objektkunst, Mode und Film
wandelndes Gesamtkunstwerk“ (Birgit Sonna) beschrieben. Malerei spielt bei Bock anders als
bei Meese keine tragende Rolle. In den letzten Jahren tritt der Film in den Vordergrund. Mit
Meese gehört er zu den Künstlern, die auf das Wort setzen. Seine Performances bezeichnet er
als Vorträge. „Ich habe angefangen, mit theoretischen, mathematischen Vorträgen und ich
wollte gar nicht aktionistisch sein. Da rutscht man dann so rein, baut ein Kostüm, baut ein
Objekt und dann sagt man sich: Ja die weiße Wand reicht nicht mehr – also baut man sich ein
Bühnenbild, dann eine Bühne – und so läppert sich das“ (John Bock, 2004).
In vielen seiner Arbeiten spielt die Landwirtschaft eine bedeutende Rolle. Er weiß noch, was
ein Schwader ist, wie man Geburtshilfe bei Kälbern leistet und wie eitrige Zitzen von Kühen
zu behandeln sind. Er hat sich aber auch mit Frank J. Tiplers ‚Physik der Unsterblichkeit‘,
anthropologischen, philosophischen, ökonomischen Fragen und der Vorstellung
auseinandergesetzt, dass es einmal eine Zeit geben könnte, in der gigantische Computer alles
bisherige Leben reprogrammieren und Gott sich als unendliche Information vollenden könnte.
„John Bock ist Dadaist und Moralist, Kind und Demiurg, Chaot und Strukturalist, Clown und
Schwadroneur, Philanthrop und Anarchist in Personalunion“ (Birgit Sona). Er hat im MOMA
in New York ‚Lectures‘ gehalten (2000), unter anderem in den Kunstwerken Berlin (2001),
auf der Biennale in Venedig (2003; 2013), im Centre Pompidou in Paris (2009) ausgestellt
und 2006 in der S.R. Guggenheim Foundation New York den Hugo Boss-Preis erhalten.
Spätestens seit der Documenta 11 gilt er als Universalkünstler.
Ähnlich wie Meese sucht er früh nach für ihn passenden Strategien zur Durchsetzen der
eigenen Position im System Kunst. Deshalb beginnt die parallel zu seiner Ausstellung in der
Bundeskunsthalle in Bonn erstmals herausgegebene „umfassende Sammlung seiner
sprachkünstlerischen Vorträge und Filmskripte“ (Rein Wolfs) konsequenterweise mit einem
Fragment, das wie sein gleichnamiger Vortrag von 1992 mit der Frage „Wie werde ich
berühmt?“ (John Bock) überschrieben ist: „Wie werde ich berühmt / Fragment / Ich bin
sensibel / Lemmy von Motörhead stürzt / Hanne Darboven von einem 10-stöckigen Haus /
Fotodokumentation / Eigenheim / Lemmy stirbt beim Turmspringen / Zeitlupe Video / Töte
On Kawara / Mensch ärgere dich nicht / Großes Vergessen“. Der letzte Text der Sammlung
gibt den Ablauf und die Handlung des Kunst-Stücks „Volle Beule“ wider Das Stück endet
wie das Neue Testament mit einer Apokalypse: „Apocalypse now / Tot / Ein Toter/ Er liegt
im Kleckermatsch / Die Gedärme liegen verstreut im Erdreich / Der Ackerboden frisst die
saftigen Innereien / Der Mondschein kriecht in die Leibhöhle + verschlingt den
Leichengestank / Körpersäfte rinnen seicht bleich in die Ackerfurchen
Sitze im Auto / Auf dem Rücksitz / Nur einen habe ich schon mal gesehen / Den Fahrer kenne
ich nicht / Der Frost knackt draußen + rast gegen das fahrende / Blech / Dreck ruht sich auf
der Armatur aus / Ein leerer Kaffeebecher mit Kaffeespuren rollt auf der / Armatur hin + her /
Die Heizung dröhnt / Die Kälte schleicht um meine Knöchel, die in / Straußenlederschuhen
stecken, Fake natürlich
Zurück / Der Tote fault vor sich hin / Erkennen kann ich ihn nicht / Schädelzertrümmerung /
Bluthaar / Trockenblut / Das Erdreich verschluckt den Fleischhaufen / Windgestammel
kriecht durch die Knicks / Tönender Mord – Marsch
Zurück
Tiefer rein in die dunkle Geest / Die Scheinwerfer kriechen stolz vorweg / keines Blickes
würdig/ Die Kälte klebt an den Hinterköpfen der beiden / Männer / Einer raucht / Schweigen /
Der andere nicht / Der Beifahrer dreht am Radio rum. Vereinzelt Klänge / von Whitney
Housten befeuchten das Auto-Innerei- / Volumen weiter.
Zurück
Hirngespinst eiert in mein MolkeMeMind / Sehe? / Der Tote richtet sich auf / Seine Gedärme
platzen – platschen in den Dreck / Lichtschein wirbelt um den Leibgestank / Toter steht auf
Koppel, Ferne / Lichtblitz unter meiner Schädeldecke / Toter liegt noch da
Der Wagen, ein VW, stoppt / Vor einer Koppel / Aussteigen / Stoß in Richtung Dunkelheit /
Blick in den Pupillen-Mond / Die falschen Straußenlederschuhe sind hin / Modder quautscht
unter der Ledersohle / Warte auf den Halt / Ein Toter liegt im Modder / Er fault saftig vor sich
in / Mondscheinblut“ (John Bock).
Das titelgebende Skript ‚Meechfieber‘ ist knapp nach der Mitte des Buches zu finden und
kollagiert absurde Szenen einer ökonomisierten Anthropologie mit drastischen Szenen aus
dem heimischen Bauernhof und einem Puppenspiel. Unter der Überschrift ,QuasiMe
Behandlung´ liest man unter anderem: „Ich benötige Dich-Deiner-Selbst im Existo. Sei
Neuronenleib. Sei da Sein inside Hirnrindeleib. Lethargische Leoniden … durchströmen den
Daseinskomplex / >>Saug an Zinszitzen!<<. >>Wir sind international!<< / Leibeigener stellt Insolvenzantrag. Korsagekorpus rottet innerliche Inside-Input-Import mit glamourösem High Society Output. Gesellschaftsorientierter codierter Kot drückt sich stampfgleich Krustenfest im Renditen-DAME-Darm. Davor lauern lummerige Aktionäre mit Kragenweißsteif…“ Unter dem Stichwort ,Melken´ liest man unter anderem: „Sei Krücke in Welt / Sei Welt in Krankheit / Sei Krückenkrüppel / Sei Migräne Welt / Sei-in-der-Welt-SEIN. Unter dem Stichwort Melken liest man unter anderem: „Sei Krücke in Welt / Sei Welt in Krankheit / Sei Krückenkrüppel / Sei Migräne Welt / Sei-in-der-Welt-SEIN. Unter dem Stichwort Melken liest man unter anderem: „Sei Krücke in Welt / Sei Welt in Krankheit / Sei Krückenkrüppel / Sei Migräne Welt / Sei-in-der-Welt-SEIN / Die Gesellschaftsmelkanlage arbeitet reziprok konkav. Wendepunkt, Massenpsychose No. 4. Reziproker, konvexer Verlauf. Meechfieber setzt ein. Hyperaktive Volksspaltung knackt KopOpKoppel-Rezipienten in Innerei gleiche Meech-Moddervariable und in Außerei-Modderkonstante… Das kleine Schwungrad ist kaputt. Schade. Meechfieberelastizität … Meechfieber tangiert ZeroHero-Maximumextrakt. Meechfieber produziert die Wesenspräsenz. [Qualm] Sie verflüchtigt sich und umnebelt den reziproken Break-Even-Point meiner leiblichen Substitut-Natur meines Selbst-Seins, d.h. relativer metrischer Triebgenialität-Output im Verhältnis zum relativen Meechfieber-Input“. Man kann annehmen, dass das in der Publikation elfseitige Skript ,Meechfieber´Grundlage für den Ende 2004 im Hauptbahnhof von Mailand in der Königlichen Halle präsentierten gleichnamigen Film gewesen ist. Da in der vorliegenden Sammlung auf Zeitangaben und textkritische Anmerkungen zu den stark 160 Texten verzichtet worden ist, bleibt offen, ob das Skript nicht vielleicht auch eine Ideenskizze für den Film gewesen sein könnte. ham, 27.11.2013 Download

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