Eine Werkübersicht 

Schirmer / Mosel Verlag, München,ISBN 978-3-8296-0965-4, 144 Seiten, 63 farbige Abbildungen, Hardcover mit Schutzumschlag, Format 24 x 17 cm, € 48 (D) / €49,40 (A) / CHF 55,20

Thomas Kelleins Werkübersicht über die Konzept-, Minimal- und Landart von Walter De Maria geht auf einen Teil seiner 1982 unter dem Titel ⟩Das Großprojekt als ›Projektion‹. Neue künstlerische Maßstäbe um 1960 in Paris, im Rheinland und in New York⟨ an der Universität Hamburg eingereichte Dissertation und den 1987 daraus entwickelten und jetzt um zwei Kapitel erweiterten Ausstellungskatalog der Staatsgalerie Stuttgart ›Walter De Maria. 5 Kontinente Skulptur‹ zurück.

Die schnörkellos geschriebene, reich bebilderte und hochelegant gestaltete Publikation setzt im Jahr 1965  mit einem dem Zufall und zwei schönen Frauen zu verdankenden Gang des Unternehmers und Kunstsammlers Robert Scull (vergleiche dazu https://en.wikipedia.org/wiki/Robert_Scull) in die Paula Johnson Gallery ein (vergleiche dazu https://en.wikipedia.org/wiki/Paula_Cooper_Gallery), in der Scull einen gerahmten weißen Papierbogen hinter Glas entdeckt, auf dem schräg übereinander mit Bleistift geschrieben ›WATER WATER WATER‹ steht. Scull dreht sich um und fragt: ›How does this guy think he’s going to sell these?‹. Er kauft die konzeptionelle Landschaftszeichnung aus dem Jahr 1964 dann doch und lässt sich die Telefonnummer des Künstlers geben, um ihn in seinem Atelier zu besuchen. De Maria soll scheu, fast abweisend reagiert haben. Aber Scull erfährt, dass sich das damalige bildhauerische Œuvre De Marias fast nur auf eine Kartei beschränkt hat. Scull gab ein Werk nach der Wahl des Künstlers in Auftrag. Der erbat eine massive Silberplatte. So entstand das ›Silver Porträt of Dorian Grey‹, 1965, Silberplatte auf Holz, Samt, 101,9 x 79,1 x 190,8 cm (vergleiche dazu https://www.artsy.net/artwork/walter-de-maria-silver-portrait-of-dorian-gray).

Es folgten Arbeiten wie das Multiple ›High Energy Bar and Certificate‹, 1966 (vergleiche dazu https://www.moma.org/collection/works/80870), die ›Zinc Pyramid‹, 1965/1966 (vergleiche dazu https://www.artnet.com/artists/walter-de-maria/zinc-pyramid-YOD5KDJCgLgeJYuBekk9fw2) und der ›Death Wall‹, 1965 (vergleiche dazu http://www.themilanese.com/?p=970). 1968 kommt es mit ›Mile-long Drawing (Two Chalk Lines, Mojave Desert)‹ zu einer frühen Manifestation der Landart (vergleiche dazu https://id.pinterest.com/pin/538883911642734257/) und mit ›Desert Cross‹ (vergleiche dazu https://www.pinterest.de/pin/68820700533449486/) zur zeichenhaften Auseinandersetzung mit uralten Grundfragen des Lebens. „De Maria hat sich zeitlebens weder mit Manifestationen zu Wort gemeldet noch zu Bedeutungen seiner Arbeit Stellung genommen. Ein Verzeichnis seiner Werke fehlt, und an Aufsätzen, die mehr als Aperçus enthalten, fand man über Jahre nur wenige. Über seine Kunst wollte er selbst nicht sprechen, und schon die Nähe eines Fotografen führte bei ihm zu Fluchttendenzen. Anscheinend zur Kompensation hat er hin und wieder seine eigene Person oder einen Gegenstand aus seinem persönlichen Umkreis zum Kunstwerk erhoben“ (Thomas Kellein S. 36). 

Das gilt auch für Arbeiten wie den ›Münchener Erdraum‹ in der Galerie Friedrich & Dahlem von 1968 in München (vergleiche dazu https://obsart.blogspot.com/2012/05/munich-earth-room-de-maria-friedrich.html), den zur documenta 6 im Jahr 1977 in Kassel vor dem Fridericianum errichteten ›vertikalen Erdkilometer‹ (vergleiche dazu https://www.kassel.de/buerger/kunst_und_kultur/der-vertikale-erdkilometer.php), das ebenfalls 1977 in der Wüste des westlichen New Mexico fertiggestellte ›Lightning Field‹ (vergleiche dazu https://www.diaart.org/visit/visit-our-locations-sites/walter-de-maria-the-lightning-field) und die 1986 / 87 im Säulensaal der Alten Staatsgalerie Stuttgart aufgebaute ›5 Kontinente Skulptur‹ (vergleiche dazu https://www.kunstforum.de/artikel/walter-de-maria-5-kontinente-skulptur/), die in neuer Form in der Mercedes-Benz Art Collection in Stuttgart-Möhringen weiterlebt (vergleiche dazu https://www.mercedes-benz.art/artwork/5-kontinente-skulptur-walter-de-maria-1989).

Kellein war als Kurator an der Vorbereitung und Realisierung der 5 Kontinente Skulptur in der Staatsgalerie Stuttgart beteiligt, wollte sie unbedingt dokumentieren und hat De Maria einen längeren Aufsatz über die Arbeit mündlich in Englisch vorgetragen, den er zuvor in wesentlichen Teilen als Teil seiner Dissertation eingereicht hatte. De Maria „fühlte sich unwohl, er zuckte ein paar Male, er sagte aber nichts. Er hatte nichts zu korrigieren. Deutlich aber war – im Laufe der Zeit wurde das Gefühl immer stärker in mir –, dass er nicht ›interpretiert‹, nicht ›gedeutet‹, nicht ›erklärt‹ werden wollte. Auch Heiner Friedrich, sein wichtigster Förderer […],verbot Texte regelrecht und sagte, man solle nur ›schauen‹, man solle nur ›sehen‹“.

Dass Thomas Kellein sich nicht an dieses Verbot gehalten hat, ist für die jetzt vorliegende Publikation ein glücklicher Umstand. Sie macht es möglich, über das Sehen hinaus auch über die allgemein menschlichen und religiösen Hintergründe nachzudenken, die De Maria zu seinen Arbeiten geführt haben. „1965 hat De Maria […] auf weiße Pappe geschrieben ›I AM ONLY INTERESTED IN MYSELF‹. Das war ironisch und provokativ gemeint. Sein Œuvre bis zum Tod 2013 lässt sich zusammengefasst als Versuchsanordnung lesen, diesem Satz zu widersprechen. Bis ins frühe 20. Jahrhundert gab es kaum andere Künstler, die von sich selbst zugunsten anderer absehen wollten oder konnten. Das Universum erschien De Maria zu groß. Die Situation auf der Erde erinnerte ihn zu sehr an menschliche Gefahren und Sorgen. Für ihn konnte aus beiden Gründen kein Selbst in den Vordergrund rücken. Es ging ihm um unsere eigene, vielleicht tägliche Erneuerung durch Andacht und natürlich durch Liebe, ausgelöst durch Kunst“ (Thomas Kellein S. 120 ff.).

ham, 12. Dezember 2023

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