Dumont Buchverlag, Köln, ISBN 978-3-8321-8174-1, 221 Seiten, Hardcover gebunden, mit Lesebändchen und Schutzumschlag, Format 21,2 x 14 cm, € 20,00

Diverse Prominente haben in den letzten Jahren auf Weingüter gesetzt, so der Schauspieler Gerhard Depardieu, der 1989 das Château de Tigné im Herzen des Anbaugebiets Anjou gekauft hat (vergleiche dazu https://weinundkunst.shop/weinguter/frankreich/chateau-de-tigne.html), der Rockstar Sting und seine Frau Trudie Styler, die 1997 das Weingut Il Palagio in der Toscana erworben haben (vergleiche dazu https://www.il-palagio.com), Günther Jauch, der 2010 zusammen mit seiner Ehefrau Thea das aus seiner Familie stammende VDP-Weingut Othegraven in Kanzem an der Saar übernommen haben (vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Weingut_von_Othegraven) und nicht zuletzt Annelie Jolie und Brad Pitt, die seit 2012 das Château Mirval in der Provence anteilig besessen haben. Die Oskar-Preisträgerin soll ihren Anteil nach der Trennung an den Weinkonzern Tenute del Mondo verkauft haben (vergleiche dazu https://www.faz.net/aktuell/stil/essen-trinken/angelina-jolie-verkauft-ihre-anteile-am-weingut-miraval-17573599.html).

Der studierte Weinbauer, Kulinariker, renommierte Restaurantkritiker, Weinjournalist und gewesene Chefredakteur des Weinmagazins Vinum Carsten Henn dürfte diese und vergleichbare weitere Ankäufe im Hinterkopf gehabt haben, als er überlegt hat, ob auch er sich nicht auch einen eigenen Weinberg zulegen soll. Dazu kam sein Herzenswunsch, einen großen trockenen Riesling auf einem eigenen Weinberg anbauen zu können. Im St. Aldegunder Himmelreich an der Mosel wurde er fündig (vergleiche dazu etwa https://stein-weine.de/himmelreich/). Die auf dem nur sehr schwer zugänglichen Steilstweinberg wachsenden Trauben haben seine hohen Erwartungen allerdings nicht erfüllt, dafür aber den in der Gegend lebenden Wildschweinen bestens geschmeckt. Als er mit seinen Söhnen und einer kleinen Lesemannschaft im Herbst in den Weinberg kommt, treffen sie zwar auf hüfthohes Unkraut, Kletten, einen schönen Champignon und mehr als einen Fladen Scheiße, aber kaum auf Trauben.

„›Hier ist Scheiße‹, sagt Frederik plötzlich. ›Hier auch‹, kommt es von Hagen. Wir finden immer wieder welche … ›Vielleicht vom Hund des Försters.‹ ›Das muss dann aber eine Dogge sein, so groß, wie die Flatschen sind‹“ (Carsten Henn S. 2013). Als sie die kärgliche Ernte im Weingut Franzen zum Keltern und Ausbauen abliefern, stellt sich heraus, dass die gelesenen Trauben allenfalls fünf bis zehn Liter Wein ergeben werden, nicht mehr. Und als sie von der gefundenen Scheiße erzählen, werden sie gefragt, ob die nach Maggi gerochen hat. „Hagen und Frederick nicken. ›Dann waren das die Wildschweine.‹ ›Ich habe noch nie so viel Wildschweinscheiße wie bei euch im Wingert gesehen‹, sagt Kilian. ›Die haben da verdammt viel weggefressen.‹ Ich beschließe, baldmöglichst Wildschwein zu essen. Das zahle ich den Viechern heim!“ (Carsten Henn S. 217).

So deftig wie am Schluss des Buches geht es in den anderen Kapiteln aber nicht zu. Der Autor diverser Romane, Weinsachbücher- und Krimis geht vielmehr der Frage nach, was er in seinem Weinberg falsch gemacht hat, was er besser machen kann und was einen großen trockenen Riesling, einen GTR ausmacht. Deshalb beschließt er, die besten Rieslingerzeuger in seiner erreichbaren Nähe aufzusuchen und auszufragen. Im März hilft er im Weingut Klaus Peter Keller in Flörsheim-Dalsheim, Rheinhessen beim Schneiden und wird am Abend natürlich zu einem gemeinsamen Abendessen und zur Verkostung der eigenen Weine eingeladen. Vor lauter Reden und Trinken vergisst er seine eigentlichen Fragen. „Der Abend war einfach so nett, dass ich keine Sekunde mit Schreiben vertun wollte. Deshalb schicke ich Klaus Peter am nächsten Tag zwei Kurznachrichten mit Fragen: Was sind die Voraussetzungen für einen großen trockenen Riesling? Woran könnte es liegen, dass mir in meinem Weinberg an der Mosel keiner gelungen ist?

Auf die erste Frage bekomme ich folgende Antworten, mit denen ich mich einer Rezeptur für einen wirklich legendären Wein annähere: ›Alte Reben, bester Boden, optimaler Vegetationsverlauf und ein Winzer, der den richtigen Erntezeitpunkt wählt und den Dingen im Keller seinen Lauf lässt, weil er im Weinberg alles richtig gemacht hat. Das führt zu einem großen Wein. Und natürlich muss der Winzer über Jahre gut getrunken haben und wissen, was für ihn einen wirklich großen Wein ausmacht‹ … Klaus Peter beantwortet auch meine zweite Frage. Und er setzt damit einen Wirkungstreffer bei mir: ›Das ist, wie wenn man einen Hobbykoch fragt, warum es bei ihm daheim nicht wie bei Christian Bau schmeckt 😋“ (Carsten Henn S. 33 ff.).

Zum Binden ist er bei dem Weinrebellen und Schieferflüsterer Reinhard Löwenstein im Weingut Heymann-Löwenstein (vergleiche dazu https://www.deutschlandfunk.de/musik-und-fragen-zur-person-der-winzer-reinhard-loewenstein-100.html) in Winningen an der Untermosel (vergleiche dazu https://www.hl.wine). In Oestrich-Winkel bei Geisenheim macht er sich bei Peter Bernhard Kühn mit den Vorstellungen der Biodynamie bekannt (vergleiche dazu https://www.weingutpjkuehn.de/biodynamie/). 

Bei Randolf Kauer in Bacharach hilft er beim Ausbrechen (vergleiche dazu https://www.weingut-dr-kauer.de), bei von Winning in Deidesheim in der Pfalz teilt er die Trauben (vergleiche dazu https://www.von-winning.de/de) und bei Georg und Theresa Breuer in Rüdesheim geht es ums Trinken (http://georg-breuer.com/index.php?s=weingut). „Wir sitzen beim Abendessen zusammen. Selbstverständlich gibt es Riesling dazu, zwei großartige Flaschen aus Württemberg, von den Aldingers und Dautel. Wer Riesling liebt, sollte nicht snobistisch sein, sondern Stile zulassen. Das lehrt Riesling einen. Guter Rat“ (Carsten Henn S. 157). 

Im Weingut Dr. Loosen in Bernkastel-Kues ist eine 1992 ›Auslese trocken Hochheimer Hölle‹ schon durch. „›Man braucht immer eine gute Flasche!‹sagt Uwe. Was er damit meint: Bei alten Weinen ist die Qualität von Flasche zu Flasche unterschiedlich. Man kann zum Beispiel eine hervorragend gereifte Flasche aus dem Jahr 1980 bekommen, und eine andere Flasche – selber Winzer, selbe Lage – ist hundsmiserabel. Deswegen sagt man auch: Im Alter gibt es keine Weine mehr, es gibt nur Flaschen. Und man wünscht sich immer eine, bei der die Farbe korrekt ist, der Korken dicht und der Füllstand hoch … ›Für mich ist ein großer Wein nur dann groß, wenn er auch altern kann!‹, deklamiert Ernie“ (Carsten Henn S. 179 f.). 

Nach der Weinlese bei Julia und Benedikt Bertram-Baltes (vergleiche dazu https://www.bertram-baltes.de) im von Unwetter gebeutelten Ahrtal begreift Henn, dass er mehr Zeit für sich, seine Familie und seine Arbeit braucht. Er tauscht seine Stelle als Chefredakteur von Vinum gegen die eines einfachen Redakteurs und gesteht sich zu, dass er in seinem Leben wohl nie einen selbst erzeugten großen trockenen Riesling trinken wird. „Aber zu schätzen weiß ich sie jetzt noch mehr als zuvor. Es muss viel zusammenkommen, dass einem Winzer so etwas gelingt. Und das Schönste dabei ist, dass er dabei noch nicht einmal wissen muss, was er dafür alles braucht. Denn so ganz lässt sich das Geheimnis um den GTR nicht lösen“ (Carsten Henn S. 219).

ham, 25. Juni 2022

Kommentare sind geschlossen.

COPYRIGHT © 2023 Helmut A. Müller