C.H.Beck, München, 21016, ISBN 978-3-406-68841-6, 187 Seiten, zehn Schwarzweißabbildungen,
Klappenbroschur, Format 20,5 x 10,5 cm, C.H.Beck Paperback Originalausgabe, € 18,00 (D) / € 18,50 (A) /
E-Book € 13,99
Christiane Lange, seit Januar 2013 Direktorin an der Staatsgalerie Stuttgart, hat am 10. Oktober 2015 in
ihrem in der FAZ veröffentlichten Gespräch mit Julia Voss an die gesellschaftspolitische Aufgabe des
Museums erinnert und davon gesprochen, dass es zu seinen Pflichten gehört, Kunstgeschichte in höchster
Qualität nachzuerzählen und erlebbar zu machen. „Damit schafft es für die Besucher die Grundlage, die
Kunst und unsere Kultur zu verstehen“ (Christiane Lange, Vielleicht gibt es einfach zu viele Museen. In:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst/ein-gespraech-mit-christiane-lange-13844184.html). Dieser
originäre Museumsgedanke steht nach Lange derzeit durch die kapitalistische Vorstellung vom ständigen
Wachstum zur Disposition. Seit 1990 sind bundesweit 700 Museen neu gegründet worden. In Baden-
Württemberg gibt es im selben Zeitraum 114 Prozent mehr Museen, „ die privaten mitgerechnet. Alle diese
Museen konkurrieren um Geld, Besucher und Aufmerksamkeit […]. Allein wenn Sie alle Kunstausstellungen
in Deutschland sehen wollten, müssten Sie pro Tag 9,3 ansehen. Diese Zahl hängt natürlich mit der
Vervielfachung der Museen zusammen. Sie ist ein Produkt davon. Bei jedem neuen Haus stellt man nämlich
fest: Zur Eröffnung kamen alle, und danach kommen sie nicht mehr. Was also tun? Budenzauber,
Wechselausstellung. Das kostet wieder Geld. Dafür müssten mehr Besucher kommen. Am Anfang heißt es
noch, bei Kultur gehe es um Bildung. Aber unterm Strich sind alle in der Geld-Besucherzahlen-Falle […]. Es
entsteht ein Wettrüsten. Jeder giert um die Aufmerksamkeit“ (Christiane Lange a. a. O).
Mit ihrer Frage, ob es wünschenswert ist, dass es pro 50. 000 Einwohner ein Museum gibt, oder ob es nicht
interessanter wäre, auf weniger, aber dafür hochwertigere Museen zu setzen, ihrer Anregung, weniger gut
besuchte Museen zu schließen und deren Sammlung in größere Häuser zu integrieren und ihrem Vorschlag,
den Flaggschiffen mehr öffentliche Gelder zukommen zu lassen und statt dessen auf Zuschüsse für
Museumsbauten für private Sammlungen zu verzichten, hat sie ein bundesweites Presseecho und höchste
Aufmerksamkeit in der Fachwelt erreicht, aber laut monopol auch etliche Kollegen kleinerer Häuser gegen
sich aufgebracht. „Sie wolle keine kleinen Museen schließen, beruhigte Lange. Aber sie wolle ein
Bewusstsein dafür schaffen, dass die öffentliche Hand Gefahr läuft, sich im Kleinteiligen zu verlieren. Wer
das Niveau der Kunstmuseen hoch halten wolle, muss die Kulturgelder aus Langes Sicht in »Flaggschiffe«
stecken und nicht in immer neue Museen oder Ausstellungshäuser. Gegenwind gab es postwendend vom
Deutschen Museumsbund. Lange komme da »sehr larmoyant rüber«, sagte der Präsident Eckart Köhne der
Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. Er kenne keinen Kollegen, der die Einwände aus Stuttgart
stütze“ (Staatsgalerie-Chefin – Museumsboom in Deutschland. In: http://www.monopol-magazin.de/
museums-boom-deutschland-bremsen).
Walter Grasskamp hat sich bei seinem Eingangsvortrag auf dem von Lange am 26. und 27. November 2015
in der Staatsgalerie Stuttgart initiierte Symposium Grenzen des Wachstums # zukunftkunstmuseum nicht bei
dem Medienecho aufgehalten. Er hat das Grundsätzliche thematisiert und unter dem Titel Das Kunstmuseum.
Eine erfolgreiche Fehlkonstruktion nach den strukturellen Paradoxien gefragt. Seine jetzt vorliegende, den
Stuttgarter Vortrag erweiternde gleichnamige Publikation fasst den jüngeren Diskurs um den Auftrag, die
Chance und die Krise der Museen kongenial zusammen und führt die Schnittlinien der derzeitigen
kulturpolitischen Diskussion um den Gründungssinn und die Zukunftsaussichten der Kunstmuseen an
ausgewählten paradigmatischen Streitfällen und Problemstellungen eindrücklich vor.
Nach Grasskamp hat sich der Optimismus der 1979 von Heinrich Klotz ausgerufenen »Gründerzeit der
Museen« schon nach einem Jahrzehnt wieder verflüchtigt.„Das von ihm gegründete Architekturmuseum
geriet in eine Krise; eine Schließung wurde nun ebenso diskutiert wie die Vereinigung der Bestände mit
anderen Museen oder eine Verlagerung nach Berlin […]. Im Medienschatten der Hauptstadtdebatte ging
derweil manches Provinzmuseum unbemerkt in die Knie. In einigen Städten stellte sich die Frage, ob das
lokale Kunstmuseum seine Zukunft nicht schon hinter sich hatte, und in den Schuldenmetropolen des
Ruhrgebiets fing das Nachrechnen an […]. Auch in der Museumsliteratur kippte die Stimmung“ (Walter
Graskamm S. 12 f.) von der utopischen Linie in den Krisendiskurs und in die kulturkritische, die
kulturpathologische und die prinzipielle Institutionskritik. So hat etwa Peter Sloterdijk Museen als
«Lagerplätze für kulturelle Kriegsbeutestücke» und als «Stapelplätze für Objekte bürgerlicher
Wertschätzung» bezeichnet. Solchen und vergleichbaren „Einschätzungen hat Hermann Lübbe mit der These
widersprochen, dass Musealisierungsprozesse nicht gegen den Fortschritt gerichtete Zufluchten eines
sedierenden Vergangenheitskultes sind, sondern zur Moderne dazugehören und sie erst ermöglicht haben.
Demnach hat das Museum auf das Zerstörungspotenzial der Moderne durch eine Konservierung von
Kulturgütern reagiert, zu denen, im Zuge des Denkmalschutzes, auch abgrenzbare Zonen der Alltagswelt
gezählt wurden. Hatte Joseph Schumpeter im Kapitalismus die «schöpferische Zerstörung» ausgemacht, so
konnte Lübbe das Museum als deren Gegenstück identifizieren, nämlich als eine Art bewahrende
Entsorgungsanstalt. Lübbe bot […] den wohl interessantesten neueren Ansatz zum Verständnis dieser
Institution, für die Odo Marquard die schöne Formulierung gefunden hat: «Das Zeitalter der
Entsorgungsdeponien ist zugleich das Zeitalter der Verehrungsdeponien: der Museen»“ (Walter Grasskamp
S. 14 f.). Für Grasskamp wird Lübbes kompensationstheoretischer Ansatz allerdings erst dann tragfähig,
wenn „die verschiedenen Traditionen des Sammelns nicht ignoriert werden, aus denen die Museen
hervorgegangen sind und deren historische Versteinerungen sie heute darstellen. Denn Sammeln ist ein
strategisches und gestaltendes Vorgehen, kein bloß rezeptives und entsorgendes“ (Walter Grasskamp S. 15).
Und es hat eine paradoxiale Struktur : Man erwirbt Objekte mit hohen Folgekosten unter anderem für
Transport, Versicherung, Lagerraum, Klimatisierung, Bewachung, Konservierung, Restaurierung und
Präsentation, die man nie wieder los wird und aus eigenen Kräften weder abdecken noch erwirtschaften
kann.
Zudem sieht man sich gezwungen, einen Großteil der gesammelten Objekte nach kurzen Zeiten des Zeigens
zu verstecken, sammelt Objekte wie Dieter Roths sich selbst zersetzende Schokoladefiguren, die man nicht
erhalten kann und setzt mit dem Sammeln eine selbstschädigende Preisspirale in Gang, in der man als
öffentliches Museum nicht mehr mithalten kann. „Resümiert man diese Paradoxien […], dann muss man das
Kunstmuseum als ein doppeltes Wohlstandsphänomen begreifen: Ist seine Gründung immer schon Ausdruck
eines hohen Wohlstands gewesen, so setzt es zwingend auf ein weiteres Wachstum dieses Wohlstands, weil
es selber ja auch ständig wächst und damit höhere Kosten verursacht – das Kunstmuseum ist eine gebaute
Wohlstandserwartung. Auch diese Option ist eine doppelte: Sie betrifft die Menge der Sammlungshäuser
und damit ihre zahlenmäßige Ausbreitung in der Fläche, aber auch ihre Ausdehnung nach innen und damit
gleich zwei Risiken der Überdehnung […]. Während es in anderen Kulturinstitutionen nur um
Besitzstandswahrung geht […], ist das Museum eine Einrichtung mit einem innewohnenden Interesse an der
Besitzerweiterungswahrung – sein zehntes Paradox […]. Das parallele Wachstum von Museumswandgröße
und Werkformat ist das elfte“ […]. Dass „ausgerechnet in einem Museum […] die Gegenwart die
Vergangenheit verdrängt – das zwölfte“ (Walter Grasskamp S. 35 ff.). Bereits mit ihrer Gründung müssen
Museen mit ihrer strukturellen Unterfinanzierung und einer strukturell wachsenden Deckungslücke leben.
Dass trotzdem immer noch teure Neubauten für dann billig betriebene Museen errichtet werden, kann als
dreizehntes Paradox gelten und dass es leichter ist, Museen zu gründen als Museen zu schließen, als
vierzehntes und fünfzehntes Paradox. Der damit skizzierte gordische Knoten ist alles andere als leicht
aufzuschnüren.
Das zeigen die Schnittlinien der von Grasskamp vorgeführten jüngeren Diskussionen um Fragen wie die, ob
Museumsbesitz verkauft werden darf oder nicht, ob die mit der Gründung eines Museums eingegangene
Verpflichtung des Sammelns, Bewahren und Erforschen auch für die nachfolgende Generationen gilt und ob
die Schausammlung eines Museums als eine Wechselausstellung auf Zeit zu begreifen ist oder ob um der
Besucherquote wegen auf Blockbuster- und Sonderausstellungen gesetzt werden soll. Weitere Kapitel fragen,
warum heutige Museen zu Baustellen geworden sind, warum es möglicherweise sinnvoll gewesen wäre, auf
den Ankauf von Werken von Thomas Hirschhorn zu verzichten und warum mit dem Beuys-Block im
Hessischen Landesmuseum Darmstadt und dem «Deutschlandgerät» von Reinhard Micha im K21 in
Düsseldorf „Signaturräume“ und „räumliche Betrachtungsrahmen“ geschaffen worden sind, die sich im
Regelfall dem Zugriff der Kustoden entziehen. „Während die Weigerung eines Museumsdirektors, den
Zeigeverpflichtungen zu folgen, die ein Vorgänger für Leihgabenblöcke vereinbart hatte, in der Regel nur die
Rückgabe der Werke zur Folge hat, gerät bei Ensembles mit einer solchen Unwiederherstellbarkeit eine
Qualität von Authentizität ins Spiel, die einer historischen Amtsanmaßung des Künstlers gleichkommt, der
sogar die Tradierung eines ganzen Werkkomplexes in die eigene Hand nehmen möchte. Wie lange soll ein
Künstler aber über sein Werk verfügen dürfen, wenn es ins Museum gelangt ist?“ (Walter Grasskamp S. 148
f.). Das der Frage der Künstlernachlässe gewidmete Schlusskapitel „Zunehmendes Nachlassen“ endet
aporetisch: In aller Regel werden Künstler und ihre Erben damit rechnen müssen, dass die Preise mit dem
Tod nicht wie bei Martin Kippenberger steigen, sondern fallen und dass ganze Lebenswerke weder in
Museen, noch in privaten Sammlungshäusern, noch in Sekundärdepots, noch in Ersatzspeichern, sondern in
Containern und auf Deponien landen. „Der Regelfall dürfte die Vernichtung sein“ (Walter Grasskamp S.
159).
ham, 4. April 2016