Verlag C. H. Beck. München 2025, ISBN 978-3-406-82918-5, 656 Seiten mit 106 Abbildungen, davon 41 in Farbe, 5 Karten, Hardcover mit Schutzumschlag, Format 24,3 x 16,5 cm, € 38,00

Der 1954 in Rendsburg geborene und seit 1992 an der Universität Fribourg Allgemeine und Schweizer Geschichte lehrende deutsche Historiker und Experte für die italienische Renaissance Volker Reinhardt erschließt mit seiner kein Atemholen zulassenden Wanderung durch zwölf Jahrhunderte französischer Geschichte einen umfassenden Blick auf die Kultur der Grande Nation. 

Reinhardt setzt mit dem Ruf der Krieger Karls des Großen „Oh du süßes Frankreich! Dulce France !“ aus dem um 1100 entstandenen Chanson de Roland ein und findet in ihm den Ursprung des französischen Selbstverständnisses. „Mit dulce France prägte der unbekannte Autor eine bis heute im Lande selbst und weit darüber hinaus verbreitete und tief verinnerlichte Formel. Dulce hatte schon damals ein weites Bedeutungsfeld: milde, was Witterungsverhältnisse und Wesensart der Menschen betrifft, heiter, ausgeglichen, zwischen den Gegensätzen vermittelnd, den sinnlichen Genüssen zugewandt, allen Übersteigerungen und Extremen abhold […]. In Literatur, Philosophie, Musik, bildenden Künsten und Lebensart ist »französisch« für die kreative Elite Frankreichs durch die Jahrhunderte hindurch gleichbedeutend mit hell, elegant, sinnlich und vital, aber auch mit ironisch und aufmüpfig, manchmal sogar mit subversiv und demaskierend, insgesamt mit maßvoll, ausgewogen, transparent, vermittelnd und vernünftig. Von all diesen Selbstzuschreibungen hat sich »Klarheit« am stärksten durchgesetzt, und zwar schon lange vor der Aufklärung des 18. Jahrhunderts, als »rational« mit bewundernden oder abträglichen Untertönen zum Inbegriff des Französischen schlechthin wurde“ (Volker Reinhardt, Seite 11 f.).

Intellektuelle und Künstler, die sich als Französinnen und Franzosen verstehen und empfinden, definieren ihre Ideen und Werke als Beitrag zu einer gemeinsamen, übergeordneten »französischen« Kultur und damit als Ausdruck einer Zusammengehörigkeit, die sie selbst auf der Grundlage älterer, den gewandelten Zeitverhältnissen immer wieder angepasster Motive stets aufs Neue konstruieren. Reinhardt geht diesen Beiträgen an Autoren wie Pierre Abélard, Albertus Magnus, Honoré Balzac, Brigitte Bardot, Roland Barthes, Jean-Paul Belmondo, Hector Berlioz, Georges Braque, Albert Camus, Claude Chabrol, Coco Chanel, Claude Debussy, René Descartes, Alfred Dreyfus, Charles de Gaulle, Paul Gauguin, Jeanne d’Arc, Marie-Madeleine Lafayette, Ludwig XIV., Stéphane Mallarmé, Jean-Paul Marat, Catherine de Médici, François Mitterand, Napoleon I. Bonaparte, François Rabelais, Armand-Jean du Plessis de Richelieu, Maximilien de Robespierre, Marquis de Sade, Alphonse Toulouse-Lautrec-Montfa und vielen weiteren mehr anhand von prägnant vorgestellten Werkbeispielen nach.

Das erste Großkapitel stellt die Wandlung der Kultur der Höfe zur Kultur des Hofes in der Zeit von 1100 bis 1330 vo. Das sechste und letzte Großkapitel „Die Moderne und ihre Brüche“ schließt mit Reflexionen über Mitterands Großprojekte des neuen Louvre, Ieoh Ming Peis Pyramide im Hof des Louvre (vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Glaspyramide_im_Innenhof_des_Louvre) und die Neugestaltung des Quartiers La Défense mit »La Grande Arche de la Fraternité« als Endpunkt der »Axe historique« und »Voie triomphale«, die sich vom Louvre durch die Tuilerien über die Place de la Concorde und die Avenue Champs Élysées bis zum monumentalen Büroviertel »La Défense«, benannt nach der Verteidigung der Stadt gegen die Deutschen 1871, zieht (vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Grande_Arche). „Mehr Pathos, mehr Geschichte, mehr Zukunftsoffenheit geht kaum“ (Volker Reinhardt, S. 623).

ham, 15. März 2025

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