Nordheimer Scheune 10. Februar 2024
Liebe Freundinnen und Freunde der Nordheimer Scheune, meine sehr geehrten Damen und Herren,
wenn Sie den in halbjähriger Arbeit aus einer Weißtanne heraus gehauenen, danach in Aluminium gegossenen und farbig bemalten 4,30 hohen Taxidriver von Daniel Wagenblast beim Heilbronner Götzenturm oder einen seiner Weltenfahrer kennen, werden Sie sich im Eingangsbereich der Nordheimer Scheune über seine neuen Zeichnungen gewundert haben: Diese Wagenblast-Zeichnungen gehen zum einen auf Fotos zurück, die er im letzten Jahr in Palm Beach während einer Kunstmesse geschossen hat. Und zum anderen auf das genaue Studium von David Hockneys iPad-Fries A Year in Normandie und weitere Hockney-Bilder, die bis Mitte Juli 2017 im Museum Würth 2 in Künzelsau zu sehen waren: Wagenblast ließ sich durch diese Bilder dazu anregen, auszuprobieren, was passiert, wenn Zeichnungen auf einfache, neben- und übereinander gelegte Striche aufgebaut werden. Im Ergebnis seines Experiments sehen wir von Straßenlampen, parkenden Autos und Häuserzeilen gesäumte Straßen in Gelb, Rostbraun und Violett, auf denen auch ein Target-Supermarkt zu entdecken ist, eine Art Kaufland für die USA. Target-Märkte werben mit einem roten Punkt im roten Kreis auf weißem Grund oder mit einem weißen Punkt im weißen Kreis auf rotem Grund. Bei manchen dieser Märkte erregen auf die Fassade aufgemalte Hunde zusätzliche Aufmerksamkeit. In einer Zeichnung von Wagenblast sieht man diesen Hund. Er ist in dunklem Moosgrün gehalten und sitzt vor einem ins Lila stechenden Berg und dem Target-Signet. In einer zweiten, etwas hellere Fassung sieht man auch noch den Schatten des Hundes. Auf einer weiteren Zeichnung wachsen Palmen.
Wagenblasts Zeichnungen sind wie Museumsware in Rahmen hinter Glas und Passepartouts präsentiert. Aber die Passepartouts fallen aus dem üblichen Rahmen. Sie sind mit zitronengelben, türkis-grünen und rostroten Großbuchstaben übersprüht, die die Worte ›PAIN IN THE ASS‹ und ›FUNBRAKE‹ ergeben. ›Pain in the ass‹ heißt so viel wie Nervensäge; ›Funbrake‹ Spassbremse. Diese Worte gehen auf einen gespielten Wortwechsel und Streit zwischen Wagenblast und dem Karlsruher Galeristen Michael Oess auf einer der Straßen von Palm Beach über diese hinweg zurück, die Wagenblast nach seinen Fotos gezeichnet hat. Mit der Überlagerung seiner Komposition durch Großbuchstaben greift er auf eine Idee zurück, die er schon 1998 in seiner New Yorker Zeichnungsserie Taxi Driver Wisdom, das heißt Taxifahrerweisheiten entwickelt und umgesetzt hat. Der Titel der Serie verdankt sich dem gleichnamigen Buch von Risa Mickenberg, die in ihm „Weisheiten“ von Taxifahrern zusammengestellt hat. Auf einer der Zeichnungen von 1998 liest man über blau und gelb gehaltenen Häuserschluchten und über gelb gehaltenen Autos in bräunlichem Rot und Braun: „TIME GOES. THAT’S IT.“
Wagenblast hatte in der Zeit nach seinem Malereistudium in der Kunstakademie Stuttgart wie zu erwarten gemalt und gezeichnet, dann aber 1992/93 mit der Arbeit an figürlichen Holzplastiken begonnen. Sein bemalter, 32 x 38 x 34 Zentimeter großer hölzerner Target-Markt von 2023 Target 3 mit dem grauen Hund über dem Dach steht in dieser Tradition und jetzt im Wohnzimmer, sein bemalter 67,5 x 30 x 15 cm großer man von 2023 vor der Außentüre der Galerie. Er schaut von dort aus über unsere Runde hinweg.
Wagenblast geht mit Gerhard Richter davon aus, dass Bilder und Skulpturen einfach sein müssen, eine Figur, ein Gegenstand, nicht mehr. Daran hat er sich in seinem ganzen Werk gehalten, jedenfalls meistens. Seine von Arnold Böcklins Toteninsel inspirierte Insel frauenbaumkirche von 2018 mit einer Madonna, einer Kirche und einem Baum kommt deshalb schon etwas üppig daher. Aber die doppelten gesockelte nahezu schwarze Gruppe wird im Abstand als Einheit wahrgenommen und erfüllt damit die eigene Vorgabe. Seine 115 x 126 cm großen Zeichnungen handKaktus 1-3 von 2018 fragen, ob man tatsächlich alles in die Hand nehmen und machen muss, was man in die Hand nehmen und machen kann. Aber sie sind natürlich auch für andere Deutungen offen. Wagenblast macht eins nach dem anderen und nur das, was ihn tatsächlich interessiert. Er macht etwas für sich und nichts für den Markt. Wenn seine Arbeiten auf Interesse stoßen, freut er sich.
Wie seine Frau Isa Dahl setzt auch Wagenblast auf einen traditionellen Werkbegriff. Beide gehen von der Vorstellung aus, dass Künstler Dinge machen sollten, die überdauern. Bilder sollen zum Spiegel für den Betrachter werden, zum Gegenüber, zum Wahrnehmungsraum, in dem die Welt in anderen Färbungen und Perspektiven erscheint. Beide sind davon überzeugt, dass ein Lebenswerk nur dann offen bleibt und sich weiterentwickelt, wenn ein Künstler mit der Möglichkeit des permanenten Scheiterns lebt, also damit, dass er mit einem Strich oder einem Hieb alles kaputt machen kann. Künstler-Sein ist dann ein permanentes, ein lebenslanges Riskieren und Ausprobieren. Wer dieses Risiko scheut, sollte aufhören.
Isa Dahl hat ihren Mann 1984 in der Kunstakademie Stuttgart in der Klasse von Peter Grau kennengelernt. 1989 ist sie an die Kunstakademie Düsseldorf zu Dieter Krieg gewechselt und lotet seit dieser Zeit die unendlichen Möglichkeiten abstrakter Ölmalerei in den Formaten Rechteck, Quadrat, Tondo und weiteren Formaten aus. Das Quadrat ist für sie zum Inbegriff einer rein abstrakten Form, der Kreis zur Chiffre für Unendlichkeit geworden.
Auf dem Weg ins Wohnzimmer stößt man im Flur auf das auf seinen Mittelpunkt zentrierte rot dominierte Rundbild bloom aus dem Jahr 2024. Es hat einen Durchmesser von 80 cm und erinnert michan die sich drehenden und möglicherweise windschief gewordene Windräderflügel von Don Quichotte, andere sehen eine Blume. Das etwa kleinere Rundbild grow mit dem Durchmesser von 40 cm weist mit seinen gelben, braunen und bläulich-lila Pinselschwüngen und seinem türkisen Spalt in der oberen rechten Ecke auf das Großformat grow im Wohnzimmer voraus. Im Wohnzimmer hängt Isa Dahls langgestrecktes, 140 x 280 cm große Tafelbild grow aus dem Jahr 2022. Es korrespondiert mit seiner von Gelb ins Blaue wechselnden Farbigkeit bestens mit den unterschiedlichen Gelbs der Sitzgarnitur. Man kann sich dieses Riesenformat regelrecht von links nach rechts erwandern und begegnet dabei über-, unter- und nebeneinander gelegten gelben, braunen, violetten, blauen und grünen wohl 20 cm breiten Pinselschwüngen auf moosgrünem Grund. Die genannten und die zwischen rot und lila, grün und gelb changierende quadratische Arbeit bloom hier im Raum im Format 170 x 170 cm aus dem Jahr 2023, die michan ein aufgewühltes Meer oder einen bewegten Frühlingshimmel erinnernde parallele blaue Arbeit wanderung von 2021 und das rostrote und das gelb-braune Quadrat aus der Serie als ob im Format 60 x 60 cm aus dem Jahr 2018 leben davon,
– dass Isa Dahl die Ölfarbe in dünnen Lasurschichten auf dem Bildgrund übereinander gelegt hat,
– die Farben beim Auftragen miteinander vermischt und sie sich auf der Leinwand selbsttätig weiter vermischen lässt,
– dass sie es versteht, Licht aus dem Bild-Untergrund – oder soll ich sagen – aus dem Urgrund aufscheinen zu lassen (ich denke dabei an das „Es werde Licht!“ aus der Schöpfungsgeschichte)
– und dass sie das Ruhe- und Bewegungspotential ihrer Kompositionen in der Fläche der Kreis-, Quadrat- und Rechteck-Formen miteinander vermählen und zu einem harmonischen Ausgleich bringen kann.
Isa Dahl hat in ihren Anfängen bis zu 3 x 3 Meter große Bilder gemalt, diese Formate aber im Laufe der Jahre aus logistischen Gründen aufgegeben. Heute geht es ihr nicht mehr um möglichst große Bilder, sondern darum, dass ihr Bilder gelingen. Gute und gelingende Bilder machen sie glücklich. Wenn ihr ein Bild gelingt und glückt, kann sie es beruhigt seinem Trocknungsprozess überlassen und den nächsten Anlauf starten. Alle bisherigen und jede weitere Arbeit von Isa Dahl geben dem Betrachter Einblick in ihren Entstehungsprozess. Sie sind deshalb letztlich Erzählungen vom Werden dieser Malereien und damit auch Erzählungen vom Malakt selbst, vom Raum und von der Zeit, den ein Malakt braucht und von dem, was aus ihm werden kann.
ham, 10. Februar 2024