Mit einem Vorwort von Jane Goodall

Aus dem Englischen übersetzt von Ursula Richter 

Patmos Verlag, Ostfildern, 9. Januar 2023, Neuausgabe des 1987 unter dem Originaltitel ›Being Peace‹ by the Plum Village Community of Engaged Buddhismus Inc.erschienen Klassikers‹. Mit einem Vorwort von Jane Goodall. ISBN 978-3-8436-1430-6, 112 Seiten, Hardcover 22,5 x 14,5 cm, € 18,00 (D) / € 18,50 (A)

Nach dem erneuten Angriff Russlands am 24. Februar 2022 auf die souveräne Ukraine, deren unerwartet robusten Reaktion und Putins Drohung mit atomaren Waffen kommt einem einmal die Marcus Tullius Cicero zugeschriebene lateinische Regel „si vis pacem, para bellum“ in den Sinn, ›Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor‹. Dann aber auch das unmissverständliche Bekenntnis der Vollversammlung des Ökumenischen Rats 1948 in Amsterdam „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein“ und die darauf folgende kontroverse Debatte um die friedensethisch zu verantwortende oder abzulehnende Drohung mit Atomwaffen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (vergleiche dazu die 8. Heidelberger These von 1959 „Die Kirche muss die Beteiligung an dem Versuch, durch das Dasein von Atomwaffen einen Frieden in Freiheit zu sichern, als eine heute noch mögliche christliche Handlungsweise anerkennen“. Und weiter die EKD-Denkschrift ›Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen‹ von 2007, die die Drohung mit Atomwaffen ablehnt). Und schließlich die immer neu zu stellende Frage, was der Friede, den der Auferstandene seinen Jüngern nach Johannes 14,27 verheißt, heute konkret bedeutet und wie sein Gebot der Feindesliebe gelebt werden kann (vergleiche dazu Johannes 14,27 „Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht“ und Matthäus 5, 43 ff. „Ihr habt gehört, dass gesagt ist: ›Du sollst deinen Nächsten lieben‹ ⟨3. Mose 19,18⟩ und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel“).

An den vor einem Jahr am 22. Januar 2022 im Alter von 95 Jahren verstorbenen vietnamesischen Mönch, Zen-Meister, Ordensgründer, Poeten, Aktivisten für Frieden und Menschenrechte und weltweit bekannten Vertreter des Buddhismus Thich Nhat Hanh denkt man zunächst eher nicht. Dabei waren Jesus und Buddha für ihn in Sachen Feindesliebe geistesverwandte Brüder (vergleiche dazu Thich Nhat Han, Jesus und Buddha – Ein Dialog der Liebe, 2000, Stuttgart 2010 und Feindesliebe in https://de.wikipedia.org/wiki/Feindesliebe). Auch er wollte seine Feinde lieben. Deshalb hat er sich im Vietnamkrieg darum bemüht, beide Seiten zu verstehen, die Seite der Antikommunisten und die Seite der Kommunisten.

Zwar ist das Leben für ihn voller Leiden; „es ist aber auch voller Wunder; der blaue Himmel, der Sonnenschein, die Augen eines kleinen Kindes. Es gibt nicht nur Leiden. Wir müssen ebenso mit den Wundern des Lebens in Berührung sein. Sie sind in uns und um uns herum, überall, zu jeder Zeit“ (Thich Nhat Hanh S. 15). Alles Lebendige ist miteinander verbunden und wie der Atem ständig im Fluss. Wer es schafft, diesen ständigen Fluss als immer gleichen Rhythmus des gütigen Lebens im Hier und Jetzt zu folgen, erhält Gewissheit und Vertrauen, ein Lebensgefühl jenseits von Angst und Besorgnis (vergleiche dazu Michael von Brück, Tich Nhat Hanh ⟨1926 –2022⟩. In: https://www.meditationshaus-domicilium.de/files/MvB_ThichNhatHanh.pdf). Den Weg zu Gewissheit und Vertrauen bereitet das Erwachen, das Verstehen, die Liebe und die Wahrnehmung des Buddhas in uns, die Entdeckung, dass wir selbst Buddhas sind. „Buddhas sind aus Fleisch und Blut, nicht aus Kupfer oder Silber oder Gold. Die Buddha-Statue ist nur ein Symbol des Buddhas. Der Wortstamm ›budh‹ bedeutet ›erwachen‹, ›wissen‹ und ›verstehen‹; und wer erwacht, wird ›Buddha‹ genannt“ (Thich Nath Hanh S.25). Dieses Erwachen führt zum inneren Frieden.

Erwachen, Verstehen und Liebe dürfen aber keine bloßen Konzepte bleiben; sie müssen wirkliche Dinge werden, die eine tatsächliche Wirkung auf unser Leben und unsere Mitwelt haben. Buddhismus zu praktizieren bedeutet deshalb immer, heiter, glücklich, verständnis- und liebevoll zu sein und zugleich sein Leben nicht zu vergeuden und das Leiden in der Mitwelt zu minimieren. „Auf diese Weise arbeiten wir für den Frieden und das Glück unserer Familie und Gesellschaft“ (Thich Nhat Hanh S. 39). Das ist engagierter Buddhismus, die Außenseite des Friedens.

Während des Vietnamkrieges ist Thich Nhat Hanh, inspiriert von der Gewaltfreiheit Mahatma Gandhis, zum Friedensaktivist geworden und hat zusammen mit anderen jungen Buddhistinnen und Buddhisten Kriegsopfern geholfen, ihre von Bomben zerstörten Dörfer wieder aufzubauen (vergleiche dazu und zum Folgenden Thich Nhat Hanh S. 79 ff.). „Viele von uns starben dabei, nicht nur durch Bomben und Gewehre, sondern auch durch Menschen, die uns verdächtigten, auf der anderen Seite zu stehen. Wir konnten die Leiden beider Seiten sehen, die der Kommunisten und die der Antikommunisten. Wir versuchten, für beide offen zu sein, diese Seite und jene Seite zu verstehen, eins mit ihnen zu sein. Aus diesem Grund haben wir nie Partei ergriffen … Wir versuchten, den Menschen unsere Sicht der Situation klarzumachen: dass wir die Kämpfe beenden wollten. Aber die Bomben waren so laut. Manchmal mussten wir uns bei lebendigem Leib verbrennen, um unsere Botschaft deutlich zu machen, aber selbst dann konnte uns die Welt nicht hören. Viele meinten, wir unterstützten irgendeine politische Unternehmung. Sie erkannten nicht, dass es sich um rein humanitäre Taten handelte, um nur endlich gehört zu werden. Wir wollten Versöhnung und keinen Sieg. Eine Arbeit unter solchen Umständen ist sehr gefährlich – wir wollten Menschen helfen, und dabei wurden viele von uns getötet. Die Kommunisten töteten uns, weil sie uns verdächtigten, mit den Amerikanern zusammenzuarbeiten, und die Antikommunisten töteten uns, weil sie dachten, wir seien auf der Seite der Kommunisten. Aber wir wollten nicht aufgeben und etwa nur eine Seite unterstützen.

Die Welt ist immer so. Die Menschen identifizieren sich vollständig mit einer Seite, einer Ideologie. Um das Leiden und die Furcht eines Menschen aus einem Land zu verstehen, dem unsere Nation feindlich gegenüber steht, müssen wir eins werden mit ihm. Das ist gefährlich – wir werden bei beiden Seiten in Verdacht geraten. Aber wenn wir das nicht tun, wenn wir uns nur der einen oder der anderen Seite anschließen, verpassen wir unsere Chance, für den Frieden zu arbeiten. Aussöhnung bedeutet, beide Seiten zu verstehen, der einen Seite die Leiden der anderen Seite zu beschreiben und umgekehrt. Allein das zu tun ist bereits eine große Hilfe für den Frieden“ (Thich Nhat Hanh S. 80 f.).

Aufgrund seiner Friedensaktivitäten wurde ihm 1966 die Rückreise in seine Heimat verweigert. Danach lebte er in Frankreich im Exil. 1982 gründete er mit seiner Schwester Chan Khong bei Bordeaux das buddhistische Kloster und Übungszentrum Plum Village für Nonnen, Mönche und Laien, in dem jährlich viele Tausende aus aller Welt die Kunst des achtsamen Lebens lernen. Dazu kamen weitere Klostergründungen in Kalifornien, New York, Vietnam, Paris, Hongkong, Thailand, Mississippi, Australien und Deutschland. „Seine Bewegung nennt er Inter-Being (Inter-Sein): Alle Lebewesen leben von der Verbindung und in Kommunion mit anderen Lebewesen. Dies bewusst zu machen, ist die Aufgabe, ohne die auch eine tiefgreifende ökologische Transformation nicht gelingen kann. Millionen sind von ihm inspiriert, über alle Grenzen von Nation und Religion hinweg“. Wie war das möglich? Er war authentisch – mitfühlend, mitdenkend, mithandelnd (Michael von Brück a. a. O.). Ab Herbst 2018 lebte er schwer erkrankt in seinem Wurzelkloster in Vietnam, im Tu Hieu-Kloster in Hue, wo er mit 16 Jahren als Novize ordiniert worden war. Dort starb er am 22. Januar 2022.

ham, 17. Februar 2022

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