Aus dem Englischen von Helmut Reuter

Albrecht Knaus Verlag, München, 2017, ISBN 978-3-8135-0757-7, 877 Seiten, 56 s-w Illustrationen,
Hardcover gebunden mit Schutzumschlag, € 36,00

Der 1945 in Lancashire, England geborene studierte Chemiker, Sach- und Romanbuchautor und zeitweilige
Dozent für Physik, Management und kreatives Schreiben John Hands überrascht in seiner gleichermaßen
wissenschaftskritischen und wissenschaftsgläubigen Darstellung der Evolution des Kosmos und des
menschlichen Selbstbewusstseins mit einer Fülle von Informationen aus den Natur- und
Lebenswissenschaften und streift dabei auch alternative Modelle wie Fritjof Capras ganzheitlichsystemischen
Ansatz einer Verbindung von östlicher Mystik und moderner Physik und Rupert Sheldrakes
Hypothese von morphogenetischen oder morphischen Feldern als formbildenden Ursachen von Strukturen in
Biologie, Physik, Chemie und Gesellschaft. Sein knapper Seitenblick auf die Geisteswissenschaften kratzt
allenfalls an der Oberfläche der viel diskutierten Beziehungen zwischen Natur-, Lebens- und
Geisteswissenschaften und soll deshalb im Kontext dieser Besprechung nur gestreift werden.

Hands’ Verständnis des wissenschaftlichen Zugriffs auf die Natur liegt ein an der Physik orientierter
Wissenschaftsbegriff zugrunde, der Naturphänomene mithilfe systematischer, vorzugsweise messbarer
Beobachtungen oder Experimente zu verstehen und zu erklären versucht, daraus Gesetze und aus Gesetzen
Hypothesen ableitet, die es erlauben, Vorhersagen und Rückschlüsse auf Befunde aus der Vergangenheit zu
machen. Wenn sich die Hypothesen bestätigen lassen, werden sie so lange als wissenschaftliche Theorien
akzeptiert, bis weitere Daten mit ihnen in Konflikt geraten. Wenn „das der Fall ist, wird die Theorie
entweder modifiziert oder zugunsten einer neuen Hypothese verworfen, die mit allen Daten vereinbar
ist“ (John Hands S. 694). Was sich dem datenbasierten Zugriff auf die Wirklichkeit entzieht, ist in Hands
Vorstellung aus dem Reich der Wissenschaften ausgeschlossen und tendenziell Aberglaube, es sei denn, es
besteht Hoffnung auf neue Daten, die neue Einsichten und Erkenntnisse erwarten lassen.

Dass Hands’ eng geführtes Wissenschaftsverständnis mit anderen und weiter gefassten Verständnissen von
wissenschaftlicher Theoriebildung kollidieren muss und dass es keinen vorurteilsfreien Umgang mit Religion
erlaubt, ist offenkundig. Das zeigt sich schon in Hands’ Kritik an der gegenwärtigen Kosmologie. So kann
das derzeit in der Kosmologie gängige Big-Bang-Basis-Modell den „wissenschaftlichen Test für eine
belastbare Theorie“ nach seinem Urteil nicht bestehen. Auch die am Basismodell vorgenommenen
Änderungen, die zum inflatorischen Quantenfluktuations-Big-Bang-Modell führen, sind „mit keiner
bekannten Methode zu überprüfen“. Dazu kann nicht erklärt werden, „warum das Universum die vorliegende
Form angenommen hat, wo doch andere Formen möglich gewesen wären […], und, was entscheidend ist,
woher alles kam […]. Die Kosmologie unterscheidet sich“ nach Hands „insofern von anderen
Wissenschaftszweigen, als wir nur ein Universum haben; dazu ist es unvergleichlich groß, und wir sind ein
Teil davon. Diese Unterschiede bringen praktische Probleme mit sich, etwa Detektionsgrenzen,
Schwierigkeiten bei Messungen, Probleme der Dateninterpretation und der Gültigkeit zugrunde liegender
Annahmen. Außerdem sind nicht nur die zugrunde liegenden Theorien der Relativität, der Quantenmechanik
und der Teilchenphysik nicht angemessen auf das Universum als Ganzes anzuwenden. Folglich können wir
nicht mit Sicherheit sagen, wie alt das Universum […] ist oder wie groß seine behauptete Expansionsrate
[…]. Trotz dieser beachtlichen Probleme stellen Kosmologen oft Behauptungen auf, die wissenschaftlich
kaum gerechtfertigt sind“ und „eher nach einem Glaubenssystem als nach einer Wissenschaft“ klingen (John
Hands S. 225 ff.).

Vergleichbares gilt für Hypothesen, die erklären sollen, warum es auf der Erde vor 3,5 oder 3,8 oder 3,85
Milliarden Jahren zur Ausbildung von Leben gekommen ist. „Keine wissenschaftliche Hypothese kann
erklären, warum Proteine […] sich lediglich aus Kombinationen von bis zu 20 verschiedenen Aminosäuren
zusammensetzen, wo doch ungefähr 500 bekannt sind, und warum dabei von zwei möglichen
spiegelbildlichen Isomeren nur die linkshändigen herangezogen werden […]. Keine wissenschaftliche
Hypothese kann überzeugend erklären, wie aus der Interaktion der Atome und der Moleküle aus bis zu 13
Atomen auf der Oberfläche der neu gebildeten Erde die lebensnotwendigen komplexen Bestandteile
einschließlich ihrer wechselnden Konfigurationen und Funktionsweisen hervorgegangen sind, welche die
einfachste – und vermutlich primitivste Lebensform ausmachen […]. Die herrschende biochemische
Erklärung, wie das Leben aus einer Ursuppe solcher chemischer Verbindungen entstand, ließ sich durch
Experimente nicht bestätigen; sie ist unter anderem deshalb ungültig, weil es statistisch äußerst
unwahrscheinlich ist, dass zufällige Reaktionen in einer wässrigen Lösung selbstreplizierende RNAMoleküle
oder auch nur selbstreplizierende Peptide erzeugt haben könnten, und schon gar keine mit
ausschließlich linkshändigen Aminosäure-Isomeren […]. Die verschiedenen Vorschläge, das Leben sei aus
dem Weltraum auf die Erde gelangt, verlagern die Ausgangsfrage einfach […]. Das schwache anthropische
Prinzip erklärt nichts; die verschiedenen Varianten des starken anthropischen Prinzips sind dagegen ebenso
wenig falsifizierbar wie Vorschläge, die erste Zelle sei durch Intelligent Design entstanden – beides liegt
damit außerhalb des Bereichs der Wissenschaft“ (John Hands S. 564 ff.).

Dasselbe gilt nach Hands in Variation schließlich auch für die Hypothesen des Neodarwinismus. Die derzeit
herrschende Lehre erklärt die natürliche Evolution „mit einer aktualisierten Synthese der darwinistischen
Selektion zufällig erzeugter erblicher Merkmale, durch die Individuen innerhalb der Population einer Art
besser daran angepasst sind, um begrenzte Ressourcen in ihrer Umgebung zu konkurrieren […]. Ergänzt
wird dies mit der auf Statistiken beruhenden Populationsgenetik und dem zentralen Dogma der
Molekularbiologie, wonach Information nur in einer Richtung fließt – vom Gen zum Protein in einer Zelle
[…]. Viele Verfechter dieses neodarwinistischen Paradigmas sagen, die natürliche Selektion verursache die
biologische Evolution; sie kann jedoch keine Ursache sein, solange die Natur nicht auswählt, denn
selektieren heißt wählen. Ebenso wenig kann sie als Metapher für ein Naturgesetz stehen, weil ihre Vertreter
nirgends ein auf Genen beruhendes Naturgesetz benennen, das sich auf alle lebenden Dinge anwenden lässt,
geschweige denn, dass sie einen Beweis dafür liefern könnten. Wenn natürliche Selektion mehr sein soll als
ein zirkelschlüssiges Argument (es überleben die Organismen und pflanzen sich stärker fort, die natürlich
selektiert werden, um zu überleben und sich stärker fortzupflanzen), dann ist sie eine passive Feststellung
von Wirkungen, die durch andere Dinge verursacht werden“ (John Hands S. 568).

Für die wissenschaftliche Bewertung der in den Religionen verhandelten Ursprungsmythen fehlt es nach
Hands schlicht an Belegen. „Dagegen verfügen wir sehr wohl über genügend wissenschaftliche Belege, mit
denen wir die buchstäbliche Wahrheit der meisten dieser Mythen widerlegen können – einschließlich derer,
die angeblich von einem externen, transzendenten Gott offenbart worden sind […]. Aus einer rein
wissenschaftlichen und rationalen Perspektive fallen die meisten Ursprungsmythen […] in die Kategorie des
Aberglaubens, den ich, wie folgt definiere: Aberglauben – Eine Überzeugung, die mit wissenschaftlichen
Belegen kollidiert oder für die es keine vernünftige Grundlage gibt; gewöhnlich erwächst sie aus einem
Mangel an Verständnis für Naturerscheinungen oder einer Furcht vor dem Unbekannten“ (John Hands S. 36
f.). Religionen sind nach Hands Organisationen, die zu dem Zweck eingerichtet worden sind, die intuitiven
Erkenntnisse, Glaubensüberzeugungen und daraus resultierende Forderungen ihrer behaupteten Gründer zu
bewahren, zu interpretieren, anzuwenden, zu lehren und gewöhnlich weiterzuverbreiten. Die Mitglieder
dieser Organisationen akzeptieren diese Überzeugungen, weil sie vorwiegend in ihrer Jungend indoktriniert
worden sind, weil ihre Übertretung Strafen nach sich zieht und weil der Vollzug religiöser Rituale emotionale
Befriedigung hervorruft (vergleiche dazu John Hands S. 874). Hands referiert zwar, dass
Spitzenwissenschaftler wie der ehemalige Leiter des Human Genom Projects Francis Collins und der
theoretische Physiker und anglikanische Priester John Polkinghorne Wissenschaft und Glaube anders als er
unter einen Hut bringen und über mögliche Schnittmengen von Natur-, Lebens- und Geisteswissenschaften,
debattieren. Aber das ficht ihn nicht weiter an. Schon im nächsten Absatz wendet er sich wieder der harten
Wissenschaft zu, ohne sich dafür zu interessieren, was dafür und was dagegen sprechen könnte, dass
Wissenschaft und Glauben vereinbar oder nicht vereinbar sind: „Lassen wir den Mythos nun hinter uns und
wenden uns der Wissenschaft zu, damit sie uns ein klares Verständnis vom Ursprung des Universums
vermittelt und mithin auch von der Materie und Energie, aus der wir uns entwickelt haben“ (John Hands S.
39). Immerhin fragt er im Nachsatz, ob sie das überhaupt tut (vergleiche dazu John Hands a. a. O.).

Im Ergebnis kommt er zu einem klaren Nein: „Mit ziemlicher Sicherheit wird die Wissenschaft als
empirische Disziplin niemals imstande sein, den Ursprung von Materie und Energie zu erklären, aus denen
wir bestehen“ (John Hands S. 791). Das hindert ihn aber nicht daran, dem nichtreduktionistischen Zweig der
Wissenschaft, der intuitiven Erkenntnis und der sich weiter evolvierenden Menschheit das Wort zu reden.
Unter intuitiver Erkenntnis versteht er die klare „Einsicht in das Wesen einer Sache, zu der es gewöhnlich
unmittelbar nach disziplinierter Meditation oder im Anschluss an einen erfolglosen Versuch kommt, etwas
durch deduktives Denken zu verstehen“ (John Hands S. 683). Er unterscheidet die mystische von der
wissenschaftlichen, mathematischen, psychologischen, ethischen und künstlerischen Form der intuitiven
Erkenntnis und geht davon aus, dass wissenschaftliche „intuitive Erkenntnis […] häufig nicht aus
disziplinierter Meditation, sondern daraus“ erwächst, „dass ein Wissenschaftler es nicht geschafft hat, ein
Problem durch formales Denken zu lösen, und – oft unabsichtlich – durch Entspannung, Einstellung des
formalen Denkens und Abschalten in einen höheren Bewusstseinszustand eingetreten ist. Dabei denkt er sehr
wenig, und die Antwort taucht wie aus dem Nichts auf. So kann es auch zu mathematischen und anderen
intuitiven Erkenntnissen kommen“ (John Hands S. 688).

Sein eigenes Nachdenken über die Frage, was die menschliche Natur ausmacht und wo sie herkommt, läuft
auf folgende Antwort hinaus: „Ab der Mitte des 20. Jahrhunderts bemühten sich die Physiker zunehmend um
den Nachweis, dass es am Anfang des Universums eine einzige Energie gegeben habe und alle Materie und
Energie – das heißt alle physikalischen Phänomene – deren Manifestationen auf niedrigerer Energieebene
seien. Dieser konvergente Trend in der Fundamentalwissenschaft Physik, der dem bis dahin
auseinanderstrebenden Trend in den Wissenschaften zuwiderläuft, deckt sich […] mit der alten intuitiven
Erkenntnis einer allen Dingen zugrunde liegenden fundamentalen Energie […]. Nachdem der Mensch die
Schwelle zum reflexiven Bewusstsein überschritten hatte, entwickelte er eine Doppelnatur. Dem
eingefleischten Erbe aus instinktiver aggressiver Konkurrenz und erzwungene Kooperation trat die
Reflexion entgegen, aus der friedliche Zusammenarbeit und Altruismus hervorgingen […]. Erst seit der Mitte
des 20. Jahrhunderts […] wirkt sich dieser zunehmende Trend zur Zusammenarbeit und zum Altruismus
weltweit auf menschliche Gesellschaften aus […]. Hatte sich der Mensch zunächst auf der ganzen Welt
verbreitet […], machten zumindest die Menschen in den wissenschaftlich fortschrittlichen Gesellschaften an
vorderster Front der Evolution den ganzen Globus zu ihrem Habitat. Bedeutsamer ist vielleicht, dass die
wachsende Vielfalt globaler elektronischer Netzwerke die Menschen in die Lage versetzte, immer häufiger
unmittelbar miteinander zu kommunizieren, was das Denken weiter intensiviert […]. Dadurch evolvierte die
Bioschicht, die aus der Geoschicht hervorgegangenen war, die sich ihrerseits aus der ursprünglichen Energie
entwickelt hatte, zu einer noetischen oder mentalen Schicht […]. Die Geschwindigkeit dieses kosmischen
Evolutionsprozesses hat exponentiell zugenommen. Das unbelebte Stadium erstreckte sich über 10 – 20
Milliarden Jahre, das biologische Stadium über ungefähr 3,5 Milliarden Jahre, und das Stadium des
Menschen über einige Zehntausend Jahre; die philosophische Phase der Menschwerdung dauerte etwa 3000
Jahre, die wissenschaftliche Phase etwa 450 Jahre, während Globalisierung und Konvergenz an vorderster
Front der Evolution des Menschen vor gerade erst 65 Jahren einsetzen.

Die kurze Antwort auf die Frage ›Was sind wir?‹ lautet, dass wir […] das unvollendete, zur Reflexion fähige
Produkt eines sich beschleunigenden Evolutionsprozesses sind, der sich durch Zusammenarbeit, zunehmende
Komplexität und Konvergenz auszeichnet, und dass unsere künftige Evolution in unserer Hand liegt“ (John
Hands S. 797 f.).

Dass sich der von Hands postulierte beschleunigt konvergierende Evolutionsprozess ebenso wie die von ihm
prognostizierte Evolution in der Hand der Menschen und die sich aus der Bioschicht evolvierende
psychische Energie einer datenbasierten Falsifikation entziehen, dürfte jedem Außenstehenden einleuchten.
Deshalb sollten Hands’ Schlussfolgerungen zur Evolution des Lebens entweder als Ergebnis seiner
Verquickung von Wissenschaftsgläubigkeit und Intuition oder als beim kreativen Schreiben wie auch immer
gefundene elegante ästhetische Sprachgestalten oder als aus Wissenschaftsgläubigkeit, Intuition und
kreativem Schreiben komponierte komplexe Antworten angesehen werden. In das von ihm stark gemachte
Reich einer an der Physik orientierten Wissenschaft gehören sie jedenfalls nicht.

ham, 28. Dezember 2017

Download

Kommentare sind geschlossen.

COPYRIGHT © 2023 Helmut A. Müller