Dichterporträts in Bildern und Texten
Schirmer / Mosel Verlag, München 2023, ISBN 978-3-82960-984-5, 256 Seiten, 140 Abbildungen, Hardcover, gebunden, Schutzumschlag, Format 24 x 17,2 cm, € 39,80 (D) / € 41,00 (Ö) / CHF 45,80
Bei unserem spätabendlichen schwäbischen Vesper im Anschluss an Vorträge im Hospitalhof Stuttgart sind wir weder mit dem „Denker im Dienst“, „Künstler ohne Werk“ und Kulturvermittler Bazon Brock (vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Bazon_Brock und „Männer, die Rosen schneiden“ S. 40 f.) noch mit dem Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Imre Kertész (vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Imre_Kertész und „Männer, die …“ S. 114 f.) noch mit dem Literaturwissenschaftler, Schriftsteller, Philosophen und Kritiker George Steiner (vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/George_Steiner und in „Männer, die …“ 212 f.) auf den mit ihnen bekannten Verleger, Schriftsteller, Dichter und Übersetzer Michael Krüger zu sprechen gekommen ⟨vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Krüger_(Schriftsteller)⟩. Ich hatte mich in meinen Anfängen im Hospitalhof gefragt, ob es ein tragfähiges Publikum für Literatur geben könne und deshalb Brock, Kertész und Steiner eingeladen, dann aber diese denkbare Programmsparte dem ab den mittleren 1990er Jahren angedachten und 2001 eröffneten Literaturhaus Stuttgart überlassen und mich bei meiner vorausschauenden Lektüre auf neu erschienene Sachbücher konzentriert. Deshalb bin ich erst durch den damals vorwiegend in Havanna lebenden Maler, Zeichner und Bildhauer Siegfried Kaden auf Michael Krüger aufmerksam geworden. Kaden hat mir bei einem Besuch im Jahr 2020 erzählt, dass er Michael Krüger sehr gerne persönlich kennengelernt hätte, dies aber unmöglich sei, weil dieser nach einer Leukämie-Erkrankung in einem Holzhaus nahe des Starnberger Sees in Quarantäne lebe.
Krüger wurde in seiner Quarantäne von seiner Frau Ariane mit dem Allernötigsten versorgt und konnte ab und an auch das Ehepaar Jürgen und Ute Habermas empfangen, das in der Nachbarschaft lebte. „Beide haben ein phänomenales Gedächtnis, selbst scheinbare Nebensächlichkeiten haben sie behalten, und außerdem sind sie ein wunderbar eingespieltes Paar. Nach jedem Besuch habe ich ihn beschworen, die von ihm erlebte Geschichte aufzuschreiben oder bei seinen Besuchen ein Band mitlaufen zu lassen, weil sonst keiner sie so lebendig, scharfsinnig und witzig erzählen kann wie er, aber er hat wahrscheinlich genug zu tun, sich jetzt langsam um sein Alterswerk zu kümmern“ (Michael Krüger S. 82). Krüger hat seine Leukämie überstanden und konnte am 9. Dezember 2023 seinen 80. Geburtstag feiern. Kaden war Anfang 2021 durch einen in Havanna diagnostizierten Mund- und Rachenkrebs gezwungen, nach München zurückzukehren. Auch er hat seinen Krebs nach diversen Operationen überstanden. Aber dann ist er in seiner neuen Wohnung in München gestürzt und am 20. November 2021 im Alter von 77 Jahren verstorben. Er wurde am 30. November auf dem Westfriedhof in München beigesetzt (vergleiche dazu Andreas Kühne, Nachtstücke und Spiegelbilder – Nachruf auf Siegfried Kaden. In: https://www.badsk.de/aktuelles/nachruf/nachtstücke-und-spiegelbilder-–-nachruf-auf-siegfried-kaden).
Der rechtzeitig zu Krügers 80. Geburtstag erschienene visuelle Literaturgeschichte „Männer, die Rosen schneiden“ bringt 140 Fotografien der renommierten Münchner Fotografin Isolde Ohlbaum von Begegnungen Krügers mit Literaten, Dichtern und Philosophen aus den Jahren 1975 bis 2019 mit von Krüger geschriebenen literarischen Miniaturen der Porträtierten zusammen. Dass der Autor der Miniaturen so häufig in den Fotografien des Konvoluts vertreten ist, hat einen Grund: Als Krüger Ende der sechziger Jahre nach München kam, um im Hanser Verlag als Lektor zu arbeiten, war dort auch Isolde Ohlbaum angestellt. „Ich habe vergessen, was genau sie dort gemacht hat, aber ich weiß, was sie eigentlich machen wollte: sie wollte Fotografin werden. Und während ich mein ganzes Berufsleben bei Hanser verblieben bin, hat sie sich mit ihren Kameras aufgemacht, um die Autoren und Autorinnen in der nahen und fernen Umgebung zu fotografieren: die rauchenden und die nichtrauchenden, die heiteren und die verzweifelten, die dicken und die dünnen – und viele von ihnen hat sie über die Jahre hinweg bis zu ihrem Ende begleitet“ (Michael Krüger S. 8). Der titelgebende und auf dem Umschlag abgebildete „Mann, der Rosen schneidet“ ist der Dichter Gregor von Rezzori, der die Rosen seiner toskanischen Villa Santa Maddalena schneidet. Michael Krüger hält ihm die Leiter und widmet ihm folgende Zeilen:
„GREGOR VON REZZORI. Anders als viele andere Zeitgenossen, die bei der Nennung seines Namens das Gesicht verziehen, kann ich von Gregor von Rezzori nur Gutes sagen: ich habe diesen großartigen, vielsprachigen Schriftsteller stets als generösen, witzigen, hilfsbereiten, gastfreundlichen Menschen erlebt – ob in seinem Haus in Donini in der Toskana, in Lindos in Griechenland oder in New York, wo er mit seiner Frau Beatrice ein offenes Apartment führte. Er sorgte stets dafür, dass Gläser und Teller nie leer waren. Von ihm stammt der bemerkenswerte Satz: Ein guter Titel erweist sich daran, ob man »unter der Bettdecke« anfügen kann: Die Blechtrommel unter der Bettdecke; Billard und halb zehn unter der Bettdecke; Auf die Suche nach der verlorenen Zeit … usw.
In Czernowitz, im Paul Celan Literaturzentrum, hing sein Foto neben Celan, Aaron Appelfeld und Rose Ausländer. Als ich ihn grüßte, zwinkerte er mit dem rechten Auge zurück“ (Michael Krüger a. a. O. S. 182).
Viele der 140 Porträtierten sind Freunde von Michael Krüger geworden. Deshalb ist der Band nicht nur eine Literaturgeschichte in Wort und Bild, sondern auch eine Dankadresse an lebenslange Freunde.
ham, 31. Dezember 2023