Publikation zum 60. Geburtstag des Künstlers.

Mit einem Vorwort von Jean-Baptiste Joly und Texten von Nils Büttner, Nicolai B. Forstbauer, Clemens Ottnad und Dorit Schäfer

Radius-Verlag, Stuttgart 2021, ISBN 978-3-87173-601-8, 176 Seiten, 121 Abbildungen der kleinen Formate, 1 Fotografie, Hardcover gebunden, Format 27,2 x 22,2 cm, € 24,00

Der 1961 in Stuttgart geborene Gert Wiedmaier hätte nach seinem Studium in der Bildhauerei-Klasse von Jürgen Brodwolf an der Staatlichen Akademie der Künste in Stuttgart gut auch Bildhauer werden können. Er hat sich dann aber doch für ein multimediales Arbeiten mit Fotografie, Malerei und Druckgrafik entschieden und ist vor allem durch seine Enkaustik-Arbeiten bekannt geworden (vergleiche dazu etwa http://www.galerie-merkle.de/kuenstler/gert-wiedmaier). Damit greift er wie Jasper Johns bei seiner heute im MoMa zu sehenden Arbeit „Flag“ von 1954 (vergleiche dazu https://www.moma.org/collection/works/78805) und Martin Assig in vielen seiner Arbeiten (vergleiche dazu etwa seine Werkgruppe St. Paul und dort die Arbeit St. Paul #794 (Liebe, Liebe) : https://www.galerievolkerdiehl.com/artwork/ma_liebe_liebe) auf die seit der griechisch-römischen Antike und den Mumienporträts (vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Mumienporträt) bekannte Technik der Bindung von Farbpigmenten in flüssigem Wachs zurück und kann so seine scharf geschossenen Fotografien verfremden und weit über den im Fotopapier eingeschriebenen natürlichen Verfallsprozess haltbar machen. 

Aber darum geht es ihm nicht in der Hauptsache; in erster Linie geht es ihm um einen Gegenentwurf  zu den„schnellen“ Bildern von heute und eine Art Bildverweigerung: Je unschärfer die Bilder erscheinen, desto genauer muss der Betrachter auf sie zugehen und umso mehr Geduld braucht er beim Dechiffrieren (vergleiche dazu und zum Folgendem den unter http://www.suedwestgalerie.de/kunstlexikon/kuenstler/wiedmaier-gert#kuenstler zu findenden Film Gert Wiedmaier). In der von ihm angestrebten Verbindung von Fotografie und Malerei möchte er der Fotografie durch das Auftragen von 50 bis 100 dünnsten Schichten von halbtransparenten Wachs etwas Geheimnisvolles hinzufügen, eine neue zwischen Verschwinden und Erscheinen angelegte Ebene. Wenn diese Ebene erreicht ist, ist die Arbeit fertig.

Dorit Schäfer spricht deshalb in ihrem Essay zu Wiedmaiers Landschaften zurecht von einer „Ästhetik des Unbestimmten“: „Ein wesentlicher Faktor für die Erzeugung dieser Uneindeutigkeit ist die komplexe Verschmelzung von unterschiedlichen Kunstgattungen, mit der Wiedmaier hybride Arbeiten zwischen Fotografie, Malerei und Skulptur erschafft. Im Wesentlichen geschieht dies durch Schichten und bisweilen auch durch das darauf folgende Wiederabtragen von Material“ (Dorit Schäfer S. 131). Schichten und Wiederabtragen von Material sind aber bekanntermaßen klassische bildhauerische Tätigkeiten. Damit ist Wiedmaier nicht nur Fotograf, Maler und Grafiker, sondern auch Bildhauer und seine in vielen Schritten entstehenden Arbeiten sind auch skulpturale Objekte.

ham, 3. April 2023

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