Westend Verlag, Frankfurt/Main, 2023, 224 Seiten, Taschenbuchausgabe, mit Illustrationen von Christina Kuschkowitz, kartoniert, Format 18,7 x 11,9 cm, € 14,00

Seine Oma hat dem späteren Starkoch und späten Bauer Franz Keller nicht nur Grundkenntnis im Kochen, sondern auch im Lesen beigebracht. Er ist in einer Wirtshausküche in Oberbergen am Kaiserstuhl groß geworden und musste dort schon als kleiner Junge wie alle anderen auch mithelfen. Die „Küche im Schwarzen Adler in Oberbergen war das Zentrum unserer Familie. Hier spielte sich das familiäre Leben ab. Hier wurde viel gearbeitet, geschnippelt und gerührt, hier wurden die wichtigen und die unwichtigen Sachen besprochen, es wurde gestritten und gelacht. Und immer lag der Duft von gutem Essen in der Luft. Für mich war das Heimat“ (Franz Keller S. 20). 

„Als kleiner Pimpf hat mich meine Oma immer mit auf den Friedhof zum Grab meines Opas genommen, der schon viele Jahre zuvor gestorben war. Da standen wir dann vor seinem Grabstein, der mir wie ein riesiger, schwarzer und auf Hochglanz polierter Monolith vorkam. Oma nutzte den Friedhofsbesuch, um mit mir das Lesen zu üben. Den ersten Satz, den sie mir beibrachte, war die Inschrift auf Opas Grabstein: ›Im Leben sollst du nicht rasten noch ruhn, das kannst du später im Grabe tun.‹ Wahrscheinlich habe ich deshalb heute ein schlechtes Gewissen, wenn ich mal drei Tage nichts mache. Bequemlichkeit ist in meinen Augen auch ein so zentrales Problem unserer Tage. Wir sind, wenn wir so weitermachen, auf dem Weg in eine Covenience-Gesellschaft – alles möglichst mundfertig nach Hause liefern lassen“ (Franz Keller, S. 199 f.). Aber vorgefertigte Pizzen und Fast Food machen, wie man nach dem Corona-Lockdown sehen konnte, nur dick. Deshalb will Keller ›Ab in die Küche!‹ als Weckruf verstanden wissen: Wir sollten den Kochlöffel im eigenen Interesse wieder öfter selber in die Hand nehmen, dabei unseren Horizont erweitern, unser Verständnis für die Natur schulen und unser Leben und unseren Alltag mit Selbstgekochtem bereichern.

Seine Mutter Irma wurde im Schwarzen Adler seit 1969 mit einem Michelinstern ausgezeichnet. Franz Keller kehrte 1973 nach seiner Rundreise durch die besten Küchen Europas und eigenen Kocherfahrungen unter anderem bei Jean Ducloux, Paul Lacombe, Paul Bocuse und Michele Guérard in den elterlichen Gasthof zurück und erkochte dort den zweiten Stern. Nach weiteren Auszeichnungen unter anderem in Franz Kellers Restaurant in Köln, auf der Bühlerhöhe und im Kronenschlössle in Hattenheim im Rheingau ließ er die Welt der Michelin-Sterne hinter sich und widmete sich in der Adler Wirtschaft in Hattenheim unter dem Motto ›Vom Einfachen das Beste‹ der regionalen deutschen Küche (vergleiche dazu https://www.franzkeller.de). 2013 übernahm sein gleichnamiger Sohn die Gastronomie. Der 1950 geborene Vater betreibt seitdem eine Öko-Landwirtschaft auf dem 14 Hektar großen Falkenhof, beliefert die ›Adler Wirtschaft‹ unter anderem mit Fleisch aus seiner Rinderzucht und schlägt sich mit den immer trockener werdenden Weiden und den Untiefen der Landwirtschaftspolitik herum (vergleiche dazu https://www.falkenhof-franzkeller.de). Seine Gäste lädt er wie in Omas Zeiten in die Küche ein. „Hier genießen sie nicht nur gemeinsam am langen Tisch, sie erleben auch, wie diese Gaumenfreuden zubereitet werden“ (Franz Keller S. 20).

In seinem zwischen Unterhaltung, Sach- und Kochbuch angelegten Weckruf ›Ab in die Küche!‹ kritisiert Keller die Agrarlobby ebenso heftig wie die verkorkste Landwirtschaftspolitik und die Fast Food-Industrie: So erinnert er an den aus Eberstadt bei Heilbronn stammenden Landwirt und Agrarfunktionär Joachim Rukwied, der seit 2012 Präsidenten der Deutschen Bauernverbandes, seit 2017 zugleich Präsident der europäischen Bauernverbände ist und nach Keller noch mindestens 18 weitere einflussreiche Positionen in Aufsichtsräten der Agrarindustrie innehat (vergleiche dazu auch https://de.wikipedia.org/wiki/Joachim_Rukwied). „Wie der Kerl bei derartiger Ämterhäufung nicht nur die Interessen der globalen Agrar- und Ernährungswirtschaft, sondern auch noch die Anliegen der Landwirte unter einen Hut bringen will, fragt sich nicht nur NABU-Präsident Olaf Tschimpke …: ›Seit Jahren werden Entscheidungen gegen das Gemeinwohl getroffen, bei der Düngeverordnung genauso wie bei der Verteilung der millionenschweren Agrarsubventionen.‹ 

Mit 55 Milliarden Euro sind diese Agrarsubventionen bis heute der größte Posten im EU-Haushalt und sie werden nicht als Steuerungsinstrument für eine gesunde Landwirtschaft genutzt, sondern schlicht nach Fläche verteilt. Die Großen kriegen viel, die Kleinen wenig. Subventioniert werden die Industrie und der Grundbesitz und nicht die Arbeit des Landwirts oder sein Nutzen für Natur und Gesellschaft … [Es] kann … sicher niemanden verwundern, warum sich weder ein Kleinstbauer wie ich noch ein Familienunternehmen … noch vom Bauernverband vertreten fühlen. Denn der kümmert sich lieber um die großen Player im globalen Agrarmarkt: die Agrarchemiekonzerne, die ihre Kohle mit Pestiziden und Medikamenten verdienen, den Agrarhandel, der die Futtermittel und den Dünger verkauft, die Agrarfinanzwirtschaft, die die Kredite für die immer größeren Ställe und Maschinen bereitstellt, oder die Fleischindustrie, die überwiegend mit Billiglohnkräften ihren Profit beim Schlachten und Zerlegen einfährt. Ganz hinten in dieser gut geschmierten Profitmaschine der Landwirt, dem von seinem Schwein im Glücksfall 20 Euro Gewinn bleiben. Um das mal klar zu sagen: Wir subventionieren mit unserer Art der industrialisierten Landwirtschaft ein System, das die Umwelt zerstört, das Klima schädigt, das Tierwohl missachtet und die Menschen krank macht“ (Franz Keller S. 52 f.).

Der gewesene Spitzenkoch und heutige Bauer fragt sich, was seine Oma Mathilde sagen würde, wenn sie heute  noch einmal für einen Tag auf dem Falkenhof vorbeischauen würde. „Ich hoffe, sie wäre ganz zufrieden mit mir, denn heute , da ich älter bin als Oma Mathilde in meinen Kindertagen, erzähle ich ja im Prinzip das gleiche wie sie und predige den Respekt vor dem Essen und der Natur, die wir oft als unsere Umwelt bezeichnen … Wenn man wie ich auf einem Bauernhof lebt, versteht man besser, dass diese Umwelt eher unsere Mitwelt ist, von der wir nur ein wirklich kleiner Teil sind, aber von dem wir ganz existentiell abhängig sind. Vom Müsli, Brötchen oder Frühstücksei am Morgen über das Mittagessen mit Salat, Gemüse und einem Stück Fleisch bis zum Glas Wein am Abend – alles liefert uns die Natur, genauso wie die Luft zum Atmen oder das Wasser, das wir trinken … Meine Philosophie ›Vom Einfachen das Beste‹ wäre sicher ganz im Sinne meiner Oma gewesen“ (Franz Keller S. 186).

Zum Einfachen und Besten gehört für Franz Keller auch der Kartoffelsalat. Für seinen Kartoffelsalat für vier Personen benötigt er 1 1/2 kg Kartoffeln mit Schale, 1 Zwiebel, 2 EL Traubenkernöl oder alternativ Rapsöl, 2 EL Weißweinessig oder Zitronensaft, Salz, Pfeffer, Muskatnuss, 200ml Wein oder Brühe, 1 Bund Petersilie. „Für unseren Kartoffelsalat nehmen wir vier, fünf Peller, die nach Möglichkeit die gleiche Größe haben sollten, damit sie zum gleichen Zeitpunkt gar sind. Die kochen wir mit etwas Salz schön langsam ab und die dürfen auch platzen, denn das ist eher ein Zeichen von Qualität. Dann lassen wir die Pellkartoffeln erst mal abkühlen, schälen sie und lassen sie am besten noch mal einen Tag stehen, damit sie wieder fest werden … Wenn wir die Kartoffeln weiter verarbeiten, halbieren wir sie zunächst der Länge nach, teilen sie dann noch einmal quer und schneiden sie in dünne, etwa einen halben Zentimeter breite Scheiben … Danach schälen und schnippeln wir Zwiebeln (und/ oder Schalotten), vielleicht die schönen roten Zwiebeln – bitte keine Metzgerzwiebln verwenden, die wurden nur für faule Säcke erfunden, damit man nicht so viel schälen muss – schmelzen sie in Raps- oder Traubenkernöl an. Bitte nicht braun werden lassen. Jetzt kommt ein -schluck Weißweinessig dazu und neben Salz und etwas Pfeffer auch frisch geriebene Muskatnuss. Man kann auch mit Zitronensaft arbeiten oder auch den Essig ganz weglassen und nur Zitronensaft verwenden – das ist reine Geschmacksache. Für mich aber gehört typischerweise der Essig dazu. Das alles mit Wein, Fleisch- oder Gemüsebrühe ablöschen und heiß über die Kartoffeln geben. Kartoffelsalat braucht reichlich Flüssigkeit, also im Verhältnis etwa drei Fünftel Kartoffeln und zwei Fünftel Flüssigkeit. Der Kartoffelsalat soll beim Verrühren richtig schmatzen. Danach sollte er zwei Stunden ziehen.

Vor dem Servieren noch mal abschmecken und mit etwas frischer Petersilie oder gehackten Gürkchen verfeinern. Der Kartoffelsalat sollte immer sämig-cremig sein. Wenn es daran noch fehlt, nehmen wir den Pürierstab, pürieren an einer Ecke ein paar Kartoffeln zu Brei und rühren noch mal um“ (Franz Keller S. 134 f.).

Und wer zu den in Baden und Württemberg beliebten Maultaschen mit Kartoffelsalat auch noch ein passendes Glas Wein trinken will, wird im Weingut von Franz Kellers jüngerem Bruder Fritz in Oberbergen im Kaiserstuhl ganz sicher fündig (vergleiche dazu https://www.franz-keller.de/weingut/franz-keller).

ham, 8. März 2023

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