Eröffnung: Samstag, 04. März 2017, 18 – 20 Uhr
Einführung: Helmut A. Müller
Öffnungszeiten: Dienstag, Donnerstag, Samstag, 15 – 18 Uhr
Ausstellungsdauer: 04. März – 15. April 2017
Anmeldung: Zur Eröffnung und zum Besuch der Ausstellung wird um telefonische oder um
Anmeldung per E-Mail ham@helmut-a-mueller.de gebeten
Parkplätze: sind in der Talstraße rar, aber ganz in der Nähe in der Hauptstraße, beim Rathaus
und bei der Evangelischen Bartholomäuskirche zu finden
Christiane Richter macht Bilder
Bekannt geworden ist Christiane Richter mit abstrakten Fotografien, in denen der Gegenstand aus
dem Bild verschwunden ist. Diese Bilder haben Kunstgeschichte geschrieben1. Ihre abstrakten
Fotografien strapazieren die These, dass die Entstehung der abstrakten Malerei mit der Erfindung
der Fotografie in Verbindung zu bringen ist und die Fotografie den realistischen Part übernimmt.
Christiane Richter hat demgegenüber „in ihrer Fotografie die Fiktivität des Objektiven in der
Fotografie nachgewiesen 2. Michael Köhler rechnet Richters abstrakte Fotografien der Tradition der
konkreten Kunst zu und ordnet sie im Sinne von Josef Albers in die „Interaction of Colour“3 ein.
Richters abstrakte Fotoarbeiten sind im Sinne von László Moholy-Nagy „das Resultat reiner
Lichtgestaltung… Damit wurde sie zu einer Pionierin ungegenständlicher Fotokunst der Farbe“4.
Nun macht nachdenklich und irritiert, dass Richter, nach Vorbildern in der Malerei für ihre
abstrakten Fotoarbeiten gefragt, u.a. Barnett Newman und Mark Rothko nennt5 und weder Newman
noch Rothko in die Tradition der konkreten Kunst gehören. Für Newman geht es in Bildern wie
„Wer hat Angst vor Rot – Gelb – Blau?“ um das Erleben, auf sich selbst zurückgeworfen zu sein
und das Erhabene zu erfahren. „Statt ⟨Kathedralen⟩ aus Christus, aus dem Menschen oder dem
⟨Leben⟩ zu bauen, erschaffen wir sie aus uns selbst, aus unseren eigenen Gefühlen. Das Bild, das
wir hervorbringen, ist das in sich selbst gültige der Offenbarung, wirklich und konkret…“6. Kunst
steht also bei Newman deutlich in der Nähe von Religion. Vergleichbares gilt für die Arbeiten von
Mark Rothko und seine Farbsetzungen, die an ihren Rändern nicht mehr deutlich voneinander
abgrenzbar sind, sondern ineinander übergehen. Alle „Stofflichkeit scheint aufgelöst. Lässt man
sich auf Rothkos Bilder ein, gelangt man… in einen Zustand der Selbstvergessenheit. Alles
verschwimmt und verliert seine Identität… Man könnte von einem Nahe-dem-Nichts sprechen…“7,
einer Erfahrung, die mit religiösen Erfahrungen vergleichbar ist. „Ich bin überhaupt nicht
interessiert an Beziehungen von Form, Farbe oder irgend so etwas…“ schreibt Rothko. „Was mich
interessiert, ist nur, wie ich menschliche Gefühle ausdrücken kann – Tragik, Ekstase, Verhängnis…
Die Leute, die vor meinen Bildern weinen, machen die gleiche religiöse Erfahrung wie ich, als ich
die Bilder malte.“ 8
Weiter überrascht, dass Richter auf ihre abstrakten Werkgruppen wie die Pflanzen-, die Kirchen-,
die Insekten und die Kugelbilder folgen lässt, in denen die Objekte wieder in die Bilder einwandern.
Der Arbeitsansatz von Christiane Richter ist also schlecht einlinig der gegenstandslosen oder
gegenständlichen, der subjektiven oder objektiven, der welthaltigen oder weltlosen Kunst
zuzuordnen. Fragt man sie selber, stehen ihre gegenständlichen Bilder für sie nicht im Gegensatz
zu den abstrakten. Natürlich sei auch so etwas wie konkrete Kunst und auch Barnett Newman mit in
ihren Bildern drin. Das schließe sich für sie nicht aus. Aber es gehe ihr um etwas anderes.9 Sie
befrage ständig ihre eigene Haltung, ihre Sichtweise und ihren Blickwinkel. Sie interessiere sich für
Vorstellung und Wahrnehmung, für das, was Wahrnehmung beeinflusst, wie andere Leute
wahrnehmen und wie man über die eigenen Vorstellungen hinauskommen und insofern besser leben
kann. Gefragt, ob Bilder zum besseren Leben helfen, antwortet sie: „ Ja schon, doch.“ Es habe
etwas mit Bewusstsein zu tun und dem relativen Freiheitsmoment des Betrachters.10 Der Fotoapparat
und ihre fotografische Bearbeitung der Bilder seien Mittel, diese Freiheit zu befördern.11
Das Pathos, mit dem Christiane Richter für die Freiheit des Betrachters im Umgang mit den Bildern
eintritt, erinnert an das Pathos, mit dem Vilém Flusser die Freiheit vom fotografischen Bildzwang
propagiert hat, die „Freiheit gegen den Apparat zu spielen.“12 Eine Nähe besteht auch zu den von
Vilém Flusser beschriebenen Aspekten der komplexen Geste des Fotografierens.13 Ein erster „Aspekt
ist die Suche nach einem Standort, nach einer Position, von der aus die Situation zu betrachten ist.
Einen zweiten Aspekt bildet die Manipulation der Situation, um sie dem gewählten Standort
anzupassen. Der dritte Aspekt betrifft die kritische Distanz, die den Erfolg oder das Scheitern dieser
Anpassung zu sehen gestattet.“14 Den vierten Aspekt, die Betätigung des Auslösers, sieht Flusser
„außerhalb der wirklichen Geste, denn er ergibt sich mechanisch. Weiterhin gibt es noch die
komplexen elektromagnetischen, chemischen und mechanischen Techniken im Inneren des
Apparates und das gesamte Verfahren des Entwickelns, des Vergrößerns, des Retuschierens, die
allesamt in einem Bild kulminieren“.15 Deutlicher als bei Flusser gehört dieser vierte Aspekt für
Christiane Richter konstitutiv zum Bildermachen. Die Freiheit, auf die ihr Machen abzielt, ergibt
sich aus dem Gesamt der beschriebenen Aspekte. Insofern legt es sich nahe, Details am Beispiel
ihrer Kirchenbilder nachzugehen.
Christiane Richter hat nach ihrer eigenen Schilderung Kirchen in ihrer Kindheit und Jugend als
Kulturträger und als Orte der Kunst kennen gelernt. In ihren Kirchenbildern fungieren die
Kirchengebäude als symbolische Repräsentanten von Religion. Sie stehen für das Gefühl der
schlechthinnigen Abhängigkeit (Friedrich Schleichermacher), für das Tremendum und Faszinosium,
das, wofür wir zittern und das, was uns fasziniert (Rudolf Otto), für das, was uns unbedingt angeht
(Paul Tillich). Und für den aufrechten Gang der ersten Freigelassenen der Schöpfung (Paulus;
Johann Gottfried Herder) und für das Reflektieren auf Augenhöhe. In ihren Kirchenbildern nähert
sich Christiane Richter der Religion wie von Ferne und wie von außen an. Ihre Geste des
Fotografierens mitsamt der Be- und Verarbeitung zum Bild legt Möglichkeiten eigenen Verhaltens
zu Religion in der späten Moderne offen. Richter sucht einen Standpunkt außerhalb der von ihr
untersuchten paradigmatisch verstandenen gotischen Kirchen. Sie fotografiert keine Kirche als
Ganze und auch nicht das Westwerk. Sie wählt die ihr signifikant erscheinende Ausschnitte und
Details wie Fenster, Türen oder Wimperg aus. Ihr Spiel mit Farbe und Licht in ihren abstrakten
Fotoarbeiten hätte bei einem Standort innerhalb des gotischen Kirchenraums eine frühe Variante
finden können, sollte sich doch das Licht nach dem Willen von Abt Suger von Saint-Denis dem
Innenraum der Kirche als gestaltendes Element mitteilen. Die ganze Kirche sollte von „dem
wunderbaren und ununterbrochenen Licht der strahlenden Glasfenster“ erstrahlen, „wenn dieses die
Schönheit des Innenraums durchwanderte.“16 Farbe hat in gotischen Kirchen „einen hohen
Schönheitsrang, der ihr durch die substantielle Gebundenheit an das Licht zukommt.17 Die
Glaswände der gotischen Kathedralen verbinden neue Bauerfahrungen und neuplatonischscholastische
Lichtmetaphysik. In der Scholastik steht Licht als erste und allgemeine Form auch für
die Form des vollkommenen Körpers und gibt „der Materie und damit auch der Architektur der
Kirche erst aus seiner Kraft Schönheit und Weihe“.18
Zu den Aspekten zwei und drei der fotografischen Geste, Manipulation der Situation und kritische
Distanz oder Reflexion lässt sich von den fertigen Bildern her wenig sagen. Umso interessanter
erscheint, dass die Farbfotografien durch die Bearbeitung mit fotografischen Mitteln wie
Nachtbilder und in verfremdendem künstlichem Licht erscheinen. Im Ergebnis verbleiben die
Kirchen als Symbole für Religion in Richters Bildern in der Schwebe zwischen abgründiger
Fremdheit und interessierter Begegnung auf Augenhöhe. In ihrer Stimmung erinnern sie an
Erfahrung von Raum und Licht in gotischen Kirchen in den Übergangszeiten zwischen Tag und
Nacht. In ihrer Qualität setzen sie höchste Maßstäbe und sind das Resultat des bestmöglichen
Zusammenspiels aller Faktoren, die zu ihrer Entstehung beigetragen haben.
Wenn man Hans Beltings Vorschlag folgt, dem Menschen nicht mehr als den Herrn seiner Bilder,
sondern den Ort der Bilder zu sehen, die seinen Körper besetzen19, kann man Christiane Richters
Kirchenbilder als die in das Medium der Fotografie eingewanderte Frage nach der Religion sehen,
als die Frage, was Mensch, Gott und Welt ausmachen.20 Richters Bilder fragen als intermediale
Bilder und mit fotografischen Mitteln: „Wie hälst du´s mit der Religion?“ Die architektonischen
Antworten der Tradition verbleiben mitsamt ihren metaphysischen Hintergründen im Dunkel. Was
ansteht, sind die Antworten der Gegenwart.
Helmut A. Müller
1 Vgl. dazu und zum Folgenden das unveröffentlichte Gutachten von Achim Kubinski für die
Bewerbung von Christiane Richter zum Karl Schmitt-Rottluff-Stipendium vom 12.12.1991
2 Achim Kubinski, ebd.
3 Michael Köhler, Das ungegenständliche Lichtbild heute. Zeitgenössische Positionen. In: Die
Kunst der abstrakten Fotografie, Hgg von Gottfried Jäger, Stuttgart, 2002, S. 227
4 ebd.
5 ebd.
6 Barnett Newman in „The Sublime is Now“, 1948, zitiert nach Horst Schwebel, Die Kunst und das
Christentum, München 2002, S. 202
7 Horst Schwebel, Die Kunst und das Christentum, a.a.O., S. 204
8 Mark Rothko, zitiert nach Horst Schwebel, a.a.O., S. 204 f
9 Gespräch des Autors mit der Künstlerin am 25.08.2002
10 Christiane Richter, ebd.
11 Christiane Richter, ebd.
12 Vilém Flusser, Für eine Philosophie der Fotografie, Göttingen, 1992 zitiert nach Hans Belting,
Bild-Anthropologie, München 2002, S. 215
13 Vgl. dazu Vilém Flusser, Gesten. Versuch einer Phänomenologie, Frankfurt a.M., 1994, S. 107 f
14 Vilém Flusser, ebd.1
15 Vilém Flusser, ebd.
16 Suger von Saint-Denis, De consecratione, Satz 49, zitiert nach Günther Binding, Was ist Gotik?,
Darmstadt 2000, S. 51
17 Günther Binding ebd. Die Auffassung geht auf Plotin zurück.
18 Günther Binding ebd. S. 52
19 Hans Belting, Bild Anthropologie, a.a.O., S. 12
20 vg. Hans Belting, ebd., S. 220 f
✴ 2017 leicht überarbeitete Fassung des Essays von 2002 über die Arbeit von Christiane Richter