Franckh-Kosmos-Verlags-GmbH &Co. KG, Stuttgart, 2023, ISBN 978-3-440-17692-4, 240 Seiten, zahlreiche Bildtafeln, Hardcover gebunden, Format 33,6 x 26,5 cm, € 55,00

Der 1968 geborene Astrophysiker und Wissenschaftsjournalist Dirk H. Lorenzen kann in seinem staunenswerten Bildband mit den derzeit schönsten Aufnahmen aus den Tiefen des Universums zwar nicht auf den 1571 in Weil der Stadt geborenen Astronomen Johannes Kepler (vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_Kepler), aber ohne jedes Problem auf den theologischen Denker Kepler und auch ganz auf den Philosophen Immanuel Kant verzichten. Nach Lorenzen hatte Kepler die letzte von der Erde aus zu sehende Supernova beobachtet, die im Jahr 1604 am Himmel zu sehen war (vergleiche dazu Dirk H. Lorenzen S. 124). Ob Kepler dabei schon das von ihm 1611 beschriebene und später nach ihm benannte Fernrohr benützt hat, muss offenbleiben (vergleiche dazu https://www.leifiphysik.de/optik/optische-linsen/ausblick/kepler-oder-astronomisches-fernrohr). Seitdem warten die Astronominnen und Astronomen auf die nächste helle galaktische Supernova. „Sie ist lange überfällig. Sicher ist, dass der Lichtblitz der nächsten Explosion bereits unterwegs ist. Die Frage ist nur, wann er die Erde erreicht – vielleicht gerade jetzt, vielleicht aber auch erst in Jahrhunderten“ (Dirk H. Lorenz a. a. O.). 

Kant hat zwar die letzte Supernova nicht mehr gesehen, aber unter dem Nachthimmel wohl ähnlich wie Kepler empfunden: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir. Ich sehe sie beide vor mir und verknüpfe sie unmittelbar mit dem Bewusstsein meiner Existenz“ (Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, 1788, Kapitel 34. Beschluss). Astrophysiker wie Lorenzen setzen in der Spur des Astronomen Kepler auf die überwältigenden Bilder, die uns heute große Teleskope wie das Hubble-Weltraumteleskop (vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Hubble-Weltraumteleskop), das James-Webb-Weltraumteleskop (vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/James-Webb-Weltraumteleskop), das Röntgenteleskop eRosita (vergleiche dazu https://www.mpe.mpg.de/450415/eROSITA) oder das europäische Weltraumteleskop Euclid (vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Euclid_(Weltraumteleskop)) liefern. „Etwa im Jahr 1680 ist im Sternbild Kasiopeia ein rund 11 000 Lichtjahre entfernter Stern als Supernova explodiert. Auf der Erde war davon offenbar nichts zu sehen, weil dichte Gas- und Staubwolken in der Milchstraße den Blick versperrten. Mit großen Teleskopen ist die Explosion zu erkennen, die sich bis heute weiter ausdehnt. Das James-Webb-Weltraumteleskop hat die knapp zehn Lichtjahre große Wolke im Infrarotbereich beobachtet (vergleiche dazu https://www.ardalpha.de/wissen/weltall/raumfahrt/james-webb-teleskop-bilder-fotos-weltraum-nasa-esa-100.html).

Kepler glaubte, den Bauplan der Schöpfung Gottes gefunden zu haben, als er die Sonne statt der Erde ins Zentrum des Kosmos gesetzt hatte und den Abstand der Bahnen der Planeten Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter und Saturn berechnen konnte (vergleiche dazu und zum Folgenden Jürgen Hübner, Die Gedanken Gottes denken? Zum naturphilosophischen Ansatz Johannes Keplers. In: https://www.theologie-naturwissenschaften.de/startseite/leitartikelarchiv/gottes-gedanken-denken). „Dieser Erkenntnis weiter nachzugehen und so den Kosmos immer besser zu verstehen, verstand er als göttlichen Auftrag, ja als Berufung: als Berufung zum Priesterdienst am Buch der Natur. Daß neben dem Buch der Bibel auch die Natur als Offenbarungsquelle dienen kann, war seit frühchristlicher Zeit gängige Meinung. Keplers weitere astronomische Arbeit – nach Graz in Prag und Linz und zuletzt in Sagan – war von diesem schöpfungstheologischen Ansatz her bestimmt. Der Entdeckungszusammenhang war die Geometrie, das Ziel war, die Harmonie der Schöpfung aufzudecken. Die ›Weltharmonik‹ von 1619 wurde sein weltanschauliches Hauptwerk […]. Am Schluß des Epilogs seiner ›Weltharmonik‹ steht […] ein Gebet. Es ist ein großer Lobpreis des Schöpfers. Kepler schreibt, Psalm 147,5 aufnehmend: ›Groß ist unser Herr und groß seine Kraft, und seiner Weisheit ist keine Zahl‹, und fährt fort: ›Lobt ihn, ihr Himmel, lobt ihn, Sonne und Mond und Planeten, welchen Sinn ihr auch gebraucht zu erkennen, welche Zunge zu verkündigen euren Schöpfer. Lobt ihn, ihr himmlischen Harmonien. … Lobe auch du, meine Seele, den Herrn, deinen Schöpfer …‹“.

Das Weltbild Keplers ist im Grunde noch das des Mittelalters: Die Welt ist ein Kosmos, hierarchisch geordnet und kugelförmig geschlossen. Kopernikus hat lediglich die Stellung von Erde und Sonne vertauscht. Doch die Forschung geht weiter; Kepler hat an ihr teil: Die elliptischen Bahnen der Planeten sind seine Entdeckung auch. Für ihn lassen sie sich noch in sein Weltmodell, das ›Mysterium cosmographicum‹ einfügen. Dieses Bild einer Weltordnung ist vergangen. An die Stelle des Bildes vom begrenzten Kosmos ist das des ins Unendliche (oder auch anders) evolvierenden Universums getreten. Aus Einheit ist Vielfalt geworden. Entscheidend bleibt jedoch Keplers Anliegen: Gottes Schöpfung zu erkennen, so weit es Menschen zu jeweils ihrer Zeit möglich ist, und ihr zu entnehmen, was das Zusammenleben auch und gerade auf der Erde schöpfungsgemäß und so im tiefsten Sinne ›gut‹ werden lässt, im Sinne der Schöpfungsgeschichte am Anfang der Bibel: ›… und Gott sah, dass es gut war‹“ (Jürgen Hübner, a. a. O.).

Lorenzen greift zwar in seiner Darstellung des „Schöpfungsmoments“ auf die Formulierung des jüngeren biblischen Schöpfungsberichts „und es ward Licht“ (1. Mose 1, 3) zurück. Aber dann geht er umstandslos und ohne jede Erläuterung zur heutigen Vorstellung der Weltentstehung weiter. „Nach heutiger Vorstellung ist das Universum aus einem sehr heißen und dichten Zustand hervorgegangen. Seit dem Urknall dehnt sich der Kosmos aus. Anfangs war das All ein heißer, undurchdringlicher Brei aus Strahlung und Materie. Erst nach 380 000 Jahren wurde der Kosmos durchsichtig. Es folgte das ›dunkle Zeitalter‹ sich ausdehnender und abkühlender Wolken aus Wasserstoff und Helium. Schließlich begann die Materie sich zu verklumpen, und womöglich zündeten schon 200 Millionen Jahr nach dem Urknall die ersten Sterne – im Kosmos wurde es wieder hell. Sterne gruppierten sich zu Sternhaufen und Galaxien – damals ist auch unsere Milchstraße entstanden, als zunächst recht kleines Objekt. Die Galaxien formen eine netz- oder schaumartige Struktur mit großen Leerräumen, die von Wänden und Knoten aus Galaxienhaufen umgeben werden. All dies ist vor langer Zeit geschehen, aber die Anfangszeit des Kosmos lässt sich noch immer beobachten. Denn von vielen Objekten erreicht uns erst jetzt das Licht – mehr als 13 Milliarden Jahre später“ (Dirk H. Lorenzen S. 200).

Das James-Webb-Weltraumteleskop hat dann am 11. Juli 2022 das erste Deep Field, den Galaxienhaufen SMACS 0723 und Hintergrundgalaxien gezeigt (vergleiche dazu https://www.scinexx.de/news/kosmos/jwst-tiefster-infrarot-blick-ins-all/#:~:text=Blick%20ins%20All-,Das%20erste%20%22Deep%20Field%22%20des%20James%2DWebb%2DTeleskops,zeigt%20nie%20zuvor%20sichtbare%20Galaxien&text=12.%20Juli%202022%2C%20Lesezeit%3A,Aufnahme%20des%20fernen%20Weltraums%20erstellt). „Er besteht aus den diffus weißlich leuchtenden Galaxien und befindet sich gut vier Milliarden Lichtjahre entfernt im Sternbild Fliegender Fisch am Himmel der südlichen Erdhalbkugel […]. Für dieses Deep Field […] hat James Webb 12,5 Stunden lang belichtet. Es war das bis dahin tiefste Infrarot-Bild des Universums“ (Dirk H. Lorenzen S. 216). Weitere Bilder von James Webb tragen zur Klärung der Frage bei, wie Sterne in relativ nahen Galaxien entstehen (vergleiche dazu https://www.mpg.de/19891212/james-webb-galaxie). Das bisher älteste gesehene Licht aus der Galaxie GN-z11 hat uns nach 13,4 Milliarden Lichtjahren erreicht (vergleiche dazu https://www.scinexx.de/news/kosmos/neuer-rekord-astronomen-finden-aelteste-galaxie/).

Mit dem europäischen Weltraumteleskop Euclid soll der Weltraum kartiert und ein Zugang zur bisher nicht verstandenen dunklen Energie und dunklen Materie gefunden werden, die wohl hinter dem sichtbaren Universum verborgen sind: Nach allem, was die Wissenschaft heute weiß, besteht das Universum nur zu fünf  Prozent aus sichtbarer Materie. Der Rest sollen dunkle Materie (27 Prozent) und dunkle Energie (68 Prozent) sein. (vergleich dazu https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2023/11/spektakulaerer-blick-ins-all-euclid-sendet-erste-bilder-zur-erde-weltraum-forschung-esa).

ham, 14. November 2023

Kommentare sind geschlossen.

COPYRIGHT © 2023 Helmut A. Müller