Naturerlebnisland Baden-Württemberg
Konrad Theiß Verlag, Darmstadt, 2014, ISBN 978-3-8062-2786-4, 224 Seiten, zahlreiche Landschafts – und Tierfotografien, 3 geographische Überblickskarten, Hardcover gebunden, Format 27,5 × 92 cm, € 29,95
Der Titel „Deutschlands wilder Süden“ könnte an die jungen Wilden Giovane Élber und Fredi Bobic denken lassen, die 1997 mit dem VfB Stuttgart den DFB-Pokal gewonnen haben. Oder an Armin Veh, der 2007 statt auf die damaligen VfB-Stars auf die jungen Wilden Sedar Taşçi, Christian Gentner, Sami Khedira und Mario Gomez gesetzt hat und mit dem VfB Deutscher Meister geworden ist. Er wäre aber enttäuscht, wenn er die gleichnamige kenntnisreiche, glänzend recherchierte und reich bebilderte Publikation aufschlagen und statt seiner Fußballhelden Landschaftsbeschreibungen und Bilder von der Hohenlohe und vom Schwäbisch-Fränkischen Wald, von der Schwäbischen Alb, vom Bodensee und von Oberschwaben, vom Schwarzwald, Oberrhein, Odenwald, dem Bauland, dem Neckarland und den Gäulandschaften in Baden-Württemberg finden würde.
Näher am Thema läge, wer an die jungen wilden Wengerter Jochen Beurer, Sven Ellwanger , Hans Hengerer, Rainer Wachstetter und Jürgen Zipf dächte, die 2002 die Gruppe Junges Schwaben gegründet haben und seither mit ihren an den Zuflüssen des Neckars, in seiner Nähe und am Neckar selber gelegenen Weingütern nationale und internationale Erfolge errungen haben. Denn der im Süden Deutschlands von den Franken mit der Christianisierung eingeführte Weinbau steht paradigmatisch für die dort gepflegte enge Verbindung von Natur und Kultur.
Ganz nahe am Thema aber ist, wer sich an die keltische Bezeichnung des Neckar erinnert. Für die Kelten war der heute 367 km lange Fluss, der Baden und Württemberg verbindet, ein „wilder Kerl“, der in seiner natürlichen Kraft insbesondere nach der Schneeschmelze kaum zu bändigen war. Heute steht er nach seiner nach dem Zweiten Weltkrieg abgeschlossenen Kanalisierung eher für die „technische Zähmung“ der Natur. Allenfalls die 2012 gefluteten und wieder der Natur zurückgegebenen naturnahen Auenlandschaften bei Ludwigsburg-Poppenweiler oder der alte Neckararm bei Nordheim und Horkheim lassen ahnen, wie der Neckar in früheren Jahrhunderten ausgesehen haben mag. „Zwischen Mannheim und Plochingen ist der „wilde Kerl“… nur noch ein Schiffskanal, dessen 27 Staustufen ihn zu einer Abfolge von Stillgewässern gemacht haben. Die endgültige Kanalisierung des Flusses…, die um 1900 begann…, war aber nur der Anfang eines tief greifenden Landschaftswandels: Kaum war der Neckar gezähmt, wurden in den nun überschwemmungsfreien Tallagen Straßen gebaut, und in seinen ehemaligen Auengebieten entstanden Gewerbe-und Wohngebiete. Nirgendwo sonst wurden auf einer solch kurzen Strecke so viele Kraftwerke errichtet wie am Neckar. Allein zwischen Altbach bei Esslingen und Mannheim finden sich auf nur 107 km Luftlinie zwölf Öl-, Gas-, Kohle-und Atomkraftwerksblöcke. Hinzu kommen zahlreiche Wasserkraftwerke, die zwar umweltfreundliche Energie liefern, aber für die Wanderung der Neckarfische ein Problem darstellen. Die Weinbergterrassen dagegen, Bindeglieder von Natur und Kultur,… blieben zum Glück weitgehend erhalten. Bis heute schmiegen sie sich – vor allem zwischen Esslingen und Gundelsheim nördlich von Heilbronn – an die Prallhänge der Flussmäander. Würde man die Trockenmauern der Länge nach aneinanderreihen, ergäbe sich eine Strecke von gut und gerne 1500 km. Hier wurde wohl mehr Stein verbaut als beim Errichten der Pyramiden…“(Andreas Braun. Claus – Peter Hutter).
„Der Neckar ist zwar ein Zwerg unter Europas Flüssen. Doch bei genauerer Betrachtung ist der Heimatstrom von Hegel,Schiller, Mörike, Daimler und Benz die größte Kulturmeile der Welt. Wie an einer Perlenschnur reiht sich eine international bedeutsame Kulturinstitutionen an die andere. Dazu gehören die Universitäten von Tübingen, Stuttgart, Hohenheim, Heidelberg und Mannheim. Hinzu kommen die Staatliche Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart, die Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Mannheim, die Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart, die Filmakademie in Ludwigsburg, in Stuttgart das Württembergische Landesmuseum, das Haus der Geschichte, das Staatliche Museum für Völkerkunde, die Staatsgalerie, das Naturkundemuseum Schloss Rosenstein, die Wilhelma, das Mercedes-Benz- sowie das Porsche-Museum, in Marbach das Deutsche Literaturarchiv mit Schiller-Nationalmuseum und Literaturmuseum der Moderne, das Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim sowie zahlreiche Fachhochschulen und Forschungsinstitute…“ ( Andreas Braun. Claus-Peter Hutter). Über die Verbindung von Natur und Kultur in Baden-Württemberg im allgemeinen und entlang des Neckars im besonderen wäre viel zu sagen. Aber die Autoren halten sich kurz und beschränken sich auf das Wesentliche. Dafür zeigen Sie Seiten des Landes aus Geologie, Fauna und Flora, die sonst eher im Hintergrund stehen.
So führen sie vor, dass das Gebiet des heutigen Baden-Württemberg zum südwestdeutschen Schichtstufenland gehört, in dem sich über dem Grundgebirge aus Granit und Gneis im Laufe von Jahrmillionen Buntsandstein, Muschelkalk, Keuper, brauner, schwarzer und weißer Jura ausgelagert haben. Mutmaßlich durch plattentektonische Prozesse oder durch die Auffaltung der Alpen brach der Oberrheingraben ein und das Gelände wurde auf beiden Seiten extrem angehoben. So entstanden im Osten der Schwarzwald und der Odenwald und im Westen die Vogesen. Dadurch wurden die über dem Grundgebirge liegenden Schichten der allmählichen Verwitterung ausgesetzt. Vulkankegel wie die in der Hegau, Vulkanschlote wie die auf der schwäbischen Alb , mehrere Eiszeiten mit Gletschern und eine Wasserscheide zwischen Donau und dem Rhein haben das Land weiter ausgeformt und es zu dem Naturerlebnisland schlechthin gemacht. Zwar sind die weitesten Teile des heutigen Bundeslandes Kulturlandschaften. Doch „an manchen Stellen wie in den Rheinauen, den steilen Felsen der Schwäbischen Alb, manchen Schluchten im Schwarzwald, Odenwald sowie in den Keuperwaldbergen des Schwäbisch-Fränkischen Waldes, des Strombergs und des Schönbuchs oder den geheimnisvollen Mooren Oberschwabens findet man Wildnis pur und bekommt so einen Eindruck von der einstigen Urnatur des Landes“ (Andreas Braun. Claus-Peter Hutter). In allen potentiellen Nistplätzen an den Felswänden der Schwäbischen Alb kann man heute wieder Wanderfalken finden, in ihren Heiden und Trockenrasen die Küchenschelle und in der europaweit größten zusammenhängenden Obstlandschaft Europas entlang des Albvorlands in den Baumhöhlen der alten Birnen- und Apfelbäume Wald-und Steinkauz, Steinmarder, Wiesel, Siebenschläfer und Hornissen. Selbst der Rotkopfwürger, eine der mittlerweile seltensten heimischen Vogelarten Mitteleuropas, findet in dieser Obstwiesenlandschaft sein letztes Rückzugsgebiet. Der im 19. Jahrhundert in Süddeutschland ausgestorbene Biber, der der oberschwäbischen Stadt Biberach den Namen gab, ist heute wieder im wilden Süden zuhause. Und immer wieder gibt es Hinweise, dass auch Lurche durch den Schwarzwald streifen.In den Auenwäldern desRheintals findet sich der Pirol , in den Trockenböschungen des Kaiserstuhls blüht der Wilde Majoran. Und in Whyl am Rhein ist nach dem erfolgreichen Wyler Widerstand gegen das dort unter Hans Filbinger geplante Atomkraftwerk ein Naturschutzgebiet entstanden.
Ein Anhang mit einer Übersicht über die wichtigsten überregionalen Rad-und Wanderwege und den Web-Adressen der Institutionen und Organisationen für Tourismus, Naturbewahrung und Landschaftsmanagement in Baden- Württemberg rundet den lesenswerten Band ab.
ham, 2. 8. 2014
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