Nov. 25

Jüdische und christliche Feiertage

Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, 2025, ISBN 978-3-374-07939-1, 204 Seiten, Broschur, Format 19 × 12 cm, Euro 24,00

Der 1954 in Berlin als Sohn des DDR-Schriftstellers Dieter Noll geborene und 1995 nach Israel übergesiedelte Mathematiker, Künstler, Kunstgeschichtler, Schriftsteller und deutsch-israelische Journalist Chaim Noll geht in seiner kulturgeschichtlichen Publikation der Frage nach, welche bis heute erkennbare Zusammenhänge zwischen jüdischen und christlichen Hauptfesten bestehen. Er setzt mit dem Shabat und Sonntag als den befreiten Tag ein und endet mit Purim und Karneval.

Chanukah, das jährlich acht Tage gefeierte Lichterfest, erinnert an das im Ersten Buch der  Makkabäer 4,36 ff. aufgezeichnete Lichtwunder im von den Seleukiden zurückeroberten Jerusalemer Tempel (vergleiche dazu Chanukka unter https://de.wikipedia.org/wiki/Chanukka). Demnach sollen die Israeliten im entweihten Tempel nur noch einen Krug reinen Öls vorgefunden haben, um ihn zu beleuchten – ausreichend für einen Tag. Doch dann brannte das Öl acht Tage lang, so dass genug Zeit war, um neue Oliven zu pressen und frisches Öl zu gewinnen. Da beschlossen die Rückkehrer, „das Lichtwunder im Tempel durch ein jährlich zu begehendes Fest von acht Tagen Dauer in ewiger Erinnerung zu behalten: Chanukah, deutsch, die »Einweihung« oder »Weihe«. Mit der Zahl acht werden zunächst die acht Tage memoriert, die das eigentlich nur für einen Tag bemessene Öl vorhielt …

Das Zweite Buch Makkabäer 10,6-9 gibt einen weiteren Grund an, warum das alljährliche Fest aus Anlass der Tempelweihe acht Tage dauern soll: zur Erinnerung an Sukkot, dassachttägige Laubhüttenfest, das die Bürger Jerusalems noch kürzlich, ein weiteres Mal in ihrer Geschichte, als Vertriebene »in der Wildnis und den Höhlen wie wilde Tiere« hatten begehen müssen, während sie nun wieder im Besitz ihrer Stadt und ihres Tempels waren. Damit wird, über das Lichtwunder hinaus, auch die Vorgeschichte erinnert, die erneute Verfolgung, die Vertreibung aus der Sesshaftigkeit – deren Symbol der Tempel ist – zurück in die Wüste“ (Chaim Noll, S. 152 f.).

Das Segnen und Entzünden von Lichtern und das damit verbundene Gefühl eines Neubeginns – einst im wiedergewonnenen Heiligtum, nun durch die Geburt jenes außergewöhnlichen, welt- verändernden Kindes – ist vom älteren Chanukah-Weihefest auf das jüngere christliche Lichterfest übergegangen. Dennoch feiern Christen und Juden ihre Lichterfeste seit Jahrhunderten getrennt. Auch kalendarisch, da die Differenz zwischen dem alten jüdischen Mondkalender und dem christlichen Sonnenkalender nur hin und wieder eine Koinzidenz beider Feste zulässt. All das hat den gemeinsamen Ursprung im Lauf der Jahrhunderte vergessen lassen wie im Fall anderer christlicher Feste, die aus jüdischen hervorgegangen sind: Ostern aus dem Pessach-Fest, Pfingsten aus dem Shavuot- oder Wochenfest. Jedes dieser Feste überlieferte tiefe, uralte Konzepte des Menschlichen, die vielen heute nicht mehr bewusst sind.

Als Jesu Geburtsdatum wird heute allgemein der 25. Dezember angenommen. In der Regel die Nacht davor, die nach jüdischer Zählung bereits zum 25. gehört. Allerdings findet sich keine Angabe darüber im Neuen Testament und auch sonst kein zeitgenössischer Beleg für dieses Datum … Meine Hypothese ist: Die Nacht, in der Jesus geboren wurde, fiel in das Chanukah-Fest. Dafür sprechen mehrere Indizien in der einzigen detaillierten Geburtsgeschichte, im Lukasevangelium. Erstens: die temporäre Unterkunft. Dieses Motiv wird gesetzt im Zweiten Buch der Makkabäer 10,6 mit dem Memorial »Laubhütte« und der Erinnerung, die Juden Jerusalems hätten – wieder einmal verfolgt und auf der Flucht – während der vergangenen Monate in behelfsmäßigen Unterkünften, in Hütten und Höhlen leben müssen. Im Sinne dieses Motivs ist es im Lukasevangelium ein Stall … 

Zweitens: die Nächtlichkeit des Ereignisses. Die Geburt soll am Abend oder in der Nacht erfolgt sein, in einer Atmosphäre von äußerem Dunkel und innerer Helligkeit, wie sie bezeichnend ist für Chanukka … Doch diese Geburt in der Dunkelheit, überdies in einer Hütte oder Höhle, gibt den Plafond, den eindrucksvollen Hintergrund für das dritte Motiv: das Licht. »Und des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr«, heißt es in Lukas 2,9 über die Sensation des Lichts … Jesus wird mit diesem Licht identifiziert. »Das war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen. Es war in der Welt, und die Welt ist durch dasselbe gemacht«, heißt es im Johannes-Evangelium 1,9 f. Wenn die Geburt in die Tage von Chanukah fiel, werden Josef und Maria in ihrem Domizil zu Bethlehem versucht haben, Lichter in die Tür zu setzen wie zum Lichterfest üblich, und da es ihnen unterwegs, als Reisenden, Umherwandernden an den Möglichkeiten dazu gefehlt hat, kam ihnen der Engel zu Hilfe, damit die Geburt beleuchtet, an die Wiedergeburt des Tempels erinnert, das Gebot des Lichtwunders erfüllt wurde.

Jesus, ein verfolgter Jude – auch dieses Motiv wird früh aufgenommen oder besser: übernommen aus der Vorgeschichte der Verfolgungen, die das Chanukah-Fest in Erinnerung ruft. Der bei Chanukah beobachtete Dreiklang aus Verfolgung, Wiedergeburt und Licht findet sich erneut im Weihnachtsfest …

Im deutschen Wort Weihnachten hat die alte Tempelweihe überlebt. In manchen Jahren, so 2008, 2011, 2016 oder 2022 koinzidieren Chanukah und Weihnachten, und so kann es auch im Jahr von Jesu Geburt gewesen sein (Chaim Noll, S. 156 ff.).

ham, 25. November 2025

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