Bei der Entrichtung des Eintritts von acht Euro für die diesjährige KISS-Ausstellung im Schloss Untergröningen frage ich, ob die Ausstellung in diesem Jahr teurer geworden sei. Das Mitglied des Kunstvereins KISS an der Kasse bejaht die Frage, aber dafür sei die Ausstellung in diesem Jahr auch unvergleichlich größer geworden. Es würden 450 Arbeiten von 60 Künstlern gezeigt. Ich frage, ob er selber eine der Arbeiten kaufen wolle. Er sagt wieder Ja. Die Arbeit von Wolfgang Ganter „Works in Progress (Serie): François Boucher, Ruhendes Mädchen“, Echtpigment auf Holz unter gegossenem Kunststoff, 100 × 120 cm, 2020 – 2022 in der Vorhalle des linken Schlosstrakts würde ihm gefallen. Aber sie sei ihm zu teuer. Ich entgegne, dass sie gut in jedes Schlafzimmer passen würde. Sie wäre ein echtes Schlafzimmerbild. Er könne ja mit dem Künstler reden. Er: „Dann wäre der Zoff mit seiner Frau programmiert. Dann wäre was los“.
In der Vorhalle sind weitere 26 Arbeiten zu finden, darunter Anja Luithles rotes Kleid „Katherina (nach Cranach)“, Stoff, Harz, Stahl, Lack (auf Wandsockel), Höhe 120 cm, 2022, Florence Olbrechts kleinformatige Variationen „Faires des Picasso (nach Cranach) / (Sophie) / (Roselyne)“, Öl auf Holz, 2021, und eine dicht an dicht gehängte Bilderwand mit 17 gerahmten Papierarbeiten. An der Wand hängen Serigrafien, Lithografien, Holzschnitte, Radierungen und eine Kohlezeichnung von Willi Baumeister, Wassily Kandinsky und Pablo Picasso, Monotypien von Johanna Mangold, Sarah Hubers Bleistiftzeichnung „Sorry Hilma“ und weitere Originale. Die Arbeiten der Großmeister stammen aus einer Privatsammlung, aus der in das Museum der Stadt Sindelfingen integrierten Sammlung Lütze und aus dem Kunstmuseum Heidenheim.
Im Gespräch mit dem Kurator der Ausstellung Jan-Hendrik Pelz wird deutlich, dass er die genannten und weitere Arbeiten von Großkünstlern wie Francesco Goya und Adolf Hölzel und arrivierten Künstlern und Shooting-Stars wie Markus Lüpertz, Jenny Holzer, Pipilotti Rist, Christian Jankowski, Daniel Richter und Tesfaye Urgessa aus den genannten und weiteren Sammlungen wie der der Kunstakademie Stuttgart, der der Stadt Aalen, der des Kunstmuseums Stuttgart und von der Sammlung Amann erbeten und ihm wichtige Künstler gebeten hat, sich mit diesen Arbeiten auseinanderzusetzen. Dazu sind Arbeiten wie das Musikvideo „Hold Up“ von Beyoncé, 05:17 min, 2016 gekommen, das auf Pipilotti Rists Audio-Video-Installation „Ever is Over All“ aus dem Jahr 1997 reagiert und weiter eine Vielzahl von Blumenbildern, die in den letzten Jahren in den Ateliers von ihm bekannten Künstlern entstanden sind. Auf diesem Weg ist es „Echopraxia“ entstanden und damit die Ausstellung zu der Frage, wer sich in der Kunst von wem beeinflussen lässt.
Jan-Hendrik Pelz versteht sich dezidiert nicht als Kurator. Der 1984 in Filderstadt geborene Maler, Performance- und Videokünstler (vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Jan-Hendrik_Pelz) hat bei seiner Beauftragung ausdrücklich erklärt, dass er die Ausstellung nicht als kuratorisches Projekt, sondern als künstlerisches Statement versteht. Zur Aufgabe klassischer Kuratoren gehört es, die Kunst ins rechte Licht zu setzen, Ausstellungen zu gestalten, sich um Sammlungen zu kümmern, zu forschen und zu publizieren. Kuratieren kommt vom lateinischen curare und heißt so viel wie sorgen, Sorge tragen, sich kümmern, sich angelegen sein lassen, verwalten, behandeln, pflegen.
Nach Christian Gampert „kann man zwei Arten von Kuratoren unterscheiden: diejenigen, die sich mit alter Kunst beschäftigen, mit dem Kanon (der allerdings bis in die klassische Moderne reicht). Und diejenigen, die sich mit Gegenwartskunst befassen. Die einen müssen sich vor ihrer Zunft, ihrer Gilde beweisen: der Kunstwissenschaft … Hier wird „lege artis“ gearbeitet, ein bestimmtes Niveau wird selten unterschritten, und man unterhält sich von Spezialist zu Spezialistin. Die Kuratoren-Kollegen und die Damen und Herren Professoren kommen ja verlässlich, um die Ausstellung, das neue Werk, in Augenschein zu nehmen. Dass das Publikum auch was davon hat, versteht sich meist von selbst …“ (vergleiche dazu Christian Gampert, Endlich mal erklärt. Was machen Kuratoren? In: https://www.deutschlandfunk.de/endlich-mal-erklaert-was-machen-kuratorinnen-und-kuratoren-100.html). Die anderen verstehen sich als Ausstellungsorganisatoren und Vertreter heute lebender Künstler und der neuen Stars. Sie präsentieren die neuen Künstler, die neue Künstlerin ja nicht, weil sie sie für verrückt und absonderlich halten, sondern weil sie an ihn oder sie glauben und weil sie seine oder ihre Karriere voranbringen möchten (vergleiche dazu a. a. O.).
Pelz sieht sich wohl eher in der Nähe der Künstler-Kuratoren, die ihren ersten berühmten Auftritt in den Salons der Refuses hatten (vergleiche dazu und zum Folgenden Sarah Pierce, Der Künstler als Kurator unter https://visualartists.ie/de/how-to-manual/the-artist-as-curator): 1883 hatte sich eine Gruppe von Künstlern, die sich für das Malen des Alltags interessierten, darüber empört, dass ihre Arbeiten im Salon de Paris abgelehnt worden waren. Deshalb erbaten sie sich bei Kaiser Napoleon III. die Erlaubnis, einen Salon der Abgelehnten einzurichten. In der dann genehmigten Ausstellung wurde als eine der später berühmt gewordenen Arbeiten Édouard Manets Le déjeuner sur l’herbe gezeigt. Es hat also Tradition, dass Künstler Ausstellungen ausrichten und bisher unbekannte Kolleginnen und Kollegen protegieren.
„Heute beauftragen etablierte Institutionen die Künstler, nutzen deren soziales Netzwerk und integrieren die künstlerische Perspektive in ihr Haus. Letzter Fall: Flaca, der Londoner Off-Space des Künstlers Tom Humphreys. Ein ehemaliger alternativer Kunstraum wird im Portikus ausgestellt. Die Antikultur ist in der Trend-Institution angekommen. Neben 13 Künstlern ist auch der Künstlerkurator selbst mit vier Postern und sechs Porzellantellern in der Ausstellung vertreten. Tom Humphreys weiß seinen Auftritt zu nutzen. Wenn er schon eine Ausstellung kuratiert, darf seine eigene künstlerische Position nicht fehlen. Da hat sich jemand selbst seine Bühne geschaffen. Die Künstler, die in Zukunft Geschichte schreiben, sind definitiv auch als Kuratoren aufgefallen“ (Vivien Trommer, Ist jeder Künstler ein Kurator? In: https://www.artefakt-sz.net/allerart/ist-jeder-kunstler-ein-kurator-2; vergleiche dazu auch Portikus Frankfurt # 172 unter https://www.portikus.de/de/exhibitions/172_flaca). Wie Tom Humphreys weiß auch Jan-Hendrik Pelz seine Beauftragung zu nutzen: Er trägt unter seinem Pseudonym Paula Pelz 53 Arbeiten und unter seinem bürgerlichen Namen Jan-Hendrik Pelz sieben Arbeiten zur Ausstellung bei und entschuldigt sich zugleich mit dem Offsetdruck „Forgive me Father“ (Serie: Artoons), 10 × 20 cm, 2025 von Pablo Helguera, den er der zur Ausstellung erschienenen Werkliste voranstellt: Der Offsetdruck zeigt den Kurator auf Knien vor einem Beichtstuhl. Ein an seinem Beffchen erkennbarer protestantischer Pfarrer nimmt ihm die Beichte ab. Unter der Zeichnung steht: „Forgive me Father for I have curated myself into a show.“
ham, 1. September 2025