In den Wintermonaten zeigt die Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen üblicherweise Positionen der klassischen Moderne oder einen Überblick über in der Kunstgeschichte relevante Themen wie das Stillleben, den Garten Eden oder wie in diesem Jahr Wolkenbilder. Die von 22. November 2025 bis 1. März 2026 gezeigte Ausstellung »Dem Himmel so nah – Wolken in der Kunst« versammelt Werke aus über 500 Jahren und umfasst 44 internationale Positionen von Albrecht Dürer bis Bjørn Melhus (vergleiche dazu und zum Folgenden https://galerie.bietigheim-bissingen.de/ausstellungen/aktuell/detailansicht/dem-himmel-so-nah-wolken-in-der-kunst/). Die Ausstellung folgt nicht den Jahren der Entstehung der Werke, sondern stellt historische und zeitgenössische Positionen gegenüber.
Nach der zur Ausstellung erschienenen 48-seitigen Broschüre gestaltet sich die Auseinandersetzung mit dem Thema Wolke schon früh facettenreich: von naturgetreuer Beobachtung über symbolische Deutung bis hin zu experimentellen Formfindungen. Während im Mittelalter und der frühen Neuzeit Wolken vor allem als Sinnbild des Göttlichen dienen, werden sie mit der Landschaftsmalerei des Barock zunehmend eigenständig. In der Romantik keimt ein wissenschaftliches Interesse auf, das sich auch künstlerisch manifestiert: Wie lassen sich die unterschiedlichen Wolkenformen kategorisieren? Die Kunst der Gegenwart befasst sich schließlich neben der Faszination für Wolken auch mit ihrer Vieldeutigkeit und dem Einfluss des Klimawandels, der Kriege und der Umweltzerstörung auf ihre Erscheinung. Anzutreffen sind aber auch poetische und sinnliche Zugänge wie in der »Gebirgslandschaft mit Regenbogen (nach Caspar David Friedrich, 1810)«, 2018, des 1968 geborenen Medienkünstler Hiroyuki Masuyama. Masuyama überlagert in seinen LED-Lightboxes bis zu 500 an den Originalschauplätzen aufgenommene Fotografien (vergleiche dazu HIROYUKI MASUYAMA unter https://www.rothamel.de/de/kuenstler/hiroyuki-masuyama/werke.html).
Im Eingangsbereich trifft Gerhard Richters Offsetdruck »Wolken« von 1969 auf Gustav Schönlebers (1851–1971) kürzlich als Schenkung an die Städtische Galerie gegangene »Küstenpartie an der Riviera«, Öl auf Leinwand auf Pappe. Der in Bietigheim geborene Schönleber ist zwar besonders für seine heimatlichen Ansichten bekannt, doch sein motivisches Repertoire reicht weit über die Grenzen Süddeutschlands hinaus. Neben seiner Professur an der Karlsruher Akademie reiste er sehr viel, so unter anderem nach Italien, Belgien, England, Holland und quer durch Deutschland auch an die Küste. Er schuf zahlreiche stimmungsvolle Wolkenlandschaften, mal mit diesiger Atmosphäre und gedämpfter Farbigkeit, dann wieder Exponate von leuchtender Idylle. Der Künstler entwickelte sich vom Spätromantiker zum Impressionisten und zu einem wichtigen Protagonisten moderner Landschaftsauffassung. Wolken als ausschließlicher Bildgegenstand sind erst seit Mitte des letzten Jahrhunderts zu finden. Bahnbrechend innerhalb dieses Bildtypus’ sind Gerhard Richters zwischen 1968 und 1979 fotografierte Wolkenstudien (vergleiche dazu https://www.gerhard-richter.com/de/art/paintings/photo-paintings/clouds-8?sp=16&categoryid=8&p=2), die er als Vorlagen und Collagematerial für Gemälde und Druckgrafik genutzt hat. Was in seinem in Bietigheim-Bissingen gezeigten Offsetdruck wie ein nicht endendes Wolkenmeer aussieht, ist in Wahrheit eine Collage aus zwei Wolkenansichten, von denen die obere auf den Kopf gestellt ist. Das Versprechen der Fotografie, die Realität abzubilden, wird hier als Fiktion entlarvt.
Am Ende der Ausstellung verwandelt Nanne Meyer in ihrer vielteiligen Serie »leicht bewölkt« zeichnerische Notate und Dichter- und Schriftstellerzitate der Vielfalt von Wolkenformationen an. „Jedes Stückchen Papier, ein Moment, ein Augenblick, ein Gedanke, wanderndes Wünschen, ein Theater am Himmel, uralt und immer wieder neu. Wolken über Wände wuchern lassen, Zwischenräume, die der Himmel sind. Papiere aufspießen, Momente aufspießen, die Zeit anhalten, Gedanken anhalten, den Blick schweifen lassen und weiterziehen. Wie eine Wolke denken. Wolken: eine Sprache des Himmels, deren Worte die Wolken sind, die Bilder sind, die unablässig neue Bilder schaffen“ (Nanne Meyer in: »Wolken in Kunst. Dem Himmel so nah« in der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen, Seite 21).
ham, 21. November 2025