Aquarelle von André Butzer, Gedichte von Friedrich Hölderlin, Übersetzung von Alta L. Price

TASCHEN, Köln, 2025, ISBN 978-3-7544-0015-9, 204 Seiten, 47 Gedichte aus Hölderlins Jahreszeiten-Zyklus, 40 Aquarelle von André Butzer, Hardcover in Leinen gebunden, Format 34 × 25,5 cm, € 50,00

Dass der am 20. März 1770 in Lauffen am Neckar geborene Dichter Johann Christian Friedrich Hölderlin nach seiner Zeit im Seminar in Maulbronn und seinem als Stipendiat des Tübinger Stifts erfolgreich abgeschlossenen Theologiestudium in keinem Pfarrhaus heimisch werden würde, war schon im September 1793 entschieden: Hölderlin wollte Dichter und nicht Pfarrer werden (vergleiche dazu und zum Folgenden »Friedrich Hölderlin« in https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Hölderlin). Aber auch seine Hauslehrerstellen in Waltershausen im Grabfeld, Frankfurt am Main, Driburg, Hauptwil (St. Gallen) und Bordeaux und seine Anstellung als Hofbibliothekar in Homburg waren nicht von langer Dauer. Erst in der zweiten Hälfte seines Lebens kam er im Haushalt und der Turmstube des Tübinger Hyperion-Bewunderers Ernst Zimmer zu größerer Ruhe und zur Wiederaufnahme seiner dichterischen Aktivitäten. Ab 1837 signierte er seine Gedichte mit Pseudonymen wie „Scardanelli“ und datierte sie teils Jahrzehnte bis Jahrhunderte voraus und zurück. Friedrich Hölderlin starb am 7. Juni 1843 bei weitgehender Gesundheit.

Als der am 7. Juni 1973 am Todestag von Hölderlin in Stuttgart geborene André Butzer 2001 erstmals nach Los Angeles übersiedelt, bekommt er Heimweh. Aber seine ersehnte Heimat liegt weder in der alten noch in der neuen Welt und auch nicht wie für Elon Musk auf dem Mars. Er liest Hölderlins »Hyperion« und hat das Gefühl, auf einen Seelenverwandten zu treffen und jedes Wort zu verstehen. „Ich dachte, diese Worte stammen doch von mir.“ Butzer erkennt sich in Hölderlins  Schicksalsgestalt wieder und erfindet die Figurationen des heimatlosen Wanderers (vergleiche dazu https://www.google.com/search?client=safari&rls=en&q=ANDRÉ+BUTZER,heimatloser+Wanderer&ie=UTF-8&oe=UTF-8#vhid=Hug1YmBI_Pa2NM&vssid=_754paYz2Hsiyi-gPuOK-qQY_44) und des im Nirgendwo liegenden Nasaheims, in dem der Wanderer einkehren und heimisch werden kann (vergleiche dazu https://www.phillips.com/detail/andre-butzer/NY010116/135 und „N ist Vernichtung.“ Potz Blitz. Unter https://www.vonhundert.de/indexd12c.html?id=418&pageID=3). „Für Hölderlin ist die Dichtung jener Ort, der einen menschlichen Aufenthalt auf Erden möglich macht. Für Butzer ist es die Malerei. In der Dichtung findet er Beistand, um die extremen Widersprüche der Welt malerisch auszutragen und auszusöhnen“ (André Butzer, Hölderlin, S. 202).

2006 verfasst André Butzer sein Gedicht „Kommando Friedrich Hölderlin“ (vergleiche dazu https://www.maxhetzler.com/exhibitions/kommando-friedrich-holderlin-berlin-werner-buttner-andre-butzer-bjorn-dahlem-gunther-forg-thilo-heinzmann-thomas-helbig-georg-he), regt die Anfang 2007 in der Galerie Max Hetzler in Zusammenarbeit mit der Galerie Guido Baudach realisierte Gruppenausstellung „Kommando Friedrich Hölderlin Berlin“ an und trägt die titelgebenden Arbeiten »Kommando Friedrich Hölderlin«, 2007, Linocut, 41,9 x 59,2 cm auf 53 × 70,4 cm (gerahmt) und die großformatige Ölmalerei »Kommando Friedrich Hölderlin«, 2006, Oil on canvas

280 x 460 cm zur Ausstellung bei (vergleiche dazu Max Hetzler, Kommando Friedrich Hölderlin Berlin, a. a. O. und https://artmap.com/maxhetzler/exhibition/kommando-friedrich-hoelderlin-berlin-2007). Als der Hölderlinturm in Tübingen 2020 zum 250. Geburtstag des Lyrikers wiedereröffnet wird, lässt Butzer dem Museum seine Zeichnung ›Friedrich Hölderlin: Unsichtbarer Mann‹ von 2019 aus Amerika zukommen (vergleiche dazu Hölderlin in den Künsten – André Butzer unter https://hoelderlinturm.de/live/hoelderlin-in-den-kuensten-andre-butzer/).

Mit seinem jetzt erschienenen und schon durch seine Größe und edle Ausstattung auffallenden Künstlerbuch »André Butzer. Friedrich Hölderlin. Die Jahreszeiten« unterstreicht Butzer Hölderlins Bedeutung für ihn als Person und als Künstler. Wie seine sind auch Hölderlins Werke auf der Suche nach Frieden. „Das ist ein ganz zentraler Begriff, und übrigens: bei unserem Freund Hölderlin ebenfalls. Das ist ja das Schöne. Dieser Glaube, dass Frieden möglich ist. Dass ein blauer Himmel möglich ist. Diese scheinbar einfachen Sachen“ (André Butzer, 2006). Und: „Stuttgart ist meine Heimat, wie es auch die Heimat von Hölderlin ist. Aber unsere Heimat ist eigentlich der Himmel“ (André Butzer 2007). Butzers Gedichtband ist ein poetisches Zwiegespräch zwischen Friedrich Hölderlin und dem heute in Berlin lebenden Maler, der sich fragt, ob sich Heimat und der von ihm und Hölderlin gesuchte Friede im remilitarisierten Deutschland überhaupt noch finden lässt.

Für seine Publikation hat Butzer 47 Gedichte zu den vier Jahreszeiten ausgewählt, die Hölderlin zwischen 1793 und 1843 zu den vier Jahreszeiten geschrieben hat. Es fällt auf, dass 16 der ausgewählten Gedichte mit dem Pseudonym Scardanelli unterschrieben sind, darunter das Gedicht »Der Frühling«, dem Butzer sein Aquarell »Tübinger Stift« gegenüber gestellt hat: 

„Der Frühling

Die Sonne kehrt zu neuen Freuden wieder,

Der Tag erscheint mit Strahlen, wie die Blüte,

Die Zierde der Natur erscheint sich dem Gemüte,

Als wie entstanden sind Gesang und Lieder.

Die neue Welt ist aus der Tale Grunde,

Und heiter ist des Frühlings Morgenstunde,

Aus Höhen glänzt der Tag, des Abends Leben

Ist der Betrachtung auch des innern Sinns gegeben.

Mit Untertänigkeit

Scardanelli.“

d. 20. Jan. 1758“

Scardanelli ist einer der neuen Namen, die sich Hölderlin in seiner später Hölderlinturm genannten Tübinger Unterkunft gegeben hat. Wenn Hölderlin gefragt worden ist, wer Scardanelli sei, antwortete er: »Ich bin’s.« »Der Scardanelli, das bin ich.« 

Butzer widmet Hölderlins Gedicht »Der Sommer« ein Aquarell in zartem Akaziengelb, Gelb-Orange, Hell- und Dunkelgrün, Indischrot und Magenta. An der Seite seines Gedichts »Der Herbst« geht seine Kunstfigur »Frau« inmitten von fallenden Blättern spazieren. Und sein Gedicht „Der Winter“wird von Butzers »Wanderer« in kaltem Berliner Blau, Fliederblau und Blau-Grün begleitet. Seine »Diotima« schaut aus einem von schwarzen Flecken aufgemischten Kardinalrot auf einen Ort, der unserem Blick verborgen ist. Es bleibt offen, ob sie in ihr Innerstes blickt oder in eine unerreichbare Ferne. Hinter der im Hyperion und Hölderlins Gedichten verewigten Diotima steht die verheiratete Susette Gontard (1769–1802), die er nach einer Auseinandersetzung mit deren Mann am 25. September 1798 verlassen muss und doch nicht loslassen kann (vergleiche dazu und zum Folgenden Manfred Orlick, Hölderlins unsterbliche Diotima. Zum 250. Geburtstag von Susette Gontard. Unter: https://literaturkritik.de/hoelderlins-unsterbliche-diotima-zum-250-geburtstag-von-susette-gontard,25344.html):

„An Diotima

Schönes Leben! du lebst, wie die zarten Blüten im Winter, 

  In der gealterten Welt blühst du verschlossen, allein.

Liebend strebst du hinaus, dich zu sonnen am Lichte des Frühlings,

  Zu erwarmen an ihr suchst du die Jugend der Welt.

Deine Sonne, die schönere Zeit, ist untergegangen.

  Und in frostiger Nacht zanken Orkane sich nun.“ 

(Friedrich Hölderlin; vergleiche dazu auch „Friedrich Hölderlin und Diotima“ unter http://www.deutsche-liebeslyrik.de/extra_rubrik/extra9/extra9.htm)

ham, 29. November 2025

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