Mit Texten von Jasper von Altenbockum und einem Vorwort von F.A.Z.- Herausgeber Berthold Kohler
Frankfurter Allgemeine Buch, Frankfurter Societäts-Medien GmbH, Frankfurt 2017, ISBN
978-3-95601-176-4, 176 Seiten, zahlreiche Schwarzweißabbildungen, Hardcover gebunden,
Format 21,5 x 16 cm, € 17,90
Jahresrückblicken, die in Tageszeitungen veröffentlicht werden, billigt man gewöhnlich keine lange
Halbwertzeit zu. Sie werden deshalb Anfang oder Mitte Januar dem Vergessen anheim gegeben. Bei den
Online-Ausgaben der Zeitungen geht das Wahrnehmen und Vergessen noch schneller. Dabei geben
Jahresrückblicke noch nach Jahrzehnten einen präzisen Einblick in die Aufgeregtheiten und Stimmungen
eines Jahres. Und wenn man sie über ein oder mehrere Jahrzehnte sammelt, kann das Konvolut zur
Grundlage von Skizzen über die geistige Großwetterlage eines Landes werden. Diese Wertung gilt in
herausgehobener Weise auch für die Karikaturen, die die beiden Franken Achim Greser und Heribert Lenz
zwischen Oktober 2015 und November 2016 in der FAZ veröffentlicht und in ihrem etwas anderen
Jahresrückblick 2016 „Made in Germany“ zusammengetragen haben. Ihre Karikaturen bleiben unter
anderem auch deshalb über den Tag hinaus aktuell, weil sie vornehmlich Langzeitthemen wie die Fragen
nach dem Lebenssinn, der Erderwärmung, der steigenden Kluft zwischen Arm und Reich und dem seit 9/11
allgegenwärtigen Terror aufgreifen.
Als der Boxer „Muhammed Ali, alias Cassius Clay, Kampfname »The Greatest«“ (Jasper von Altenbockum
S. 98) am 3. Juni 2016 in Arizona verstorben ist, haben ihn die Karikaturisten in seinem allseits bekannten
Kampfanzug, also in seinen weißen Boxershorts mit dem Streifen an der Seite und mit seinen
Boxhandschuhen auf einer Wolke vor Gott treten und letzteren fragen lassen: „Who is the Greatest?“. Bei
der Klimakonferenz der Vereinten Nationen Ende November / Anfang Dezember 2015 in Paris haben sie
einen Blick in die Zukunft riskiert. Sie haben so getan, als würden sie im Jahr 2115 mit einem Touristenbus
in eine Sandwüste fahren, die einmal Paris gewesen ist. In 100 Jahren könnte womöglich einzig und allein
der dann ruinöse Eiffelturm an die einstmals stolze Metropole erinnern. Aber er ist verrostet und seine Spitze
ist abgeknickt. Hinter dem Eiffelturm stehen Kamele. Der Fremdenführer erklärt: „Hier hat vor 100 Jahren
die Klimakonferenz stattgefunden, die die Welt retten wollte“.
Im März 2016 schlagen Greser und Lenz für die Beratungen der EU über die Flüchtlingskrise und den Streit
über die Schließung der Balkan-Route eine Flüchtlings-Route über den Nordpol vor. Ein des Inuit halbwegs
mächtiger Südländer mit einem schwarzen Schnauzbart trifft inmitten der Eiswüste auf einen Eskimo und
fragt: „Welche Richtung esse Alemania bitteschön?“ Der Einheimische hat gerade einen größeren Fisch aus
dem Eiswasser gezogen und ist dabei, ihn zu einem schon vorher gefangenen ins Kanu legen. Im
Hintergrund ist ein nicht enden wollender Zug von Menschen aufgestellt.
Die Diskussion der Europäischen Zentralbank über die Frage, ob bis Ende 2018 alle 500-Euro-Scheine aus
dem Verkehr gezogen werden sollen, wird von Greser und Lenz mit folgender Bemerkung einer vollbusigen
Bikini-Schönheit an ihren deutlich älteren Mann karikiert: „Der 500-Euro-Schein wird abgeschafft. Und
womit sollen wir dann unsere nassen Schuhe ausstopfen, Schatz?“. Der Mann ist mit den Jahren fülliger
geworden. Er trägt eine Glatze, sitzt unter einem Sonnenschirm und sucht den Schatten. Die Schöne sucht
die Sonne und liegt in einem Liegestuhl. Die Karikaturisten haben die Szene auf eine private Insel im
Mittelmeer verlegt. Auf dem Anwesen sind ein super teurer Rennwagen, ein Swimmingpool und ein
dunkelhäutiger Butler zu finden. Der Butler serviert frische Säfte, nachdem der Markensekt am Pool
ausgetrunken ist.
„Ohne Worte“ ist die Karikatur überschrieben, die den alljährlichen Autobahn-Stau zu Ferienbeginn mit der
für 2016 typischen Diskussion über Fake-News und der Propaganda des IS zusammenbringt. Greser und
Lenz zeichnen eine völlig verstopfte Autobahn, auf der nichts mehr vorwärts geht. Im Hintergrund warnt ein
Schild vor dem Stau, in dem schon alle stehen. In einem PKW läuft der Verkehrsfunk: „Achtung Autofahrer
in Richtung Süden, auf der A3 Frankfurt–Würzburg stauen sich die Fahrzeuge auf 25 km Länge. Der IS hat
sich zu dieser Verkehrsbehinderung bekannt“. Die Beifahrerin kommentiert: „Das ist ja allerhand!“
Der in dieser und den anderen Arbeiten versteckte hintergründige fränkische Humor wird wohl nicht von
jedem verstanden. Der den Karikaturen an die Seite gestellte Text kann dem Verstehen aber schon jetzt und
auch noch in zehn Jahren auf die Sprünge helfen: „Am 18. Juli 2106 verletzte ein afghanischer Asylbewerber
in einem Regionalzug bei Würzburg vier Menschen schwer. Er war mit einer Axt und einem Messer auf die
Leute losgegangen. Später behauptete er, im Auftrag des »Islamischen Staats« (IS) gehandelt zu
haben“ (Jasper von Altenbockum S. 124).
ham, 3. April 2017