Liebe Freundinnen und Freunde der Nordheimer Scheune, sehr geehrte Damen und Herren,

der 1965 in Karlsruhe geborene vielseitige Künstler, profunde Kenner afrikanischer Plastik, gefragte Autor, Kurator, Gestalter und Produzent ungezählter Kataloge, Plakate und Einladungen, Hochschullehrer, Künstlerforscher, Gründer und Herausgeber von »fluid editions«, einer Produktionsplattform vielfältiger künstlerischer Projekte Axel Heil ist nach Auffassung aller Kuratoren, Galeristen und Museumsdirektoren, mit denen er gearbeitet hat, nicht auf den einen Punkt zu bringen. Der zehn Jahre ältere, in Sinzheim bei Baden-Baden geborene und 2013 in Karlsbad verstorbene Künstler und Autor Wolf Pehlke hat ihn im Katalog der Kunstakademie Karlsruhe »Zehn Jahre später« trotzdem und zu Recht mit dem von den Navajo-Indianern verehrten Coyoten verglichen, der die eitelsten Anstrengungen der Menschen verdreht und ihnen Lektionen der Bescheidenheit erteilt. 

Im besagten Katalog sind drei Fotoarbeiten der Performance »Ein Teil der Beute« von Axel Heil aus dem Jahr 1995 abgedruckt, die Heil in braunen Stiefeln, einer auffällig rot-schwarz gestreiften Hose, einem dunkelbraunen Mantel, einer hellbraunen Mütze und mit einer Gitarre, einem erdfarbenen Überseesack und einem nachgebauten gelben Kinderfahrrad auf dem Rücken zeigt, weiter mit einer Rolle Packpapier, einem Mittelding zwischen Speer und Quirl – vielleicht ist es auch ein Herrscherstab – unter dem linken Arm und einer blau-weiß-rot gestreiften leinenen Einkaufstasche und einer Axt in der linken Hand. Mit seiner rechten Hand zieht er einen vierrädrigen Karren an einem Seil hinter sich her, auf dem eine Frauenfigur mit blonden Haaren  und einem dem Speer oder Stab oder Quirl unter Heils linkem Arm vergleichbaren zweiten Stab steht.  Heils Wagen ähnelt den Wagen, die er in der Installation »Croisadement« aus dem Jahr 1991 aneinandergekettet hat. Das Französische ‚croisadement‘ bedeutet Kreuzung, Kreuzweg, Scheideweg.  Heil sieht sich in den Anfängen seines künstlerischen Weges wie Herakles am Scheideweg vor die Frage gestellt, ob er sich in seiner Künstlerlaufbahn für den direkten, am eigenen frühen Erfolg orientierten, aber mühelosen und moralisch fragwürdigen oder für den immer wieder von Um-, Ab- und Seitenwegen unterbrochenen schwierigeren und von zahlreichen Neuanfängen gekennzeichneten, aber ihm mehr entsprechenden und deshalb authentischeren und langfristig beglückenderen Lebens- und Künstlerweg entscheiden soll. 

Er nimmt sich für diese zentrale Frage Zeit, tritt zur Seite, setzt sich, wie seine Fotoarbeit »To Be as if«  aus dem Jahr 1996 zeigt, auf das Dach eines baufällig gewordenen und dringend reparaturbedürftigen Gartenhauses neben einer Bahnlinie, denkt nach, bemerkt, dass die Welt völlig anders aussieht, wenn er sich auf dem durchlöcherten Dach umdreht und die Güterzüge vorbeirattern sieht, gewinnt die Übersicht und kommt zu dem Schluss, dass er den längeren und schwierigeren Weg gehen muss, weil der ihm die Freiheit lässt, umherzuschweifen, sich umzusehen, umzuhören, in der von ihm geliebten Literatur zu stöbern und die Themen, Genres und Methoden aufzugreifen, die für ihn je und dann an der Zeit sind. Dabei wird ihm klar, dass die Kunstgeschichte einen kaum zu hebenden Schatz an Innovationen bereithält und er deshalb die in Künstlerkreisen gerne gepflegte Genievorstellung nicht vor sich hertragen will. Er will lieber das Feld ausweiten, in dem er sich künstlerisch bewegt: Er bejaht die Einsicht, dass Kunst von Kunst kommt und keiner der heute arbeitenden Künstler am Anfang des künstlerischen Weges steht. Aber er will auch demonstrieren, dass ihm alles, was ihm in der Welt auffällt und interessant erscheint, zur Kunst werden kann. Deshalb werden ihm in seinen Anfangsjahren die nach einem Rohrbruch ab- und aufgeschlagenen Hauswände in der Serie von fünf Fotoarbeiten mit dem Titel »Summer Holidays (The Roaring Twenties)« ebenso zur Kunst wie die vier Fotoarbeiten vom Teilabbruch eines Hauses mit dem Titel »Bingo Revisited« und seine im Kunstverein Ettlingen gezeigte Rauminstallation »Open up your tired eyes“, in der er sich mit einem Arm an der hell leuchtenden Neonröhre unter der Decke festklammert und über dem Boden schwebt. Erst wer seine müden Augen weit aufgerissen hat, hat wahrgenommen, dass nicht der Künstler von der Decke hing, sondern sein naturgetreuer Körper-Abguss. Gesicht und Hände waren in Wachs gegossen und lebensecht farbig gefasst. Der installierte Abguss Heils trug Heils abgetragene Kleider und der Kopf war mit weit über 10 000 originalen Heil-Haaren bestückt. 

Heil hat sich in seinem weiteren Weg dann ein ums andere Mal den üblichen Erwartungen des Kunstmarktes entzogen und auf freies Umherschweifen, die Konstruktion von Situationen, auszuhaltende Widersprüchlichkeiten und kaum auszuschöpfende neue künstlerische Erfindungen gesetzt. Aus Sehen und Wissen ist das Gezeigte entstanden – und nicht selten formuliert es mehr Fragen, als dass es Antworten bereithält. Auch deshalb ist für Axel Heil neben dem Moment der Authentizität die Methode des „unfinished“ zentral geworden, die Leerstelle, die noch etwas offen lässt. Zwar bilden Malerei und Zeichnung die selbstverständliche Grundlage seines Unterwegsseins. Aber ihre Erscheinungsformen sind doch eher von Collage, Montage und von Übertragungen von einem Feld ins andere und von Transfers in neuere und neuste künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten geprägt.

Das zeigt sich auch in den in der Nordheimer Scheune versammelten Arbeiten aus fast 40 Jahren. Wer sich ihnen annähert, fragt sich, ob sie tatsächlich von ein und demselben Künstler stammen können. Jede Arbeit hat ihren eigenen Ausdruck. Jede steht für sich. So erscheint Sisyphus, der seine gelbe und ins Blau stechende Kugel in der in erdigem Grün angelegten Malerei »Happily ever after« aus dem Jahr 1988 den Berg hinabrollt, noch deutlich als deutlich erkennbare männliche Figur. Die beiden gelben und der blaue im Geist des phantastischen Realismus am Ende der Studienzeit auf feuerrotem Grund gemalten »Propheten« kommen schon verrätselter daher. Sie verlangen ein deutlich höheres Einfühlungsvermögen, eine größere Vorstellungskraft und eine lebhaftere eigene Phantasie. In seiner 1990/91, also gut zwei Jahre später während seiner Meisterschülerzeit gemalten mittelformatigen Ölmalerei »Im Bach nur Forellen« setzt Heil auf Dunkelrot und Violett und wählt eine noch stärkere Abstraktion. Wenn man sich länger in das Bild einliest, werden ein an afrikanische Plastiken erinnerndes Gesicht und blau- und weißumrandete Pupillen erkennbar, die die im Titel im Bach angekündigten Forellen suchen. Aber die Forellen haben sich wohl versteckt.

Wieder ein gutes Jahr später hat Heil in seinem Querformat »Manchmal bin ich mein einziger Freund und der ist nicht zuhause« von 1992 am Informel Gefallen gefunden. Mit dieser in Eitempera, Graphit und Tusche auf Lederpappe gemalten Arbeit hat Heil die Figuration und die klassische Form und Komposition scheinbar verlassen und auf freies und spontanes Malen gesetzt. Man kann in der bewegten Szenerie aus ziegelroten, zitronengelben, schwarzen, grauen und blauen malerischen Kürzeln dann aber doch ein Liebespaar, einen Reiter mit Stehhaaren, einen Adler, einen Storch, eine Giraffe und eine Maus entdecken. Seinem 1995 noch klassisch realistisch in Paris mit Temperafarben gemalten Hund »Waldi II«  hat er ein etwas verzogenes Schottenkaro gegenübergestellt und die Arbeit »L’Emergence« genannt. Der Hund steht auf kleinsten Inseln, die vielleicht sein Revier abstecken. Aber der mit „Die Emergenz“ zu übersetzende Titel der Arbeit weitet dann den Horizont. Er verweist auf das philosophische Problem, dass Dinge – und in diesem Fall der Hund Waldi und sein Revier – nicht in ihrer uns vor unsere Augen tretenden Erscheinung und schon gar nicht in Dualitäten wie denen von Mensch und Tier aufgehen. Der Hund und seine Umwelt behalten ihre darüber hinausgehende eigene Realität, ihre emergente Seite. Arbeiten wie »L’Emergence« könnten deshalb allzu einfache Denkmuster auf höhere Ebenen der Wahrnehmung transferieren. 

Mit der ockerfarbenen Temperamalerei »North Beach (Oahu)« von 1997 landet Heil in der Abstraktion. Er scheint sie nach einer langen Übungsphase in drei oder vier Pinselzügen bildraumfüllend in das 48 x 40 cm große Hochformat gesetzt zu haben, das in den überbreiten dunkelbraunen Rahmen übergeht. Bild und Rahmen sind aufeinander angewiesen. Sie gehören zusammen.

»The New Frontier (für H.F.)« von 2008 unter »Floraison des éclairs« überträgt den in Portugal fotografierten, für Westernszenen in Westernfilmen bereitgestellten Zug durch ein Emulsionsverfahren auf die Baumwolle. 

 In »Brothersisterfather« von 2009 geht Heil von einem schwarz-weißen Zeitungsfoto von Pablo Picassos Kindern Paloma und Claude aus. Er macht es nass und damit das Foto vom Foto schwärzer und faltet es wie einen Vorhang. Am Computer collagiert er Pablo Picassos Auge in die Fotovorlage ein und verwandelt die schwarze Punktrasterung der Fotografie in eine rot-gelb-blaue. Anschließend wird die Vorlage in einer Art Spritztechnik auf Leinwand gedruckt. 

Die aus einer Furke, einer Gabel mit zwei Zinken und einem Sattel zusammengesetzte Bildhauerarbeit »La petite chèvre« (Die kleine Ziege) referiert auf Picassos 1941 erfundenen und 1942 in Bronze gegossenen »Tête de taureau«, den Stierschädel, den dieser aus einem Fahrradsattel und einer Lenkstange zusammenmontiert hat. In der Surrealistenszene ist diese Plastik zum Symbol für das Hin- und Hergleiten zwischen den Welten geworden. Axel Heil hat seinen Ziegenkopf auf dem Flohmarkt in Paris gefunden und angekauft. Seine kleine Ziege macht eine weitere Variante des künstlerischen Transfers deutlich.

Wie das Foto des mallorcinischen Zitronenbaums auf die weiße Kunststoffplane der Arbeit »Lemon Tree« von 1995/2021 gekommen ist, sollte uns Axel Heil am besten ebenso selbst erklären wie die Fragen, was seine Arbeit als Professor für experimentelle Transferverfahren von der Arbeit als Professor für Artistik Research unterscheidet und was ihn so sehr an Aby Warburgs Mnemosyne interessiert, dass er sich in seinem Künstler- und Professorenleben über ein Jahrzehnt mit ihr beschäftigt hat …

ham, 10. Mai 2025

Kommentare sind geschlossen.

COPYRIGHT © 2023 Helmut A. Müller