Städtische Museen Heilbronn erinnern in der Kunsthalle Vogelmann mit Malereien, Grafiken und Skulpturen aus dem 15., 16., 20. und 21. Jahrhundert an den Bauernkrieg

Die Komplexität des Ausstellungsgegenstandes beginnt schon mit seinem Namen und hört bei seiner Deutung nicht auf (vergleiche dazu und zum Folgenden ›Der Deutsche Bauernkrieg 1525 im Kontext europäischer antifeudaler Protestbewegungen‹. In: https://www.uni-hildesheim.de/fb1/institute/geschichte/erasmus-und-europagespraeche/europa-gespraeche/wintersemester-200809/der-deutsche-bauernkrieg-1525-im-kontext-europaeischer-antifeudaler-protestbewegungen/): Sollen die seit 1476 in Deutschland unter dem Symbol des Bundschuhs beginnenden Unruhen, Rebellionen und Verschwörungen, die 1524 in eine ländliche Rebellion in der Grafschaft Stühlingen und im Gebiet zwischen Basel und dem Bodensee nördlich des Rheins und der Schweizer Grenze und im März 1525 in ein regionales Bauernparlament in Memmingen und zu den Zwölf Artikeln der Bauernschaft und Hintersassen in Schwaben führen, 

  •   als Revolution des gemeinen Mannes verstanden werden, wie der Frühneuzeithistoriker Peter Blickle meint, also der in Gemeinden ansässigen stimmberechtigten und besitzenden Bevölkerung auf dem Lande oder der zukunftsfähigen Bevölkerung in den Städten, der Handwerker und Ackerbürger, die eine rechtliche und soziale Anhebung und eine mögliche Gleichstellung mit dem Adel und dem Patriziat sowie eine Mitwirkung in den geistlichen, adeligen und bürgerlichen Ständen angestrebt haben, also in den „Landschaften“, die Land und Leute gegenüber dem Landesherrn vertraten? Nach dieser Deutung wären die sogenannten Unterschichten ausgegrenzt und weder Träger noch Führer des Aufstandes gewesen.
  •   Oder war der Aufstand der Höhepunkt einer antifeudalen Revolution der arbeitenden Bevölkerung in Stadt und Land und steht er mit der Reformation in einem engen Zusammenhang? Diese These findet sich ansatzweise bei dem württembergischen Historiker und Theologen Wilhelm Zimmermann (1807 bis 1878) und in materialistischer (marxistischer) Form bei Friedrich Engels, Karl Kautsky und August Bebel und später bei dem Historiker M. M. Smirin (1943). In der DDR wurde der Bauernkrieg seit 1960 von Max Steinmetz und anderen als Kulminationspunkt einer „Frühbürgerlichen Revolution“ gedeutet. 
  •   Nach einer älteren These aus der Gedankenwelt der konservativen Revolution soll der Bauernkrieg dagegen der politische Kampf der deutschen Bauern um das Reich gewesen sein. Träger sei vor allem das besitzende Bauerntum und nicht das städtische Bürgertum oder der niedere Klerus gewesen. Die Leibeigenschaft habe in den Aufstandsgebieten keine soziale und wirtschaftliche Bedeutung mehr gehabt. Diese These betont besonders die Vorunruhen des Bundschuhs und des armen Konrads; sie berücksichtigt die Bestrebungen nach dem alten und göttlichen Recht, aber sie schwächt die Bedeutung der Reformation oder der chiliastischen Utopien eher ab. Sie stammt von Günther Franz (1902 bis 1992). Die Reformation war für ihn nur ein hinzukommendes Element als Auslöser des Bauernkriegs, aber nicht als ihr Grund.
  •   Schließlich wird der Bauernkrieg auch als Bewegung zum Schutz elementarer Lebensgrundlagen oder als Anregung zur Bildung von regionalen Basisgemeinschaften in Kirche und Gesellschaft gedeutet. Er gilt dann als ein Symbol der Aufsässigkeit, der antizentralistischen Renitenz und der alternativen Gesellschaftsordnung. Diese These wird im Kampf gegen Atomkraftwerke in der Rheinebene oder gegen die Anlage einer Teststrecke in Franken stark gemacht. Auch der Studentenführer Rudi Dutschke hat sich in seinen Ansprachen dieser Argumentationslinie bedient und sich auf Thomas Münzer berufen. In deutschsprachigen, christlich geprägten ökonomischen Basisgemeinden in Bolivien argumentiert man entsprechend.
  •   Wenn man aber bedenkt, dass es schon 825 in Nordengland Bauernrevolten gab, 997 in der Normandie, 1024 in der Bretagne, 1336 bis 1339 in Südwestdeutschland (die Bewegung des Königs Armleder), im Rheinland und im Elsass, 1381 in England (Aufstand des Wat Tylers in Südengland wegen einer Einführung der Kopfsteuer), 1356 in der sogenannten Jacquerie  in Paris und im nördlichen Vorland von Paris, 1419 bis 1473 in den religiös-sozial orientierten Hussitenkriegen in Böhmen und Sachsen, im Freiheitskampf der Dietmarscher 1434 bis1559, beim Pfeiffer von Niklashausen in Franken 1476, beim Bundschuh im Elsass und am Rhein 1493, 1502 und 1513, beim ungarischen Bauernaufstand unter Georg Dozsa 1514 und beim Aufstand des „ Armen Konrad“ in Württemberg 1514 sowie dann 1524 der Bauern des Landes Wursten bei Bremerhhaven gegen Erzbischof Christoph von Bremen,  muss man sagen, dass der deutsche Bauernkrieg von 1525 keine deutsche Lokalangelegenheit war, sondern ein Stück des historischen Kampfes gegen den Feudalismus im Kontext antifeudaler Protestbewegungen.

Marc Gundel, der Kurator der Ausstellung und Direktor der Heilbronner Museen, hat sich für die Deutung des Frühneuzeithistorikers Peter Blickle entschieden (vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Blickle_(Historiker).  Sein Schwerpunkt liegt allerdings nicht auf dem Kampf um die Deutung des Bauernkriegs, sondern bei seiner Rezeption in der Malerei des 15., 16., 20. und 21. Jahrhundert. 

Im Mittelpunkt steht der von Barbaradarstellungen aus dem mittleren 15. und frühen 16. Jahrhundert flankierte sogenannte Barbara-Altar des Malers Jerg Ratgeb. Ratgeb hat von 1509 bis 1512 mit seiner Frau, einer Leibeigenen Herzog Ulrichs, in Heilbronn gelebt, dort aber kein Bürgerrecht bekommen, weil er seine Frau nicht freikaufen konnte (vergleiche dazu Jerg Ratgeb unter https://de.wikipedia.org/wiki/Jerg_Ratgeb). Den Auftrag für den zu seinen Hauptwerken zählenden Barbara-Altar für die Johanneskirche in Schwaigern hat er 1510 von Graf Georg Wilhelm von Neipperg und seiner Frau Anna Barbara erhalten (vergleiche dazu https://www.schwaigern.de/sehenswertes/stadtkirche-mit-barbara-altar-des-malers-joerg-ratgeb-id_1810/ und https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Schwaigern-barbara-altar2.jpg). Die äußeren Tafeln des Altars zeigen die von den Jüngern Jesu mit großen Emotionen auf- und angenommene Aussendung der 12 Apostel. Der Maler verbindet die beiden Flügel durch die Wege und den Fluss zu einer bildnerischen Einheit. Ähnlich gestaltet Ratgeb die Komposition der Mittel- und Seitentafeln. Von links nach rechts steigt eine  durch architektonische und landschaftliche Elemente vertikal gegliederte Szenerie diagonal an. Die Bildmitte ist noch nicht zentralperspektivisch ausgebildet; daher ist der Proportionskontrast zwischen Vorder- und Hintergrund stark. Die Figuren der Seitenflügel wie die Heilige Barbara und ein Paradiesgarten gehen in den goldenen Hintergrund über. 

Nach Marc Gundel steht Ratgebs Komposition zwischen Spätgotik und modernen Anklängen. Letzteres zeigt  sich in der Wiedergabe der prunkvollen Gewänder der Heiligen und ihres Vaters, in ihrer Detailgenauigkeit und in ihrem stofflich-plastischen Ausdruck. „Modern“ sind auch die expressiven Bewegungen der Figuren und die Beobachtungsfreude des Malers. Die stilistische Ambivalenz der Darstellung ist an der Wende zur Neuzeit, in der Ratgebs Frühwerk entstand, nicht ungewöhnlich. Die eigentliche Neuerung liegt in der Darstellung der als alltägliche Charaktere gezeigten Personen: Offensichtlich empfinden die biblischen Gestalten wie Menschen im Hier und Jetzt; sie scheinen den alltäglichen Herausforderungen des Daseins genauso ausgesetzt zu sein wie die damaligen Betrachter. 

Ratgeb verhandelte im Bauernkrieg mit den aufständischen Bauern, nahm an dem von ihnen geforderten Kriegskontingent teil und wurde von ihnen als Kriegsrat und Kanzler gewählt. Er kämpfte an der Seite von Herzog Ulrich, der sich damals in Reichsacht befand und sein Herrschaftsgebiet mithilfe der Bauern wieder- erlangen wollte. Nach der Niederschlagung der Aufständischen floh Ratgeb, wurde jedoch denunziert, verhaftet, des Hochverrats angeklagt und 1525 oder 1526 in Pforzheim durch Vierteilung mit Pferden hingerichtet (vergleiche dazu auch ›Schlacht bei Böblingen‹ am 12. Mai 1515 und die ersten Schlachten bei Wunnenstein und zwischen Lauffen und Nordheim unter https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_bei_Böblingen).

Der zweite Teil der Ausstellung zeigt ausgewählte Gemälde aus dem 20. Jahrhundert, so den ›Zyklus Bauernkrieg‹ von Käthe Kollwitz, Lea Grundigs Sicht auf den für die Bluttat von Weinsberg vom 16. April 1525 mitverantwortlichen und am 21. Mai 1525 nahe Neckargartach bei lebendigem Leib verbrannten Bauernführer Jäcklein Rohrbach aus Böckingen (vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Jäcklein_Rohrbach), ihre Imagination der ebenfalls in Böckingen geborenen Schwarzen Hofmännin (vergleiche dazu Lea Grundig unter https://de.wikipedia.org/wiki/Lea_Grundig und Margarete Renner unter https://de.wikipedia.org/wiki/Margarete_Renner) und Luisa Richters  ›Hommage auf den Ratgeb-Altar‹ von 1970. Die 1906 in Dresden geborene Grundig war ab 1967 Mitglied des Zentralkomitees der SED. Ihre Arbeiten geben die Deutung des Bauernkriegs als Frühbürgerliche Revolution wieder (vergleiche dazu Lea Grundig unter https://de.wikipedia.org/wiki/Lea_Grundig). Die 1928 in Besigheim geborene und 2015 in Caracas verstorbene Luisa Richter könnte mit ihrer ›Hommage für den Ratgeb-Altar‹ für eine feministische Sicht auf den Bauernkrieg stehen (vergleiche dazu Luisa Richter unter https://de.wikipedia.org/wiki/Luisa_Richter). Zu den Arbeiten aus dem 20. Jahrhundert gehören weiter HAP Grieshabers Holzschnitt-Triptychon ›Ratgeb‹ von 1973, Alfred Hrdlickas Radierzyklus ›Bauernkrieg‹ von 1980 und Gunther Stillings Kohlezeichnungen ›Entwurf zu Jörg Ratgeb‹ von 1972 und 1973 und seine Bronze von 1972.

Hannah Cookes ›Spießrutenlauf‹ von 2024/25 leitet zu den zeitgenössischen Positionen über, die eigens für die Heilbronner Ausstellung geschaffen worden sind. Cooke vergrößert zwölf historische Speerspitzen, installiert sie in zwei Reihen und lädt zum Nacherleben des Spießrutenlauf ein, dem Graf von Helfenstein und andere Adelige am Ostermontag 1521 in Weinsberg nach der Erstürmung der Burg und der Stadt ausgesetzt waren. Die zwölf Speerspitzen nehmen die 12 Artikel der Bauernschaft und ihre Forderung nach Freiheit auf. Die in sie eingravierten Allegorien setzen sich mit unserem kapitalistischen System, absurden Protestformen und der Grundordnung unserer Gesellschaft auseinander (vergleiche dazu Hannah Cooke unter https://de.wikipedia.org/wiki/Hannah_Cooke und Weinsberger Bluttat unter https://de.wikipedia.org/wiki/Weinsberger_Bluttat).  Andreas Mayer-Brennenstuhl lässt mit seinem gevierteilten Traktor ›Fend-End‹ von 2024/25 die Bauernproteste vom 8. Januar 2024 und die Vierteilung von Jerg Ratgeb  wiederaufleben und Tatjana Stürmer thematisiert in ihrer überlebensgroßen Plastik ›Große Margarete‹ die oft übersehene Rolle der Frauen im Bauernkrieg. Schließlich stellt die von Bettina von Haaren und Wolfgang Folmer in zwei Wochen vor Ort auf eine Ausstellungswand gemalte Trümmerlandschaft die Zerstörungen sinnfällig vor Augen, die die Kriege und Konflikte in der Ukraine, im Gazastreifen und an 367 anderen Orten dieser Welt anrichten.

ham, 3. Februar 2025

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