Mrz 11

Künstlerbuch zur gleichnamigen Ausstellung vom 9. September bis 12. Dezember 2020 im Fluentum, Berlin, herausgegeben von Markus Hannebauer, Fluentum und Junia Thiede mit Texten von Robert Eikmeyer, Wenjie Sun, Junia Thiede und Annette Tietenberg

Kerber Art, Kerber Verlag, Bielefeld, 2021, ISBN 978-3-7356-0756-0, 184 Seiten, 140 farbige Abbildungen, Hardcover gebunden, Format 25 x 20 cm, € 38,00 / CHF 46,66

Über fehlende Aufmerksamkeit und mangelnde Anerkennung braucht sich der 1968 in Göttingen geborene, an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart lehrende und in Berlin lebende Konzept-, Film-, Video- und Performance-Künstler Christian Jankowski nicht mehr zu beklagen: Nach Studien in Hamburg, Stipendien unter anderem in Venedig, Los Angeles und der Villa Massimo, zahlreichen Preisen und ungezählten Einzel- und Gruppenausstellungen hat er 2016 die Manifesta 11 in Zürich kuratiert und wird von führenden Galerien vertreten (vergleiche dazu https://christianjankowski.com/contact/). Dabei hatte er anfänglich immer darauf gewartet, dass es mit der Kunst losgeht. „Christian erzählt mir von der Zeit, bevor es losging. Als er noch in Göttingen war und da Grafikdesign und Architektur studieren wollte. Von seiner Reise nach Brasilien und seinem Zivildienst … Dass er immer dachte, er müsse auf andere warten, die ihm sagen, dass es jetzt losgeht. Darauf, an der Kunsthochschule in Hamburg angenommen zu werden zum Beispiel. Weil das dann nicht geklappt hat, ist Christian einfach selbst los. Und dann hat es auf einmal geklappt. ›Es gab diesen Zeitpunkt, an dem ich gemerkt habe, dass es jetzt losgegangen ist. So 92/93 war das. Da in Hamburg, in dem Schaufenster in Altona. Da waren auf einmal alle da. Ich trug diesen Rehberger-Anzug und war auf einmal der große Zampano‹“ (Anna Gien, Scheitern mit Christian Jankowski. I’m the Über-Loser, Baby! In: https://www.monopol-magazin.de/im-ueber-loser-baby). „Das Scheitern ist für ihn irgendwo auf dem Weg nach oben zum Ursprungsmythos seiner Karriere geworden“ (Anna Gien a. a. O.).

Sein zu seiner Ausstellung im Fluentum, der Plattform für Produktion, Sammlung und Präsentation zeitgenössischer Kunst mit dem Schwerpunkt zeitbasierte Medien (vergleiche dazu https://translate.google.de/translate?hl=de&sl=en&u=https://www.fluentum.org/en/collection/&prev=search&pto=aue) erschienenes Künstlerbuch ›Sender an Receiver‹ greift den Titel der zur Ausstellung produzierten zentralen 1-Kanal-Videoinstallation, Farbvideo, Stereo-Audio 1920px x 1080px, 23’01″ auf. ›Sender and Receiver‹ spielt mit seinen Störungen der Übertragungswege durch alltägliche Engel auf Wim Wenders ›Himmel über Berlin‹ an. Jankowskis Engel sind mit Corona-Schutzkleidung, Latexhandschuhen, Visieren und Mund-Nasen-Masken statt mit Flügeln bewehrt und erinnern daran, dass Boten und Botschaften wie Medien mehrdeutige multidimensionale Konstrukte sind, in denen „Imaginäres und Reales, Gegenwärtiges und Vergangenen, Übernatürliches und Triviales, Verständliches und Unverständliches keine Gegensätze darstellen, sondern untrennbar miteinander verbunden sind“ (Annette Tietenberg S. 171). 

„Im Nachrichtenmagazin heute journal schwebte hinter dem Moderator Claus Kleber plötzlich ein verhüllter Busfahrer ein, der dem Anchorman nicht nur die Schau, sondern auch das Wort aus dem Mund stahl. Mit Hilfe einer zweiten Tonspur sprach Kleber ein, was sich der Busfahrer zuvor überlegt hatte. ›Aber man muss lernen, mit so etwas umzugehen, denn das gehört dazu. Man wächst daran. Ein echter Busfahrer lässt den Kopf nicht hängen …‹ … Im rbb fiel eine Ärztin im Schutzanzug der Direktorin des Jüdischen Museums ins Wort, die gerade über die neue Präsentation ihrer Schausammlung sprechen wollte, und ließ wissen: ›Die Verbindung zwischen Kunst und Krankheit besteht in der Krise‹. Und in der thailändischen Talkshow Z Story ermahnte eine Gestalt in weißem Schutzanzug die Zuschauenden, bloß gut aufeinander aufzupassen. Auch Gesundheitsminister Jens Spahn wurde zum Teil des künstlerischen Projekts, indem er für die Sendung Die richtigen Fragen stellen von Bild TV per Voiceover die Aussage einer Alltagshelferin einsprach, die während seines Auftritts im Hintergrund gespenstisch gestikulierte: ›Und ich finde die Erwartungshaltung an mich da sehr oft über alle Maßen hoch‹“ (Annette Tietenberg S. 170 f.; vergleiche dazu https://christianjankowski.com/sender-and-receiver/ und die Bilderfolge aus der 1-Kanal-Videoinstallation, Farbvideo, Stereo-Audio 1920px x 1080px, 23’01“, die unter dem Stichwort „Sammlung“ bei „Christian Jankowski, 2020, Sender und Empfänger“ zu finden ist: https://translate.google.de/translate?hl=de&sl=en&u=https://www.fluentum.org/en/collection/&prev=search&pto=aue). 

Weitere Kapitel des Künstlerbuches dokumentieren frühe Arbeiten Jankowskis wie die 4-Kanal Video-Installation „Zöllner Singen“ (vergleiche dazu https://christianjankowski.com/works/1999-2/zollner-singen-singing-customs-officers/) und „Blutsbrüder“ (vergleiche dazu https://christianjankowski.com/works/1999-2/blutsbruder-blood-brothers/) von 1999, das 1-Kanal-Video „Cleaning up the Studio“ von 2010 (vergleiche dazu https://christianjankowski.com/works/2010-2/cleaning-up-the-studio/) und neuere Arbeiten wie die Installationen „Everyday Tasks – Sphere of the Gods“ (vergleiche dazu https://christianjankowski.com/everyday-tasks-sphere-of-the-gods/) und „Global Membership“ von 2019 (vergleiche dazu https://christianjankowski.com/global-membership/).

Für Junia Thiede stellt der sich zwischen Sender und Empfänger schiebende Dritte „einen wesentlichen Grundzug in der künstlerischen Praxis von Jankowski dar. Seit den 1990er Jahren bildet das Einspeisen in mediale Kontexte und in sich geschlossene Systeme durch Performances und Mimikry-artige Interventionen den roten Faden … Nicht selten vollzieht der Künstler dabei einen grenzgängerischen Akt zwischen den Sphären der Kunst und der Medien sowie damit weitergefassten sozialen Strukturen. Jankowski eignet sich zunächst die Logiken der jeweils ausgewählten Domäne wie auch ihre gewohnten Vorgänge und Handlungsmuster an, um sie daraufhin gezielt zu unterwandern. Dies führt nicht selten zu Selbstläufern mit ungewissem Ausgang und eigenmächtiger Semantik … In den Ausstellungsräumen von Fluentum wurde diesem Schlüsselmoment aus Jankowskis künstlerischem Schaffen durch eine Auswahl an neuen und bisher nur selten gezeigten früheren Werken nachgegangen“ (Junia Thiede S. 163). Die Arbeiten, die sich zwischen Video, Installation, Fotografie und Skulptur bewegen, fragen letztlich nach der nicht aufzuhebenden Vieldeutigkeit der Medien und ihrer Botschaften und stellen damit Marshall Mc Luhans Kürzel „The medium is the mes-sage“ auf eine harte Probe.

ham, 10. März 2021

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