Publikation zur gleichnamigen Ausstellung vom 16.5. –15.6.2020 im Kunstverein Heppenheim, herausgegeben von Uwe Emig mit einem Gespräch zwischen Andreas Breunig und Henning Strassburger
Kerber Art im Kerber Verlag, Bielefeld, 2020, ISBN 978-3-7356-0715-7. 64 Seiten, 57 farbige Abbildungen, Softcover, Format 29 x 21,5 cm, € 24,00 / CHF 29,47
Die Erfindung der Fotografie hat im 19. Jahrhundert bei Künstlern erhebliche Existenzängste ausgelöst, weil sie durch das neue Medium das Bildmonopol verloren haben. Dem französischen Historienmaler Paul Delaroche (1797 – 1856) wird der Satz zugeschrieben: «À partir d’aujourd’hui la peinture est morte.»: „Von heute an ist die Malerei tot.“ Tatsächlich war er als Historienmaler von der Fotografie aber nicht betroffen, denn Fotografien konnten die Historienbilder nicht ersetzen. Dagegen verloren die Porträtmaler ihre Aufträge und die Porträtkunst ihren elitären Charakter. Plötzlich konnte sich jeder zu erschwinglichen Preisen porträtieren lassen. Aber es gibt auch gute Argumente für die These, dass die Fotografie zum Humus wird, auf dem die moderne Kunst groß geworden ist (vergleiche dazu Ulrike Wollenhaupt-Schmidt, Wechselwirkungen – Der Einfluss der Fotografie auf die bildende Kunst. In: https://www2.uni-erfurt.de/wollhaupt/sharedPdfs/Wechselbeziehungen.pdf. Und: Hans-Dieter Fronz, Wie Fotos die Malerei verändert haben. In: https://www.suedkurier.de/ueberregional/kultur/Wie-Fotos-die-Malerei-veraendert-haben;art10399,10122815)
Mit dem Aufkommen des Internets, der neuen Medien und der Medienkunst hat sich die Fragestellung noch einmal verschärft. Heute werden täglich allein auf Instagram 80 Millionen Fotos hochgeladen. Was soll dann noch die Malerei? Man kann sich weiter verunsichern lassen. Man kann aber auch wie der 1983 in Meißen geborene Henning Strassburger mit malerischen Mitteln zeigen, was auf medialen Oberflächen passiert und wie Oberflächen unsere Wahrnehmung beeinflussen. „Man sieht heute nicht mehr unschuldig, also kann ich das als Maler auch nicht“ (Henning Strassburger nach Christian Malycha. Vergleiche dazu https://cfa-berlin.de/exhibitions/29379/die-unschuldigen/about/). Im Kunstverein Heppenheim zeigt er auf der Oberfläche seiner Splash-Serie von 2018 Wirklichkeitsfragmente wie das Dollar-Symbol, das Kürzel MOM, einen BKS-Schlüssel, die Worte ›Safety first‹ und Spritzer, die aus einem Sprung in einen Swimmingpool stammen könnten. Die Wirklichkeitsfragmente und die Spritzer sind für Strassburger real, weil er sie ins Bild gesetzt hat und sie jetzt im Bild existieren (vergleiche dazu https://www.sieshoeke.com/de/exhibitions/henning-strassburger-part-ii-kunstverein-heppenheim-2020). Zum anderen zeigt er aus Fehldrucken aus dem Umraum seiner Ausstellung „Karma Mansion“ in London entstandene Papierschnitte, die in Heppenheim zu malerischen Objekten werden. Ob das Corona-Virus und die Worte ›Viren‹, ›Crash‹ und ›Terror‹, die im Bildausschnitt auf der Doppelseite 49 und 50 des Katalogs zu sehen sind, in Heppenheim ausgestellt worden sind, bleibt im Katalog offen. Aber es legt sich nahe.
Splash III, 2018, 200 x 150 m, Öl auf Leinwand ist mit einem blauen quadratischen Muster, Splash IV, 2018, 200 x 150 cm, Öl auf Leinwand mit einem grünen quadratischen Muster, Splash VI, 2018, 200 x 150 cm, Öl auf Leinwand mit einem roten quadratischen Muster übermalt. Die Quadrate signalisieren Ordnung und Berechenbarkeit, die gegenwärtig verloren scheinen. Die in Malerei überführten Papierschnitte zeigen blaue Kacheln, wetterfeste Stühle und Pflanzen, die zu einem Swimmingpool gehören könnten. Die Splash-Serie und die Papierschnitte stehen an Paneelen im Raum. Die Spritzer und die Wirklichkeitsfragmente sind lasierend auf den Bildoberflächen aufgetragen; man kann deshalb nichts mehr korrigieren. Der Maler kann sich nicht mehr verstecken und muss für alles, was er gemacht hat, geradestehen. Analoges gilt auch für seine Papierschnitte, deren Material er nur einmal zuschneiden und aufkleben kann. „Hosen-Runter-Malerei“ nennt Strassburger diesen Ansatz (vergleiche dazu und zum Motiv der Spritzer, des Quadrates und des Pools Sebastian Frenzel, Henning Strassbugers Bilder verbreiten Fake News, die uns zurufen: Schaut verdammt nochmal genauer hin! Ein Atelierbesuch. In: https://www.monopol-magazin.de/ein-paar-gemeinheiten-muessen-sein?slide=1).
„Ich habe das Gefühl“, so Strassburger, „ dass ich die ganze Zeit immer dachte, der ›Gegner‹ oder die ›Lösung‹ ist das Umfeld vom Bild. Nun stelle ich aber mehr und mehr fest, dass das vielleicht nicht stimmt und sich tatsächlich alles im Rechteck abspielt … Irgendwo ist man halt manchmal so getrieben davon, mithalten zu wollen. Aber als Maler ist man immer gleich hip oder out. Die Grundbedingungen von Malerei ändern sich ja nicht. Das muss man einfach akzeptieren irgendwann“ (Henning Strassburger S. 13 f.). In seiner Inszenierung in Heppenheim sind seine gemalten Bilder, seine aus dem Umraum seiner London Ausstellung collagierten Papierschnitte und der Umraum gleichrangig zusammengekommen. Und in seinem Künstlerbuch die Bilder, die Papierschnitte und der Umraum in einem Präsentationspaneel, das diverse Bildmedien vorstellt und mit ihnen spielt. Mehr geht eigentlich nicht.
ham, 25. Januar 2021