Wir behandeln die Falschen

Eine heitere Seelenkunde. Auf dem neuesten Stand der Forschung

Kösel-Verlag, München, ISBN 978-3-466-37268-3, 204 Seiten, Hardcover gebunden mit Schutzumschlag, Format 22 x 14,5 cm, € 20,00 (D) / € 20,60 / CHF 28,90

Manfred Lütz ist mit Publikationen wie „Gott! Eine kleine Geschichte des Größten“ (2007)  und seinem 2009 in erster Auflage erschienen Bestseller „Irre! Wir behandeln die Falschen“ einem breiten Publikum bekannt geworden. Die jetzt in dritter Auflage unter dem Titel „Neue Irre!“ erschienenVeröffentlichung des 1954 in Bonn geborene Psychiaters, Psychotherapeuten, Kabarettisten, katholischen Theologen und Vatikanberaters ist völlig überarbeitet. Sie unterscheidet sich von der ersten Auflage unter anderem darin, dass er seine Beispiele für den alltäglich gelebten Irrsinn nicht mehr in der Vergangenheit und bei historischen Persönlichkeiten suchen muss, sondern bei Politikern wie Donald Trump, Jair Bolsonaro und Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un findet. Seine Darstellung der Diagnosen und Therapien seelischer Erkrankungen ist auf den aktuellen Stand der Forschung gebracht. Er kann deshalb forschungsbasiert davon sprechen, dass die meisten psychischen Erkrankungen heilbar sind und niemand mehr Depressionen oder andere belastende Erkrankungen über Monate oder Jahre mit sich herumschleppen muss. Lützens „Heitere Seelenkunde“ fasst alles, was man über psychische Erkrankungen wissen muss, emphatisch und gut verständlich auf 200 Seiten zusammen und ermöglicht so einen leicht lesbaren Überblick nicht nur für Erkrankte und ihre Angehörigen.

Lütz geht wie der Narzissmusforscher Otto Kernberg davon aus, dass Trump kein Narzisst ist. Narzissmus ist eine frühe Störung, nach der sich Menschen im Kern ihrer Person nicht wirklich angenommen fühlen. „Sie sind hochgradig kränkbar und interessieren sich eigentlich nur für sich selbst. Beinahe süchtig suchen sie ihr ganzes Leben lang nach Liebe und Zuwendung, ohne dass die viele Liebe und Zuwendung, die sie sich erzwingen, jemals reicht“ (Manfred Lütz S. 189). Donald Trump leidet aber nicht an mangelnder Zuwendung; er hat mehr Freunde als genug. Er war vor seiner Corona-Erkrankung nicht krank, „sondern viel schlimmer: Er ist ein komplett unmoralischer Mensch. Er hat von seinem Vater gelernt, dass das Wichtigste im Leben ist: Geld, Erfolg und Der-Größte sein – und dafür darf man rücksichtslos alles tun. Ich halte diesen Mann für gefährlich … Ich glaube, er ist nicht sehr intelligent. Er ist ja kaum in der Lage, mehr als ein DIN-A-4-Blatt am Stück zu lesen. Aber er ist schlau, durchtrieben, hat so eine Art Killerinstinkt, mit dem er die Schwachstellen seiner Gegner entdeckt und dann gnadenlos ausschlachtet“ (Manfred Lütz in der Augsburger Allgemeinen vom 13.9.2020 vergleiche dazu 

https://www.augsburger-allgemeine.de/kultur/Psychiater-Manfred-Luetz-Donald-Trump-ist-nicht-krank-sondern-viel-schlimmer-id58108301.html).

Diagnosen sind nach Lütz Worte, „die Psychiater erfunden haben, um … leidenden Menschen kompetent zu helfen. Diagnosen sind Hinweise auf die richtige Therapie. Man kann die Diagnosen also getrost vergessen, wenn man mit … Menschen zu tun hat, die unter psychischen Störungen leiden. Es gibt nämlich nicht den Schizophrenen, den Depressiven, den Süchtigen. Es sind vielmehr alles ganz unterschiedliche beeindruckende Menschen, die zeitweilig oder länderdauernd unter bestimmten außergewöhnlichen Erscheinungen leiden. Und jeder auf eine ganz andere persönliche Weise. Diagnosen können also nicht beanspruchen, Wahrheiten zu sein. Es sind mehr oder weniger nützliche Beschreibungen von Phänomenen“ (Manfred Lütz S, 40 f.). Jeder Mensch hat seine Eigenheiten und Auffälligkeiten und auch extreme Menschen haben im Zweifel als normal zu gelten. „Nicht jeder, der etwas unausgeglichen und impulsiv ist, hat gleich eine Borderline-Störung, nicht jeder, der sich hinreißend auf einer Bühne präsentiert, ist gleich ›hysterisch‹ oder ›histrionisch‹, nicht jeder der sorgfältig ein Archiv leitet, ist gleich zwanghaft ›anankastisch‹. Doch wir wissen eben auch, dass es bei all diesen farbigen Eigenschaften von Menschen schrille Übertreibungen gibt, so schrill, dass es wehtut, dass der Mensch selbst oder seine Umgebung darunter leidet. Und erst wenn wirkliches Leiden auftritt, dann ist Therapie gefragt und infolgedessen muss man diagnostizieren“ (Manfred Lütz S. 189 f.)

In seinem Schlusskapitel fragt Lütz noch einmal, ob wir wirklich die Falschen behandeln. Er antwortet: „Ja und Nein. Es ist ein Glück, dass psychisch Kranken in unserer Gesellschaft heute viele gute Behandlungsmethoden zur Verfügung stehen. Und das ist gut so. Wenn aber mit Behandlung nicht bloß Therapie gemeint ist, dann verdienen in der Tat die vielen Normalen eine aufmerksamere Behandlung als die wenigen Kranken. Man sollte sich einfach nicht mehr alles bieten lassen. Mit dem Stimmzettel und mit Satire kann man sie erfolgreich in die Schranken weisen, die wahnsinnig und blödsinnig Normalen. Vielleicht nimmt dann der ganz normale Wahnsinn und der ganz normale Blödsinn ein bisschen ab – und die Vielfalt der Außergewöhnlichen bringt wieder mehr Farbe und mehr Lust am Leben in der Welt“ (Manfred Lütz S. 196).

ham 5. Oktober 2020

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