Kösel-Verlag, München, 2021, ISBN 978-3-466-37275-1, 206 Seiten, Hardcover, mit Schutzumschlag, Format 22 x 14,5 cm, € 20,00 / € 20,60 (A) / CHF 27,90

Laut einer vom IFD Allensbach im Jahr 2019 durchgeführten Umfrage erwarteten 79 Prozent der Befragten, dass in zehn Jahren die soziale Ungleichheit weiter steigen wird und dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Rund 49 erwarteten, dass Traditionen weniger wichtig werden und rund 39 Prozent der Studien-TeilnehmerInnen gingen davon aus, dass die Rolle der Frau in zehn Jahren in der Gesellschaft gestärkt sein wird. Die Befragten wurden darüber hinaus gefragt, wie sie sich die Gesellschaft in Zukunft wünschen würden: Die meisten Studien-TeilnehmerInnen sprachen sich für weniger Egoismus und mehr Hilfsbereitschaft untereinander aus (vergleiche dazu https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1175424/umfrage/zukunftserwartungen-fuer-deutschland/). 

Zwar konnte und kann niemand voraussagen, was auf uns zukommt. Aber das hindert Befragte nicht daran, in die Zukunft zu schauen. Zukunftsforscher machen Megatrends aus und auf ihrer Grundlage Vorschläge für  eine passgenaue Angleichung zukunftsrelevanter Entscheidungen an zu erwartende Entwicklungen (vergleiche dazu https://www.zukunftsinstitut.de/). Im Dezember 2023 hat das Zukunftsinstitut Sicherheit, Silver Society, Urbanisierung, Wissenskultur, Individualisierung, Gender Shift, Neo-Ökologie, Gesundheit, Mobilität, Globalisierung, New Work und Konnektivität zu Megatrends ausgerufen und Megatrends so beschrieben: 

Megatrends haben die Dauer von mindestens mehreren Jahrzehnten. Sie zeigen Auswirkungen in allen gesellschaftlichen Bereichen, in der Ökonomie, im Konsum, im Wertewandel, im Zusammenleben der Menschen, in den Medien, im politischen System etc. Sie sind globale Phänomene, vielschichtig, mehrdimensional und erzeugen ihre Dynamik und ihren evolutionären Druck auch und gerade durch ihre Wechselwirkung. „Megatrends benennen und beschreiben extrem komplexe Veränderungsdynamiken und sind ein Modell für den Wandel der Welt: eine Methode, die hilft, die hochkomplexen und vielfältigen Veränderungsdynamiken der Gesellschaft im 21. Jahrhundert verständlich und greifbar zu machen. Indem sie Komplexität auf ein begreifbares Level reduzieren, erweisen sich Megatrends als wertvolle Navigationshilfen durch den Dschungel gegenwärtiger und künftiger Wandlungsdynamiken“. (Die Megatrends. In: https://www.zukunftsinstitut.de/blog-megatrends?utm_term=deutsches zukunftsinstitut&utm_campaign=Brand+|+Zukunftsinstitut+(Search)&utm_source=adwords&utm_medium=ppc&hsa_acc=9538789204&hsa_cam=250515135&hsa_grp=35537863810&hsa_ad

=331974673087&hsa_src=g&hsa_tgt=kwd-2191017052318&hsa_kw=deutsches zukunftsinstitut&hsa_mt=p&hsa_net=adwords&hsa_ver=3&gad_source=1&gclid=EAIaIQobChMIosXCisu5hAMVEzoGAB27JAQZEAA

YASABEgLyRvD_BwE). 

Der Jurist, Politikwissenschaftler, Gründer der Denkfabrik Institut für Zukunftspolitik und Leiter des Berliner Büros des Zukunftsinstituts Daniel Dettling erinnert in seiner Publikation ›Eine bessere Zukunft ist möglich‹ an das Buch des Mitbegründers der Futurologie Ossip Karl Flechtheim ›Ist die Zukunft noch zu retten?‹ und die dort beschriebenen Megakrisen Rüstungswettlauf und Krieg, Bevölkerungsexplosion und Hunger, Bedrohung und Zerstörung der Umwelt, Wirtschaftskrise und Überplanung, Demokratiedefizite und Repression, Kulturkrise und Krise der Familie und den Identitätsverlust des Individuums. Er geht davon aus, dass diese Krisen weiter relevant bleiben und er macht trotzdem aus dem Fragezeichen in Flechtheims Buchtitel ein Ausrufungszeichen, weil er darauf wettet, dass die Zukunft besser wird. Nun mag man Wetten mögen oder auch nicht und man kann auch auf bessere Zeiten hoffen. Aber man hat die Zukunft nicht in der Hand. Das hält Dettling aber nicht davon ab, zu prognostizieren, dass unsere Welt immer besser wird. 

„Lassen wir uns von der Lust am Untergang nicht verrückt machen. Hans Rosling setzt in seinem wunderbaren Buch Factfulness auf einen mutigen Possibilismus: Wir könnten die Welt so sehr verändern, wie wir frei sind, wenn wir den Umgang mit scheinbar paradoxen Trends lernen. Meine Wette: Bis zum Jahr 2050 werden wir den Hunger besiegt, die Armut weitgehend reduziert und den Klimawandel beherrschbar gemacht haben. Die Welt wird sicherer, freier und demokratischer“ (Daniel Dettling S. 20; zu Hans Rosling vergleiche https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Rosling). 

Wie das möglich ist, erläutert Dettling in fünf Thesen:

Erstens: Die Weltbevölkerung wird älter und dennoch fühlen wir uns immer jünger (Kapitel 1). Das liegt unter anderem am medizinischen Fortschritt, der gestiegenen Lebenserwartung und am Wertewandel, der das Thema Lebensqualität in den Mittelpunkt rückt. 

Zweitens: Die Welt wird friedlicher, auch wenn unser Gefühl von Kontrollverlust zunimmt (Kapitel 2). Das liegt daran, dass die Welt immer mehr zum Dorf wird und aus fernen Ländern Nachbarn werden.

Drittens: Die Welt wird wohlhabender. Damit wachsen globaler Wohlstand und Migration (Kapitel 3). Aus einer umweltzerstörenden Wirtschaft wird eine ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft; aus Flüchtlingen werden Touristen und Fachkräfte.

Viertens: Die Klimakatastrophe findet nicht statt. Ökonomie und Ökologie werden versöhnt (Kapitel 4). 

Fünftens: Die Zahl der Demokratien wird trotz Populismus und Protektionismus steigen, weil liberale Systeme widerstandsfähiger und innovativer als autoritäre Systeme sind (Kapitel 5).

Ich gestehe, dass ich Dettlings Wette gerne eingehen und mir wünschen würde, dass er mit seinen fünf Thesen  recht hat. Aber der Angriff auf die Twin-Towers am 11. September 2001, die völkerrechtswidrige Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland im Frühjahr 2014, die Invasion russischer Truppen am 24. Februar 2022 in die Ukraine und Russlands Angriffskrieg, der Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober mit rund 1200 Toten, die circa 29 029 Toten im Gazastreifen durch die Gegenschläge des israelitischen Militärs gegen die Hamas (vergleiche dazu https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1417316/umfrage/opferzahlen-im-terrorkrieg-der-hamas-gegen-israel/) und die derzeit weiteren rund 360 Kriege und Krisen sprechen in aller Deutlichkeit gegen These zwei. Und wie es mit den Demokratien weitergeht, ist zumindest offen. 

Nach dem aktuellen Demokratieindex von 2023 gibt es unter 167 Nationen nur 24 vollständige und 48 unvollständige Demokratien; dazu kommen 36 hybride und 59 autoritäre Regime (vergleiche dazu den Demokratieindex. In: https://de.wikipedia.org/wiki/Demokratieindex_(The_Economist)). Zwar hat sich die Zahl der Demokratien 2023 durch das Hinzukommen von Paraguay und Papua-Neuguinea erhöht, aber der Zustand der Demokratie hat sich durch gewaltsame Konflikte in Nicht-Demokratien verschlechtert. Hybride Regime haben sich schwergetan, sich weiter zu demokratisieren. Und weltweit leben zwar gute 45 Prozent in demokratischen Staaten, doch nur 7,8 Prozent in vollständigen Demokratien. Ein Drittel der Weltbevölkerung wird autoritär regiert. 

Auch die von Dettling prognostizierte Versöhnung von Ökonomie und Ökologie erscheint fraglich. Sie würde nicht weniger als die Abschaffung des konsumtiven Ressourcenverbrauchs, die Einpreisung der globalen CO₂-Kosten in alle Güter, soziale Kompensationsmechanismen zum Ausgleich für dann zu erwartende Preissteigerungen, massive staatliche Eingriffe in die Wirtschaft und letztlich die Abschaffung des kapitalistischen Konkurrenzmarktes erfordern (vergleiche dazu die Rezension von Arndt Hopfman zu Heiner Flassbeck, Der begrenzte Planet und die unbegrenzte Wirtschaft. Lassen sich Ökonomie und Ökologie versöhnen? Frankfurt/M.: Westend Verlag 2020 in https://elibrary.utb.de/doi/pdf/10.3224/peripherie.v41i1.12). Darauf werden wir aber wohl länger als bis zum Jahr 2050 warten müssen.

ham, 20. Februar 2024

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