Aus dem Niederländischen von Anna Carstens und Angela Wicharz-Lindner

Verlag Antje Kunstmann, München 2015, ISBN 978-3-95614-062-4, 304 Seiten, Hardcover gebunden mit Lesebändchen, Format 21,4 x 14,3 cm, € 20.60

Nach 2. Mose 2,1-10 gilt der in Ägypten geborene Mose als Religionsstifter und Gesetzgeber am Sinai (2. Mose 3 f., 19 – 4. Mose 10), Begründer der Gerichtsordnung (2. Mose 18) und Führer des Volkes in Ägypten und beim Exodus (2. Mose 2; 5 – 15) bis in das Land Moab (2. Mose 16 f.; 4. Mose 10 – 5. Mose 34). Vor seinem Tod soll er die Tora verschriftlicht und das verheißene Land gesehen haben (5. Mose 32, 48 – 52; 34,1-8). Den Einzug ins Land Kanaa und die Landnahme soll Josua (Josua 1, 1-9) vorangetrieben haben und den Kleinkrieg gegen die übrig gebliebenen Könige, Stadtstaaten, Kanaaniter, Midianiter, Ephraimiter und Philister charismatische Richtergestalten wie Gideon und Simson (Richter 1 – 21). Wer sich nicht dem Vorwurf des Zirkelschlusses aussetzen will, wird es vermeiden, von den Mose-Büchern auf den historischen Mose zu schließen und auf ägyptische Quellen zurückgreifen. „Ägyptische Inschriften des 14./13. Jahrhunderts sprechen von Jhw-Beduinen südlich des Toten Meeres in Edom. Hier lokalisiert das alte Deboralied die Herkunft JHWHs (Richter 5,4). Der älteste Kern der Mose-Erzählungen in Exodus 2,15-22
lokalisiert Mose in diesem Gebiet, so dass er historisch mit dem Ursprung der JHWH-Religion in der Wüste südlich Palästinas zu verbinden ist. Die Leviten führten sich im Kulturland auf Mose als Ahnvater zurück […], was Hinweis auf eine priesterliche Funktion des Mose bei der Übernahme der JHWH-Religion durch die Protoisraeliten sein kann […]. Die Karriere des Mose als literarische Gestalt beginnt im 7. Jahrhundert und läßt ihn in babylonischer und persischer Zeit zur Zentralgestalt des Pentateuch werden“ (Eckart Otto, Mose. In: RGG, vierte Auflage Band 5 L – M, Tübingen 2002 Sp. 1534 – 38).

Der 1942 in Amsterdam geborene Schriftsteller Guus Kuijer knüpft im zweiten Band seiner Bibel für Ungläubige im weiteren Sinn an diese Tradition an, wenn er die Pharaonentochter Thermutis das Leben des Mose von seiner Auffindung in einem Bastkörbchen im Schilf des Nils bis zu seinem Tod nacherzählen lässt. Kuijer stellt Thermutis als gläubige Ägypterin vor, die Mose bei ihrer Morgentoilette im Nil findet, ihn adoptiert und im Kontakt mit seiner leiblichen Mutter zum JHWH-Glauben konvertiert. Sie bedient sich ein Leben lang im Kantischen Sinne ihres eigenen Verstandes und findet rationale Erklärungen für den sich rot färbenden Nil, die sich zurück ziehenden Wassermassen beim Durchgang durch das Schilfmeer und andere von Mose bewirkte Wunder. Den sich rot färbenden Nil führt sie auf das Blut von Ermordeten zurück und das sich teilende Schilfmeer auf einen Sandsturm. „Wir standen vor dem nördlichsten Punkt des Schilfmeers, dort, wo es normalerweise durchwatet werden konnte, als Schreckensschreie ertönten. Ich konnte das Meer zwar noch nicht sehen, aber es ging das Gerücht, man könne es keineswegs zu Fuß durchqueren, und die hinter uns aufwirbelnde Staubwolke verriet uns, dass der Pharao mit seinem Heer die Verfolgung aufgenommen hatte. Panik brach aus […]. Doch Mose vertraute felsenfest auf das Eingreifen Gottes […]. Da erhob sich unvermittelt ein Sturm. Meistens kann man ja sehen, wenn das Wetter umschlägt, doch dieser Sturm kam aus dem Nichts, weshalb wir vermuteten, dass Gott selbst aus der Tiefe der Wüste mächtig blies
[…] (U)m die Mittagszeit wurde uns zugebrüllt, das Schilfmeer habe sich geöffnet, es gäbe einen Weg hindurch und die Spitze des Zuges habe bereits die andere Seite erreicht […]. Da hörte ich mich ausrufen: »Gott sei gelobt!« Es war das erste Mal, dass ich wirklich und von Herzen seine Tochter sein wollte.“ (Guus Kuijer S. 120 ff.).

Der ihr unerträglichen Vorstellung, dass der Gott Israels die Ermordung derer befohlen habe, die das Goldene Kalb angebetet hatten, setzt die inzwischen mit dem Rebellen Mered verheiratete und jetzt Bitja genannte vormalige Pharaonentochter ihren Verstand und ihre Liebe zu ihrem Mann entgegen. Sie stellt sich auf seine Seite, als er Mose zur Rede stellt: „»Ich habe im Auftrag Gottes gehandelt«, sagte Moshe. »Das bezweifle ich«, sagte Mered. »Das bezweifelst du?«, fragte Moshe. »Willst du damit sagen dass ich lüge?« »Damit will ich sagen, dass du meiner Meinung nach Gottes Namen missbrauchst, um dein Verbrechen zu rechtfertigen. In deinem Jähzorn hast du einfach den Kopf verloren« […] Mose schaute mich an. »Und ihr, Mutter Bitja« , fragte er. »Habt ihr noch etwas zu sagen?« »Ich folge meinem Mann«, sagte ich. »In allem?«, fragte er. Ich zögerte kurz. »In allem«, sagte ich dann“ (Guus Kuiper S. 145). Nach ihrem Tod übernimmt Mered Bitjas Rolle und wird zum Gegenspieler Josuas. In der Nacherzählung ausgewählter Erzählungen aus dem Buch Richter schlüpft Jael, die den kanaanitischen Feldherrn Sisera in ihrem Zelt mit einem Zeltpflock erschlug, in die Rolle der Skeptikerin: „Nun, da ich bald ins Totenreich hinabsteigen werde und für immer von Gott und den Menschen Abschied nehmen muss, wage ich es, einige Fragen zu stellen, die
möglicherweise ungebührlich sind. Deshalb bitte ich meinen Gott schon im Voraus um Vergebung. In all den Hunderten von Jahren meines Lebens hat Israel wenig Ruhe erlebt. Du hast es mit grausamen Unterdrückern bestraft, mit Befreiungskriegen hast du ihm geholfen, aber es lebt noch immer inmitten seiner Feinde. Meine Frage lautet nun: Wenn es nicht möglich ist, die anderen Völker aus diesem Land zu vertreiben, wäre es dann nicht besser, friedlich mit ihnen zusammen zu leben? Oder soll dieser Krieg ewig dauern? Wenn dies das von dir verheißene Land ist, wieso verjagst du dann nicht selbst die anderen Götter, die hier leben? Oder – sollte das nicht möglich sein – schließt Frieden mit ihnen, so dass die Menschen endlich Ruhe finden und sich der Liebe widmen können, einem einfachen Leben.

Wozu sind wir auf der Welt ? Um uns gegenseitig zu hassen und unseren eigenen Gott damit zu ehren? […] Durch das Morden und Töten, alle erdenklichen und unvorstellbaren Grausamkeiten, die ich erlebte, wuchs in mir die giftige Pflanze des Abscheus. Das Vergnügen, mit dem ich als Kind das Leben begann, ist im Laufe der Jahre verwelkt. Geblieben ist nichts als Verbitterung. Ich, Jael, die um deinetwillen meinem Geliebten einen Zeltpflock durch den Schädel schlug, weil er der Feind war, bitte dich um Frieden für Israel“ (Guus Kuijer S. 301).

ham, 15.1.2016

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