Mit Fotografien, Texten und Gedichten von Peter Riek und einem Gespräch des Künstlers mit Ruth Sachse

Verlag Alte Uni, 2021, ISBN 9-783926-315618, 132 Seite, zahlreiche Abbildungen, Hardcover,

Format 24,5, x 17,5 cm, € 18,00

„Drinnen“ zeichnet Peter Riek mit schwarzer Kreide auf weißem Papier, „draußen“ entstehen seit 1988 Zeichnungen mit weißer Tafelkreide auf Asphalt (vergleiche zur Person und zum Werk https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Riek und Marc Gundel, Peter Riek. In: http://www.peter-riek.de/wp-content/uploads/2020/03/marc-gundel.pdf). Seine Straßenzeichnungen sind Wind und Wetter ausgesetzt und bald wieder verschwunden. Fotografisch dokumentiert werden sie zum Ausgangsmaterial für Siebdrucke auf Bütten, Leinwand, Metall, Faserzement, gestrickten Decken und raumbezogenen Installationen. Einige seiner 2001 bei seiner ersten Kunstreise zu Grünewalds Isenheimer Altar entstandenen Straßenzeichnungen sind in dem Katalog ›en route‹ dokumentiert. Riek ist damals zu Fuß von Heilbronn nach Colmar gewandert. Sein knapp zwanzig Jahre später in Zeiten der Pandemie und der Aar-Tal-Katastrophe entstandener Katalog ›Atlas‹ versammelt Zeichnungen, die zwischen 2018 und 2021 auf Fahrrad-Reisen nach Barbizon, Hamburg, Lindau und Berlin entstanden sind.

Die kürzeste Reise führte von seinem Geburtsort Heilbronn nach Lindau. Auf 290 Kilometern Fahrradweg entstanden fünf Straßenzeichnungen und fünf Gedichte, darunter das Gedicht ›Death‹: 

„HABE KEIN PFERD

HABE KEIN LAND 

BIN NICHT KATHOLISCH / 

OSTERRITT / WARUM

FORT MIT MIR

VON HIER / WO ICH GEBOREN

UND BEINAHE AUCH GESTORBEN /

AN DEN SEE / IN DIE EINSIEDELEI /

EINGERICHTET ZUR FEIER DES

NEU GESCHENKTEN LEBENS

BIEDERMEIER UND BIENENSTICH

SCHWER LASTEND UND STILL /

SO VIEL GÄBE ES ZU TUN /

STEHE NICHT ZUR VERFÜGUNG /

ZEIT AUFZUBRECHEN“

Auf der 1100 km langen Reise von Lindau nach Hamburg entstanden 50 Zeichnungen. Im Gespräch mit Ruth Sachse erklärt Riek, dass die Zeichnungen seine Möglichkeit sind, die Welt wahrzunehmen. Beim Übertragen der fotografierten Straßenzeichnungen auf die Bildträger passieren „interessante Dinge. Zum einen werden die hellen Einsprengsel im Asphalt so hell wie die Kreide und das führt dazu, dass der Druck oft wie ein Sternenhimmel wirkt, dabei ist er ja gerade das Gegenteil. Es ist ein Blick nach unten auf die Straße. Zum anderen kann man so die eigentliche Zeichnung auch auf diesem Weg nicht mitnehmen, denn Drucken kann man nur das, was nicht Zeichnung ist. Da wo der Kreidestrich ist, entsteht eine Leerstelle, wo man nur das Papier sieht. Durch die Übersetzung bekommt die Zeichnung ihre originale Präsenz, ihre Sinnlichkeit zurück und außerdem kann auch ich sie beim Druck, zumindest im allerersten Moment, neu sehen und beurteilen“ (Peter Riek S. 52).

Der Tour von Heilbronn nach Barbizon sind neben knappen Tagesnotizen sechs „Artikel“ zum Reisen und Zeichnen zugeordnet. Nach Artikel 1 gehört die Straße jedermann. Sie „ist nur eine einzelne Linie einer größeren Zeichnung. Der Asphalt nur dünne Haut über dem Gestein und den Erdschichten. Hier wird unsere Geschichte erzählt und geborgen. Geomorphologisch und archäologisch. Die Straße ist überall. Die Verbindung zweier Punkte durch eine gerade Linie ist eine Idee ohne Landschaft. Die Straße ist die Wirklichkeit“ (Peter Riek S. 16). Nach Artikel 6 ist die Zeichnung Gegenwart: „Stille Unorte sind dein Atelier. Sackgassen und Parkplätze deine Leinwand. Du entdeckst Ort und Raum für die Zeichnung. Du gehst in die Knie, erwartest den Moment. Du weißt nichts. Aber du erkennst das Abenteuer. Die Kreide zerfällt zwischen den Fingern. Es gibt nur das Jetzt. Schon beginnt der Wind die Zeichnung auszulöschen. Bald wird alles verschwunden sein. Gerade so wie Du“ (Peter Riek S. 16).

Jeder Buchliebhaber wird dem existentiell aufrüttelnden, anspruchsvoll komponierten, und aufwendig gedruckten Band einen Ehrenplatz einräumen.

ham, 10. Dezember 2021

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