Ein Gespräch mit Michael Albus. Mit einem Essay von Arnold Stadler und Textauszügen aus Büchern von Martin Walser

Patmos Verlag, Ostfildern (Ruit), 2022, ISBN 978-3843612586, 223 Seiten, Hardcover, mit Schutzumschlag und Lesebändchen, Format 22,5 x 14, 7 cm, € 25,00

Über den am 24. März 2022 95 Jahre alt gewordenen, mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und zahlreichen anderen Preisen ausgezeichneten Schriftsteller Martin Walser und sein umfangreiches Werk ist unendlich viel und überaus Kontroverses geschrieben worden (vergleiche dazu etwa https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Walser). Aber ihn an zwei Tagen in seinem direkt am Bodensee gelegenen Haus in Nußdorf südöstlich von Überlingen zu besuchen und mit ihm von Angesicht zu Angesicht zu sprechen, schafft einen anderen Eindruck und vermittelt Feinheiten, die sonst verloren gingen (vergleiche dazu etwa https://www.suedkurier.de/region/bodenseekreis/ueberlingen/Martin-Walser-ueber-seine-Wahlheimat-UEberlingen-Es-koennte-nicht-schoener-sein;art372495,9186513).

So hatte der in Freiburg lehrende Theologe und Journalist Michael Albus zwar die meisten von Walzers Büchern gelesen und ihn 2019 bei einer Lesung zum 65. Geburtstag des Schriftstellers, Essayisten und Übersetzers Arnold Stadler in Meßkirch zum ersten Mal persönlich gesehen. Aber sein Besuch in Walzers Haus am Bodensees hat sein bisheriges Bild dann doch korrigiert und wesentlich erweitert. „Welchen Walser kannte ich bisher? Den Streitbaren, den nach der Paulskirchenrede 1998 massiv und verletzend Angegriffenen, den vermeintlichen Kommunisten, den Johann im ›springenden Brunnen‹, der aufwächst in der Zeit des Nationalsozialismus, den Wortsucher, den Wortefinder, den Worteerfinder und Sprachvirtuosen, den Erzähler der Umwege und Seitenstraßen, des Gelingens und des Scheiterns der Liebe, den Nüchternen, 

den Leidenschaftlichen. Den Vergegenwärtiger. Ich hatte ein Bild von ihm. Aber: Du sollst dir kein Bild machen!“ (Michael Albus S. 9).

Und dann sitzt Albus Walzer gegenüber, schaut ihm ins Gesicht, sieht den Glanz seiner Augen durch seine buschigen Brauen, erlebt ihn, wie er nach Worten sucht, nach Tagen und Jahren der Vergangenheit und kommt mit ihm über Sätze aus seinen Büchern wie den Satz aus ›Meßmers Reisen‹ ›Hätte man doch, als man lebte, gelebt‹, das Kriegsende, das Schreiben und die Sprache, die Mutter, den Vater, die Heimat und anderes ins Gespräch. Eine Auswahl von Zitaten aus Walser-Texten verknüpft das Interview mit dem Lebenswerk. Arnold Stadlers Essay ›Literatur ist das Licht, das uns alle erleuchtet‹ würdigt den Älteren aus seiner eigenen poetischen Perspektive:

„Ein Buch ist eine Partitur, die das Ganze im Fragment enthält. Wir bringen es mit unseren Augen zur Aufführung. Und solange wir es sehen und lesen, ist es Gegenwart. Auf der anderen Seite unserer Augen. Ist das nicht alles und mehr? Das ist alles. Und mehr. 

›Mich schmerzt dein Schmerz‹ – Es sagen können. Liebe heißt: Ja-Sagen. Schreiben ist Ja-Sagen. 

Er hatte wohl auch eines Tages ein leeres Blatt vor sich und sein Schreibwerkzeug genommen und mit ihm ›ja‹ gesagt. Denn wer ›nein‹ sagt, muss gar nicht erst beginnen, er hat das Leben schon hinter sich. Das gilt für alle, die mit irgendetwas Großem beginnen: Dass sie es nicht zum Spaß tun, sondern weil es sein muss. Also zeigt uns der Vergegenwärtiger mehr als tausend Mal, was er von Tag zu Tag entdeckt hat, auch für uns, die wir nun haben, was wir sonst nicht hätten: den Beweis, dass das Wahre nicht einfach ein Scherz oder eine lebenslange Illusion ist. Seine Sätze sind mir ein Beweis dafür, dass der Mensch immer noch auf der Suche nach etwas ist, und in vergangenen Zeiten war es auch das sogenannte Schöne. Das Wort ist verworfen, aber die schönen Sätze gibt es immer noch. Wie auch die Wege des Satzsuchers, Schatzsuchers, wie einer von ihnen Martin Walser ist. Und nicht irgendeiner.

Das Schönste an Martin Walser ist für mich vielleicht, dass auch er das Unsichtbare sichtbar gemacht hat, nun schon ein Schriftstellerleben lang“ (Arnold Stadler S. 162 f.)

ham, 1. Juli 2022

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