Mit Illustrationen von Sumuyya Khader

Verlag C.H.Beck, München 2022, ISBN 978-3-406-78801-7, 144 Seiten, durchgehend farbig bebildert, Hardcover gebunden, Format 24,6 x 17,4 cm, € 24,00

Die documenta fifteen hätte nach der Absichtserklärung ihrer Kuratoren von ruangagrupa eigentlich eine global ausgerichtete, kooperative Kunst- und Kulturplattform werden und den bisher vor allem auf weiße männliche Künstler fokussierten westlichen Blick korrigieren sollen (vergleiche dazu https://documenta-fifteen.de/ueber/, abgerufen am 4. November 2022). Diese verdienstvolle Absicht wurde dann aber vom Streit um einige Arbeiten mit antisemitischen Motiven völlig überlagert. Dadurch trat ihr eigentliches künstlerisches Anliegen mehr oder weniger in den Hintergrund (vergleiche dazu https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/documenta-rueckblick-antisemitismus-100.html).

Die 1990 in Neustadt an der Weinstraße geborene und heute in Zürich lebende Kulturpublizistin und Journalistin Ann Mbuti kann dagegen das Schaffen von Schwarzen bildenden Künstler:innen aus dem zeitgenössischen Kunstfeld – schwarz schreibt sie konsequent groß – ohne jede Störung von außen vorstellen. Im Hintergrund ihrer Publikation ›Black Artists Now‹ steht die Einsicht, dass heute viele nach dem Kunstunterricht in der Schule kaum mehr Namen als Picasso, Monet und Manet kennen und all diese Künstler tot, weiß und männlich sind. „Die Idee des Buchs war es, diesen Umstand anzugehen und Menschen außerhalb der Kunstbubble lebende, noch praktizierende, Schwarze Künstler:innen vorzustellen, die es sich zu kennen lohnt. Die vorgestellten Positionen, die nun in Black Artists Now vertreten sind, entstammen unserer Gegenwart und erforschen die Grenzen der Gattungen, bringen neue Perspektiven in die Öffentlichkeit ein und nutzen das Kunstsystem, dessen Normen und Regeln nicht für sie gemacht sind, auf inspirierende Weise.

Die 15 Künstler:innen sind nur eine Auswahl, die Lust auf mehr machen soll. Jedes Kapitel beginnt mit einer anekdotischen Erzählung aus dem Leben und Schaffen des:der Künstler: Künstlerin, in denen sich ein Kernelement ihrer Praxis ausdrückt. Wenn man sich auch nicht an all die Daten und Einzelheiten erinnern kann, so bleiben Geschichten immer im Gedächtnis“ (Ann Mbuti in https://annmbuti.ch/black-artists-now/; vergleiche dazu auch https://www.chbeck.de/mbuti-black-artists-now/product/33596581).

Der erste Platz ist dem1944 in Ghana geborene Bildhauer El Anatsui gewidmet. Anatsui beschäftigt sich mit der Frage, wie aus den plastischen Innovationen klassischer und traditioneller afrikanischer Kunst ein zeitgenössisches Skulpturenkonzept entwickelt werden kann. Dabei greift er auf gefundene Materialien wie etwa von Flaschenverschlüsse von Spirituosen zurück. Ein umfassender Überblick über sein Werk war 2019 in der noch von Okwui Enwezor zusammen mit Chika Okeke-Agulu, Princeton, kuratierten Ausstellung ›Triumphal Scale‹ im Haus der Kunst in München zu sehen (vergleiche dazu El Anatsui, Triumphal Scale. In: https://www.hausderkunst.de/ausstellungen/elanatsui).

Unter den in der Publikation vorgestellten Arbeiten dürfte Amy Sheralds 2018 entstandenes Porträt ›Michelle La Vaughn Robinson Obama‹, 183,2 x 152,7 cm mit am bekanntesten sein, das heute in der National Porträt Gallery in Washington, D.C. hängt (vergleiche dazu Amy Sherald, First Lady Michelle Obama, 2018. In: https://artsandculture.google.com/asset/first-lady-michelle-obama/fQHkATEgyUnC-A?hl=de). Die 1973 in Baltimore geborene Malerin porträtiert ausschließlich schwarze Modelle. „Indem sie an die klassische Tradition der Portätmalerei anknüpft, schreibt sie das Schwarze Kulturerbe in die westliche Kunstgeschichte ein. Sie ist der Meinung, dass Race kein grundlegendes Merkmal einer Person, sondern nur eine Projektion von außen ist“ (Ann Mbuti S. 140).

Den Abschluss bildet nicht, wie es der Titel der Publikation nahelegt, die durch ihre wandfüllenden Scherenschnitt-Tableaus bekannt gewordene Kara Walker (vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Kara_Walker), sondern die 1977 in London geborene Lynette Yiadom-Boakye. Ihre Eltern waren aus Ghana eingewandert und durch sie bleibt sie bis heute mit dem Land verbunden. Lynette Yiadom-Boakye erschafft fiktive Figuren, die sich in rätselhaften, meist unbestimmten Räumen bewegen (vergleiche dazu Lynette Yiadom-Boakye. Fliegen im Verbund mit der Nacht. In: https://www.kunstsammlung.de/de/exhibitions/lynette-yiadom-boakye).

Den von der englischen Illustratorin und Künstlerin Sumuyya Khader (vergleiche dazu https://www.sumuyyakhader.com) liebevoll ausgestatte Band nimmt man sehr gerne in die Hand. Ihre gezeichneten und die geschriebenen Porträts von Ann Mbuti sind sorgfältig erarbeitet. Sie zeigen eine Welt, die sonst weitgehend verborgen ist. Man bekommt tatsächlich Lust auf mehr und würde sich wünschen, dass bald ein zweiter Band folgt.

ham, 4. November 2022

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